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Ausgabe:

1930 Nr. 13

Spalte:

303-305

Autor/Hrsg.:

Scheel, Otto

Titel/Untertitel:

Dokumente zu Luthers Entwicklung (bis 1519). 2., neubearb. Aufl 1930

Rezensent:

Vogelsang, Erich

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303

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 13.

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Verbindung zu setzen. In einer uns pietät- und geschmacklos
berührenden (schon von den Zeitgenossen
getadelten) Weise führt er den Vergleich in 2 Teilen
mit 34 Kapiteln durch. Vier Verse geben immer, in mehr
oder weniger engem Zusammenhang mit einem Holzschnitt
, das besondere Thema an, dann folgt die Ausführung
in Reimpaaren, die aber, weit entfernt von
Murners sonstiger meisterlicher Satire, in trocken-lehrhaftem
Ton zur Buße und zur Läuterung aufrufen. Der
erste Teil knüpft an die Prozeduren des gewöhnlichen
Bades an, der zweite (K. 26—34) zählt einige heilkräftige
Bäder auf. Nach Michels' überzeugender Darstellung
scheint dieser 2. Teil später und mit einer gewissen
Hast hinzugefügt zu sein. Der Verf. scheint da
auch jede straffe Gliederung zu verlieren und reiht willkürlich
die einzelnen Allegorien aneinander, die uns
nicht selten komisch berühren: der Göppinger „Sauerbrunnen
" deutet auf das heilsame Leid des Christen,
das Wildbad auf die Bekehrung unmittelbar vor dem
Tode usw. Eni ersten Teil sind die Linien des Aufbaus
straffer durchgeführt, aber in der Darstellung selbst
springt der Verf. doch nach Herzenslust in den verschiedenen
Gebieten der Theologie und Homiletik umher
. Alles Sinnlich-Anschauliche wird erstickt durch
einen wahren Wust von geistlichen Assoziationen oder
gewaltsam umgepreßt, bis wieder etwas mit dem Thema
des betr. Kapitels notdürftig Zusammenhängendes herausspringt
. Die unleugbare Flüssigkeit der Darstellung
rührt eben davon her, daß der Verf. zwischen Hohem
und Niederem wenig zu unterscheiden weiß und skrupellos
alles in die Hauptlinie zwängt.

Diese starre Einseitigkeit wird nur dann lebensvoll
und überhaupt auf die Dauer erträglich, wenn sie mit
dem zornigen Pathos und mit der beißenden Satire vorgetragen
wird, die wir in Murners antireformatorischen
Prosaschriften geradezu bewundern. Ihre Reihe wird mit
dem 8. Bande der Gesamtausgabe zu Ende geführt. Er
enthält Murners Auseinandersetzung mit Luthers Verbrennung
der Bannbulle und des kanonischen Rechts
von 1521. („Wie Doctor M. Luther vfs falschen vrsachen
bewegt Das geistlich recht verbrennet hat") ferner die
sehr seltene kleine Schrift: „Antwurt vnd klag mit ent-
schuldigung doctor Murners" gegen den Augustiner
Michel Styfel zu Eßlingen (1522) und endlich Murners
Beitrag zu dem Streit Luthers mit König Heinrich VIII.
von England: „Ob der Künig vfs engelland ein Eigner
sey oder der Luther." Mit Recht weist der Herausgeber
, Wolfgang Pfeiffer-Belli, dieser Schrift einen sehr
hohen Rang in Murners Polemik zu. Uns will es freilich
als grobe Formlosigkeit berühren, daß der Verf.
dieses höchst originellen Dreigesprächs den König mit
den Worten seiner „Assertio", Luther mit denen seiner
Streitschrift gegen „Heintz lügner" sprechen läßt, um
dann selbst, „als eine Art von Chor in der Tragödie",
mit einzugreifen. Aber gerade diese Zwischenreden sind
höchst lebendig und geben dem Ganzen ihren eigenen
Reiz. Luthers satirische Fähigkeiten scheinen Murner so- j
gar eine gewisse Anerkennung abzunötigen, wo er ihn |
sachlich aufs schärfste bekämpfen muß. Auch dieser
Band enthält, gleich der Ausgabe der „Badenfahrt",
einen ausführlichen Kommentar und ein besonders
sprachgeschichtlich wichtiges Register zu den drei Teilen
der „Kleinen Schriften".
Hamburg. Robert Petsch.

Scheel, Otto: Dokumente zu Luthers Entwicklung. (Bis 1519).
2., neubearb. Aufl. Tübingen: J. C. B.Mohr 1929. (XII, 364 S.)
gr. 8°. = Sammlung ausgew. kirchen- u. dogmengeschichtl. Quellenschriften
, N. F. 2. RM 12 — ; geb. 14—.

Scheels „Dokumente", in 1. Aufl. 1911 erschienen,
sind als vorzügliche Zusammenstellung der wichtigsten
Quellenstücke zu Luthers Frühentwicklung bekannt; sie
waren seit Jahren vergriffen. Die 2. Auflage ist eine
weitgehende Neubearbeitung: nicht nur daß der Umfang

um mehr als das doppelte (146: 344 S.) zugenommen
hat, vor allem die Fortschritte der Weimarer Ausgabe
und die der Forschung sind sorgsam verwertet.

Die Erweiterungen umfassen a) Neuveröffentlichungen
: Zwei der von Degering entdeckten Briefe aus
Luthers frühester Zeit, Auszüge aus der Galatervorlesung;
1516/17 (ed. v. Schubert 1918) und der Hebräervorlesung
(ed. Hirsch-Rückert 1929). b) Stücke, denen die
Forschung der letzten 20 Jahre erhöhte Aufmerksamkeit
geschenkt hat, so aus den Randbemerkungen 1509/10
(jetzt 53, bisher 37 Stücke), aus den Glossen zu Tauler
(jetzt 9, bisher 1 Stück) u. a. Aus den Randbemerkungen
Luthers zu Gabriel Biel, die Degering für die
WA. bearbeitet, konnte leider noch nichts mitgeteilt werden
, c) „Rückblicke" aus der Zeit 1520—1546, deren
Zahl von ca. 80 der 1. Aufl. auf ca. 500 erhöht ist.

In dem Auffinden dieser letzten Art von Quellen liegt fraglos Scheels:
Stärke; vielleicht ist hier aber auch eine z. T. unnötige Stoffbelastung
vorgenommen. In der Stoff Verteilung des Ganzen gab die t. Aufl.
weit mehr Zeugnisse aus der Frühzeit als Rückblicke aus der späteren
Zeit. Das war vielleicht ein gewisser pädagogischer Vorzug. Dieses
Verhältnis hat sich jetzt umgekehrt. Vor allem die Rückblicke 1531 bis
1546 (S. 55 — 198) möchte man vielleicht noch zu Gunsten der von
1520—1530 (S. 16—54) beschnitten wünschen; ob z. B. W. 18, 641,4ff.;
768 f. (1525) u. ä. nicht den Vorzug verdienten vor inhaltlich sich öfter
wiederholenden Stücken aus den Tischreden und der Genesisvorlesung?

Die Auswahl der Stücke im Ganzen ist überaus
bedacht und ergibt für die biographischen, aber auch
theologiegeschichtlichen Fragen der Frühzeit eine gewisse
Geschlossenheit. Jede Auswahl, zumal den so
umfangreichen primären Quellen der ersten Kollegs
gegenüber, hat eine persönliche Note. Manch einer wird
drum vielleicht ihm wesentlich erscheinende Stellen
etwa aus der Römerbriefvorlesung (z. B. II 56; 65;
217f.) oder aus den Bußpsalmen 1517 (z. B. W. 1,
159, 23ff.; 219,30—36) vermissen. Scheel ist aber
bemüht, möglichst sachlich zu verfahren und sich nicht
auf eigene Lieblingsstellen zu beschränken. Nur zwei
wirklich empfindliche Lücken liegen vor: 1. hinsichtlich
der Schriften zum Ablaßstreit und 2. der frühen Disputationen
. Laut Vorwort zur 1. Aufl. (S. V) ist das
vom Verfasser beabsichtigt, um eine Überschneidung mit
W. Köhlers und K. Stanges entsprechenden Quellenschriften
zu vermeiden.

Verhältnismäßig wenig scheinen mir zudem die frühen Predigten
(W. 1,20ff. und 4, 590ff.) berücksichtigt zu sein; etwa die beiden Sermone
W. 4, 590—604 stehen doch, sofern sie echt sind, wohl als ganz
einzigartige Zeugnisse der allerfrühsten Zeit da. Aus dem Bedürfnis,
möglichst prägnante und leicht verständliche Zeugnisse zu bringen, erklärt
es sich wohl, daß Scheel auch bei den „Rückblicken" nicht unbedingt
mit den allerfrühesten beginnt: daß z. B. der erste „Rückblick"
zur iustitia-dei-Frage erst 1522 (Nr. 54), zur allegorischen Schriftauslegung
erst 1524 (Nr. 88) datiert.

Die Anordnung der 838 Stücke konnte nicht
anders als streng chronologisch sein. Der „Krebsgang"
der 1. Auflage, die mit dem Jahre 1595 einsetzte, ist
aufgegeben. Die Zweiteilung des Ganzen ist beibehalten,
jetzt genannt: I. Rückblicke (auf die Zeit bis 1519).
II. Zeugnisse (aus der Zeit bis 1519). Wenn auch
diese Unterscheidung das Schicksal aller Einteilungen
hat, gegenüber einzelnen Stücken auch einmal zu versagen
(warum wären Nr. 21 und 56 „Rückblicke", Nr.
788 dagegen nicht? ebenso vgl. Nr. 6 gegen Nr. 747;
Nr. 36 gegen Nr. 785), so ist dies gleichwohl das einzig
wirklich durchführbare Einteilungsprinzip. Wer systematisch
einer Frage nachgehen will, findet in dem jetzt
20 Seiten umfassenden Register Handhabe genug.

Selbst die chronologische Ordnung macht ja an einigen Stellen noch
Schwierigkeiten genug: Frühe Predigten (Nr. 674 ff.), Tischreden (Nr.
478 ff.) sind nicht sicher zu datieren. Der Brief End. 1,26 f. (Scheel
Nr. 746) ist wohl mit Boehmer (Luthers 1. Vorlesung S. 8 Anm. 1) auf
den 9. Sept. 1516 zu datieren.

Der kritische Apparat hat sich, um die Arbeit
nicht uferlos werden zu lassen, zumeist auf das in W. A.
Gebotene beschränken müssen. Die großen Versäum-
I nisse vor allem der ersten Weimarer Bände lassen sich