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Ausgabe:

1930 Nr. 14

Spalte:

315

Autor/Hrsg.:

Byloff, F. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Volkskundliches aus Strafprozessen der österreichischen Alpenländer mit besonderer Berücksichtigung der Zauberei- und Hexenprozesse 1455 bis 1850 1930

Rezensent:

Clemen, Carl

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Seite 1

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316

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 14.

316

Spalte

Brandi: Der Augsburj/er Religionsfriede
vom 25. September 1555 (Schmidt) ... 330

Byloff s.: Volkskundliches.

Delafosse: Les Ecrits de Saint Paul IV.
(Lohmeyer).................325

Diözesan-Archiv, Freiburger (Bossert) .... 330

Friedlaender: Die päpstlichen Legaten
in Deutschland und Italien (Ficker) . . . 329

Oreßmann: Der Messias (Rudolph) ... 318

Spalte

G r i v e c: Die heiligen Slavenapostel Cyrillus

und Methodius (Ficker).......... 328

Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische
Forschung (Winkler)....... 333

M i rb t: Die römische Kurialpolitik der Nachkriegszeit
(Schmidt)............ 332

Naß: Das Rechtd. Feiertagsheiligung (Schian) 333

Der Orient (Haas).............. 317

Reallexikon der Assyriologie (Gustavs) ... 317

Spalte

Rohr: Die soziale Frage und das Neue

Testament (Strathmann)..........326

Schmalenbach: KantsRelig. (Knittermeyer) 334
S t ree t er: The primitiveChurch (von Harnack) 327
Thomas: Der Sonntag im frühen Mittelalter
(Ficker)................328

Volkskundhches aus Strafprozessen der österreichischen
Alpenländer (Clemen).....315

Wagner: Der Sittlichkeitsbegriff in der
antiken Ethik (Dibelius)..........315

Volkskundliches aus Strafprozessen der österreichischen
Alpenländer m. bes. Berücksichtigg. der Zauberei- und Hexenprozesse
1455 bis 1850. Gesammelt, hrsg. u. m. Anmerkgn. vers.
v. F. Byloff. Berlin: W. de Gruyter 81 Co. 1929. (68 S.) 4°. s=
Quellen zur dtschn. Volkskunde, H. 3. RM 8—.

die große Wandlung in Gesamthaltung und Ethik —
bedingt durch politische Ereignisse, aber auch durch
geistige Demokratisierung und Orientalisierung, vollendet
durch das Christentum — stellt sich zunächst negativ
als eine ungeheure Entadelung dar. Und erst der

können.

Bonn. Carl Clemen.

„Ursprünglich war beabsichtigt, die Quellen nach also entadelte Mensch sucht nach dem neuen aus der
Stoffgebieten geordnet zur Darstellung zu bringen. Die- , anderen Welt herkommenden Adel, der dann jedem
ser Wunsch hat sich deshalb als undurchführbar erwie- Menschen, auch dem Ärmsten und Verlorensten als Ziel
sen, weil in den einzelnen zur Herausgabe gelangenden j gesetzt wird.

Aktenbestandteilen Dinge verschiedener Zugehörigkeit | Eine Andeutung dieser Zusammenhänge findet man
vereinigt sind. Die Verschiedenheit hätte, um die stoff- in dem vorliegenden Buch höchstens da, wo bei Sokrates
liehe Anordnung durchzuführen, die Zerreißung der j „der Genuß seiner geistigen Überlegenheit" als eine
Quellenstellen bedingt, was aus mancherlei Gründen 1 wahrscheinliche Voraussetzung seines Disputierens ver-
nicht angängig ist. Daher ist es bei der natürlichen 1 mutet wird. Wenn aber dann einfach gesagt wird, er
Ordnung nach der Entstehungszeit geblieben. In den habe „das Unzulässige" (!) dieser Empfindungen „noch
Überschriften der einzelnen Stücke ist ihr wesentlicher nicht klar erkannt", und wenn diese Haltung mit Joh.
Inhalt schlagwortartig angegeben, um die rasche Be- ; 7, 18 abgewiesen wird, so gibt der Verf. einfach eine
nutzung zu erleichtern; auch sind dort die Zahlen der j apologetisch gemeinte Zensur, statt dem Leser zu einem
Bezugstücke der Sammlung verzeichnet. Im übrigen ! Begreifen zu verhelfen. Und unter diesem Drang, Zen-
wird auf das ausführlich gearbeitete Register ver- ' suren zu erteilen, leidet die Darstellung auch sonst. Es
wiesen." ist von vornherein deutlich, und müßte darum von vorn-

So bietet das Heft lediglich eine (mit erklärenden herein gesagt werden, daß jene ganze Haltung des anAnmerkungen
versehene) Materialsammlung, die zum j tiken Menschen innerweltlich bedingt ist, und daß die
Zweck einer Darstellung des neueren Volksaberglaubens daraus entspringende ethische Forderung dem Christen
der österreichischen Alpenländer erst bearbeitet werden immer als letztlich eudämonistisch geartet erscheinen
muß. Auch wird fast nur der Zauber- und Hexenglaube muß. Es hat aber keinen Sinn, dieses Urteil immer
berücksichtigt, während von sonstigen Vorstellungen ! wieder vorzutragen und Sokrates wegen seines Hedonis-
(wie der von der Perchtl) und Gebräuchen (wie dem ! mus, Aristoteles wegen seines Strebens nach Glückselig-
Windfüttern) nur ganz selten die Rede ist. In dieser ! keit zu tadeln. Es wäre vielmehr zu zeigen gewesen, wie
Beziehung hätte gewiß erheblich mehr geboten werden verschieden der „Eudämonismus" in diesen Philosophien

geartet ist und in welcher Weise und wann er von anderen
Gedanken durchbrochen wird.

Das führt auf ein anderes Problem. Der Ursprung
Wagner, Prof. Dr. theol. et phil. Friedrich: Der Sittlichkeits- der Gedanken, die in der Entwicklung der griechischen
begriff in der antiken Ethik. Münster i. W.: Aschendorff 1928. j Philosophie neu auftreten und im Gegensatz stehen zu
(V, 187 S.) gr. 8°. = Münsterische Beiträge zur Theologie, H. 14. ihrem bisherigen Verlauf, wäre zu untersuchen gewesen.

RM 7.95. j Denn das Neue, was mindestens in der populären und
Aufgabe dieser Untersuchung ist nach dem Vorwort in der religiösen Wendung der späteren Stoa zutage
„die Darlegung des antiken Sittlichkeitsbegriffes, wie { tritt, vielleicht aber schon in ihrer Herausarbeitung des
er in der griechischen Philosophie entwickelt worden , Pflichtbegriffs, liegt in der Linie, die auch die jüdische
ist". Aber der Verf. will nicht nur darlegen, sondern und die christliche Ethik innehält. Daneben wäre dann
auch beurteilen, und zwar „nach dem Maßstab der noch das Ideal des Weisen zu schildern, das mir Ele-
christlichen Ethik". Eigentlich müßte dabei gesagt wer- j mente beider Welten zu enthalten scheint, humanistische
den, was denn für den Verfasser „christliche Ethik" ist; wie prophetische, und das in der Popularphilosophie zu
aber diese Frage ist für ihn durch die katholische Tradi- ; solcher Bedeutung gelangt ist — auch hier könnte eine
tion wohl genügend beantwortet. Immerhin wäre eine Verwandtschaft mit christlichen Gedanken herausgear-
zusammenfassende Darstellung des Maßstabs, an dem bettet werden nicht im Sinn einer guten Zensur, sondern
in diesem Buch alles gemessen wird, erwünscht ge- mit dem Zweck, eine Konvergenz der Linien festzu-
wesen. stellen.

Eine auf wirklichem Verstehen beruhende Abgren- j Damit berühre ich ein drittes Problem, das der Be-
zung der antiken von der christlichen Ethik ist eine loh- Beziehungen zwischen Religion und Sittlichkeit über-
nende Aufgabe, die noch keineswegs so gelöst ist, wie haupt. Auch hier wäre zunächst festzustellen, daß die
sie bei dem heutigen Verständnis zumal der Spätantike Frömmigkeit auf dem Boden jener humanistischen Gegelöst
werden könnte. Die Voraussetzung jeglichen Lö- j samthaltung zunächst als Tugend zu gelten hat, als eine
sungsversuch.es ist aber, daß der Verf. seinen Lesern die j von vielen Tugenden; daß aber im Judentum und im
geistige Gesamthaltung deutlich macht, die hinter den i Christentum die Gottesbeziehung das ganze Leben trägt
verschiedenen Ethiken steht. Das Ideal des Menschentums, und auch die Ethik gestaltet. Es hat also keinen Sinn,
das für die klassische griechische Zeit bezeichnend die einzelnen Fälle hier wieder zu isolieren und Plato
ist, bedingt die Gestaltung des ethischen Ziels: Ausbildung ! vorzuwerfen, daß er die Pflichten gegen Gott vernach-
des empirischen Menschen im Sinn dieses Ideals. Als j lässige. Auf der Basis solcher Kritik kann auch die
der empirische Mensch gilt dabei aber nicht jeder Sterb- j wirklich religiöse Wendung in der Philosophie nicht be-
liche, auch der Ärmste und Verlorenste, sondern der ! griffen werden. Denn sie beruht zu einem guten Teil
Bürger der griechischen Polis, also ein Adelsmensch, ; auf der kosmisch-pantheistischen Religiosität, die ganz
der den Adelsbrief des Freien im Leben betätigt. Und stark in die Ethik hinüberwirkt: der Mensch hat den