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Ausgabe:

1930 Nr. 13

Spalte:

293-294

Autor/Hrsg.:

Clarke, W. K. Lowther

Titel/Untertitel:

New Testament Problems 1930

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Seite 1

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293

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 13.

294

Clarke, D. D., W. K. Lowther: New Testament Problems.

Essays-Reviews-Interpretations. London: S. P. C. K. 1929. (XII,

222 S.) 8°. 7/° sh-

Dr. Clarke ist Sekretär der Society for Promoting
Christian Knowledge (S. P. C. K.), die schon durch eine
stattliche Reihe von Schriften die Aufgaben erfüllt hat,
welche ihr Name ihr stellt. Er hat durch diese seine
Stellung die Möglichkeit und durch seine eigne Bildung
die Fähigkeit, die vielfältige christlich theologische Literatur
aller Länder zu überschauen und zu verarbeiten,
und dieses Buch gibt Zeugnis davon, mit welch reichen
Kenntnissen, selbständigem Urteil und eigener Forschungstätigkeit
die überall auftauchenden Fragen bewältigt
sind. In ihm sind eine Reihe von 23 Aufsätzen j
gesammelt, die an viel erörterte Probleme des letzten !
Jahrzehntes anknüpfen. Es genügt einzelne Titel zu
nennen: Die Jungfrauengeburt und ihre jüngste Erörterung
, die formgeschichtliche Methode, Jesus und
die Pharisäer, Christliche und griechische Wundererzählungen
, der wirtschaftliche Hintergrund der Bibel,
Eduard Meyer über die Ursprünge des Christentums,
die Bekehrung des Paulus und die Anfänge des Heidenchristentums
, die Haustafeln, die älteste Geschichte des
Abendmahles, die Mandäer usw. Unter diesen und
anderen Namen sind Essavs gegeben, d. h. Aufsatze, die
nirgends in aller Gründlichkeit ein Thema erschöpfen
wollen, sondern die Richtung anzeigen, in der die
Hauptfragen zu suchen und die Hauptantworten zu
finden sind. Und diese wegweisende, im wörtlichen und
übertragenen Sinne methodische Arbeit geschieht mit
feiner F3esonnenheit und reicher Belesenheit.

Mit diesen, an gegebene Probleme der theologischen
Literatur anknüpfenden Aufsätzen sind kleine
exegetische Studien verbunden. Sie behandeln mit aller
Feinfühligkeit einzelne neutestamentliche Sätze, ordnen
klar die verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation
und lösen die Schwierigkeiten bisweilen durch hübsche
und geistreiche Einfälle. Hierher gehören etwa die
kurzen Skizzen über drei Markussätze, über lukanische,
johanneische und paulinische Stellen, solche über die
Ausnahmeklausel in Matth. 5, 32, den Prolog des
Lukas-Evangeliums, über den Philipperbrief, über die
Krankheit des Paulus. Dem Stoffe nach steht eine
letzte Untersuchung über die Laienbeichte in der alten
Kirche abseits, aber in ihr spürt man am stärksten,
wie die Probleme aus selbständiger Erforschung der
Quellen, hier vor allem des großen Basilius, erwachsen
und eine selbständige Lösung finden.

Deshalb ist hier mehr geleistet als der Wunsch des
Verfassers bescheiden andeutet: „Wenn ein wissenschaftlich
gebildeter Diener der Kirche, der „keine Zeit hat zu
lesen", als Resultat meines Buches merkt, daß er gerade
so viel erfährt als er über einige neuere Theorien zu erfahren
wünscht, so werde ich zufrieden sein". Denn
dieses Buch ist nicht nur Bericht über die Leistungen anderer
, sondern eben darin und darüber hinaus eine eigne
Leistung. Es ist eine Leistung auch noch in anderem
Sinne; an den eben genannten ersten schließt der Verfasser
einen zweiten Wunsch: „Wenn er dazu kommt,
die Fruchtbarkeit des deutschen Geistes, mit der er
Hypothesen bildet, zu bewundern, und selbst wenn er
mit ihnen nicht übereinstimmt, unsere früheren Feinde
mehr zu achten, so werde ich mehr als zufrieden sein."
Das Buch knüpft in der Tat Beziehungen ökumenischer
Art, wie sie wissenschaftlicher und deshalb auch theologischer
Forschung allein gemäß sind. Es gibt der
deutschen Theologie ein klares und übersichtliches Bild
der Arbeit, die in Ländern englischer und gelegentlich
auch französischer Sprache am Neuen Testament geleistet
worden ist — ein Bild, das in der Klarheit seiner
Methode, in der Schlichtheit seiner Fragen, in der Weite
seiner humanistischen und christlichen Tradition oft genug
vorbildlich ist — und es vermittelt englischen
Lesern unverfälscht die zahlreichen, sich kreuzenden,
hemmenden und fördernden Strömungen deutscher theo-

! logischer Arbeit, die weit weniger auf gegebenen Grund
sich gründen als nach aufgegebenen Zielen durch mancherlei
Irrtümer suchen.

Breslau. Ernst Lohmeyer.

Aulen, Gustaf: Den kristna Försoningstanken. Huvudtyper
och Brytningar. Stockholm: Svenska Kyrkans Diakonistyrelses Bok-
förlag 1930. (269 S.) kl. 8°.

Die das theologische Denken des 19. Jahrhunderts
bestimmende Auffassung der Geschichte der Versöhnungslehre
ist klassisch ausgesprochen von Ferd. Christ.
Baur (Die christliche Lehre von der Versöhnung, Tübingen
1838, vor allem S. 12—16). Danach ist die Geschichte
der Versöhnungslehre beherrscht von dem Gegensatz
der objektiven und der subjektiven Versöhnungslehre
. Die objektive Versöhnungslehre schloß sich
zur vollendeten Einheit ab in Anselms Satisfaktionslehre.
Das spätere Mittelalter lockert diese Idee, aber nur sofern
sie die freie Subjektivität Gottes gegen die geschlossene
Notwendigkeit des Anselmischen Aufbaus
stellt. Mit der Reformation beginnt der Prozeß der
Subjektivierung, sofern in der reformatorischen Vollendung
der Anselmischen Lehre alles auf den rechtfertigenden
Glauben als Ziel gedacht ist. Die nachreformato-
rische Geschichte der Theologie zeigt eine fortschreitende
Subjektivierung des Versöhnungsgedankens, bis durch
Hegels Philosophie eine die Subjektivität in sich
vermittelnde höhere Objektivität der Versöhnungslehre
ermöglicht wird, in welcher alle wesentlichen
Momente des geschichtlichen Gangs als relativ wahr
umfaßt sind. Die einzelnen geschichtlichen Urteile
sind den nacharbeitenden Theologen oft anders
ausgefallen. Auch haben sie oft genug einseitig für die
objektive oder für die subjektive Versöhnungslehre
Partei genommen. An der Richtigkeit des Grundgegensatzes
, an der Beurteilung Anselms als klassischen Ausdruck
der objektiven Gestalt der Lehre und der vor-
anselmischen Zeit als einer Zeit der bloßen Vorbereitung
auf Anselm haben doch nur wenige gezweifelt.

Die Voraussetzungen für einen neuen Aufriß sind
uns gegeben durch die tiefere Einsicht in die Versöhnungslehre
Luthers (für dessen Eigentümlichkeit gegenüber
Melanchthon und dem Luthertum Baur ja blind gewesen
ist, ja, den er merkwürdig genug schlechter studiert
hat als jeden andern theologischen Denker). Hier setzt
nun Aulens originelles und neue Wege weisendes
Buch ein: Es gibt in Wahrheit neben dem anselmischen
Typus, den er den „lateinischen" nennt, und dem
„subjektiven", noch einen dritten Typus, den
„klassische n". Er ist im Anschluß an' das neue
Testament, vor allem Paulus, der die ganze alte Kirche
beherrschende und selbst im Mittelalter für die praktische
Frömmigkeit wichtig genug gewesen; der lateinische
Typus ist eine von Tertullian und Cyprian her
langsam werdende in Anselm sich vollendende Fehlbildung
. Luther hat, ohne merkwürdigerweise von Melanchthon
und den Lutheranern verstanden zu werden,
den „klassischen" Typus erneuert. Das Steckenbleiben
der reformatorischen Kirchen im „klassischen" Typus
hat die kritische Auflösungsarbeit durch den subjektiven
Typus herbeigeführt. Die Aufgabe ist, einzusehen, daß
die „lateinische" Versöhnungslehre weder die einzige
noch die beste Gestalt einer objektiven Versöhnungslehre
ist, und so den falschen Gegensatz des 19. Jahrhunderts
, der nur die Rückkehr zum Anselmismus oder
die „subjektive" Versöhnungslehre zur Wahl läßt, zu
überwinden.

Den Grundgegensatz des „klassischen" und des „lateinischen
" Typus drückt Aulen trefflich so aus: Der letztere
versteht die Versöhnung im Rahmen
eines ungebrochnen Rechtsverhältnisses
und dafür nur gebrochen als Gottes Tat;
der erste umgekehrt versteht die Versöhnung
ungebrochen als Gottes Tat und läßt
dafür das Rechtsverhältnis durch sie