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Ausgabe:

1930 Nr. 12

Spalte:

275-277

Autor/Hrsg.:

Peschek, Joseph

Titel/Untertitel:

Geheime Offenbarung und Tempeldienst. Eine Darstellung d. Aufbaus d. Apokalypse d. heiligen Apostels Johannes samt Text u. Erklärung 1930

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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275

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 12.

276

Schuldopfers für Eigentumsvergehen an den Altar zu
sprengen. Anschließend wird die Sühnwirkung der privaten
Sühnopfer (Sündopfer, Schuldopfer, z. T. Brandopfer
) und der Gemeinde-Opfer (die 32 Sühnopfer des
Jahres, das tägliche Morgen- und Abend-Brandopfer)
behandelt. Der Schluß untersucht die Wirkung der
Sühnopfer auf den Darbringer.

Schon diese in keiner Weise erschöpfende Inhaltsangabe
dürfte einen Eindruck davon vermitteln, welche
Fülle wertvollen Materials die Arbeit vermittelt. Besonders
hervorgehoben sei, daß die zitierten rabbini-
schen Stellen sorgfältig auf ihr Alter untersucht werden
— B. beschränkt sich fast ganz auf tannaitische Angaben
— und daß sie in Urtext und Übersetzung geboten
werden, sodaß die jeweils folgende eingehende
Textanalyse vom Leser am Urtext nachgeprüft werden
kann.

Freilich ist auch kritisch mancherlei zu sagen, wobei
von Einzelheiten abgesehen sei. Der Verf. weist im
Vorwort darauf hin, daß die vorhandenen Darstellungen
der Religion des Judentums im Zeitalter Jesu (namentlich
Bousset) dem zentralen, von ihm behandelten Problem
nicht gerecht geworden sind. Dieses Urteil ist ungerecht
. F. Weber's „Jüdische Theologie auf Grund des
Talmud und verwandter Schriften"2 1897 beschäftigt
sich ausführlich mit den rabbinischen Aussagen über
Sünde und Gnade, und ebenso findet sich reiches Material
verstreut in Billerbeck's Werk. Ja, man wird urteilen
müssen, daß diese beiden Werke an Objektivität
die Arbeit Büchler's übertreffen. Denn diese ist —
und das ist ihre schwache Seite — insofern stark einseitig
eingestellt, als sie einen ausgesprochen apologetischen
Zug trägt und in der Quellenauswahl und
-Interpretation weithin geradezu neutestamentlich gefärbt
ist. Typisch dafür ist, daß im 2. Kapitel der
Lohngedanke als Motiv des religiösen Handelns fast
ganz ignoriert wird; daß die Behandlung der rabbinischen
Sündenlehre in Kap. 4 sich völlig auf eine Einzelfrage
beschränkt und an der Kasuistik der rabbinischen
Sünden- und Verdienstlehre vorübergeht; und daß das
5. Kapitel die Herzensfrömmigkeit einseitig als Motiv
der Opferdarbringung schildert, ohne der Gefahr des
opus operatum zu gedenken.

Der Ertrag für die Arbeit am N. T. kann hier nur
augedeutet werden; es ist zu bedauern, daß in der
Arbeit selbst die Verbindungslinien zum N.T. nur ganz
vereinzelt gezogen werden. Den Hauptertrag sehe ich in
der Analyse folgender rabbinischer Begriffe und Vorstellungen
: Bund (vgl. dia&iy.r] im Hebr. Brief), Joch
des Himmels (vgl. Mth. 11, 29 f.), Knecht Gottes (vgl.
dovlog &eht bei Paulus), Furcht und Liebe als Motive
des religiösen Handelns, die vierfache Stellung zum
Leiden (anders Mth. 5, 12!), Unreinheit im religiös-
moralischen Sinn (vgl. Rom. 1, 24 und Hebr. Brief).
Vor allem aber ist von Bedeutung die ausführliche Behandlung
der vier Haupt-Sühnemittel des Judentums der
Zeit Jesu: Reue, Opfervollzug, Straf leiden und Tod in
Kap. IV und V, die eine wichtige religionsgeschichtliche
Vorarbeit für das Verständnis der neutestamentlichen
Lehre von der Versöhnung darstellt.

An Einzelheiten sei notiert: 1. y£r-| bezeichnet

vereinzelt den Satan (b. B. B. 16a Bar.; Targ. zu
Jes. 11, 4), was für Mth. 6, 13 zu beachten ist. 2. Mth.
5, 23—24 handelt es sich vielleicht um Darbringung
eines Schuldopfers (S. 409f.); vgl. die Unterbrechung
der Darbringung des Schuldopfers Tos. Pes. III,
(160, 22), wenn der Darbringer das geraubte Gut nicht
vorher beigebracht hat.
Greifswald.___ Joachim Jeremias.

Peschek, P. Joseph, C. Ss. R.: Geheime Offenbarung und

Tempeldienst. Eine Darstellung d. Aufbaues d. Apokalypse d.
heiligen Apostels Johannes samt Text u. Erklärung. Paderborn:
F. Schöningh 1920. (200 S.) 8°. RM 6.60; geb. 8-.

Diese Schrift ist zunächst eine kurze und populäre
Erklärung der Offenbarung des Johannes für gläubig

| katholische Leser. Sie übersetzt den Text nach der Vul-
| gata und erläutert ihn an kaum einer Stelle ohne den
I praktischen Zweck der Erbauung. Wenn sie darum auf
j eine Auseinandersetzung mit den Fragen und Antworten
I einer wissenschaftlichen Interpretation fast völlig ver-
j ziehtet, so scheint sie darin nur rein auf ihren praktischen
, in Grenzen berechtigten Zweck gerichtet. Aber
! die gleiche Schrift sammelt mit unleugbarer Gelehrsam-
| keit mehr und minder bekanntes Material aus biblischen,
jüdischen (auch talmudischen) und griechischen Quellen
und aus patristischen Zeugnissen. Dadurch wird sie zu
einem auch auf wissenschaftliche Ziele gerichteten Kommentar
; er ruht freilich noch auf den Voraussetzungen,
die etwa einen Thomas v. Aquin bei seiner Deutung der
Apokalypse bestimmten. Für diesen Nachfahren einer
wissenschaftlichen Scholastik umfaßt deshalb die Apokalypse
„die ganze christliche Ära, angefangen von den
Zuständen der Kirche zur Zeit des im Patmosexil
schmachtenden Lieblingjüngers bis zum Weltuntergange
und zur Welterneuerung"; ihr Verfasser ist natürlich der
Apostel Johannes, „die stattliche Anzahl der Väterzeugnisse
lassen hierüber keinen Zweifel". Es ist deshalb
auch nur folgerichtig, daß die Erklärung häufig aus
den Tiefen eines allegorischen Sinnes sich nährt, der
unter dem „Literalsinn" verborgen ruht. So repräsentiert
, um nur ein Beispiel anzuführen, die Erde, auf die
nach Apc. c. 8 Hagel, mit Blut und Feuer gemengt,
herabprasselt, die christliche Kirche, „eine im frischen
Grün leuchtende Landschaft", und diese Hagelkatastrophe
jene historischen Ereignisse, die bis hinab zur
türkischen Invasion das vorderorientalische Christentum
fast völlig vernichteten.

Aus solcher katholisch-gläubigen und scholastischen
Haltung würde noch nicht das Recht folgen, diesen
Kommentar unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu
betrachten. Indes ist in dieser Erklärung vor allem ein
fruchtbarer Gedanke durchgeführt, den der Titel flüchtig
| andeutet. Der Aufbau der Apokalypse soll abgesehen
von dem Siebener-Schema, das in altbekannter Weise
an den sieben Sendschreiben, den sieben Posaunen-
und den sieben Schalengesichten veranschaulicht ist,
„auf der Idee des Gottesdienstes im Himmelsheilig-
tume" ruhen; und dieser Gottesdienst,der in offenbaren
Szenen oder geheimen Anspielungen die Darstellung der
j apokalyptischen Ereignisse durchzieht, soll im Großen
I und Ganzen die Liturgie abbilden, die „im Tempel zu
! Jerusalem an Festtagen von Morgen bis zum Abend in
Übung war". Bei der Durchführung dieses Gedankens
entstehen nicht selten Künsteleien; oft muß ein Wort
genügen, um die behaupteten Übereinstimmungen zu
sichern. Der Beweis, daß die Apokalypse sozusagen nur
einen kultischen Weltentag schildern will, ist oft auch
nur bis zu dem Punkte geführt, wo er gläubigen Lesern
einleuchtend wird. Dennoch scheint der These ein richtiges
Moment inne zu wohnen. Es finden sich in der
Tat, auch wo es der Verfasser nicht ausdrücklich bemerkt
, überraschende Analogien, und selbst die viel gequälte
Zahl 666 läßt sich, wie ausführlicher dargelegt
wird, mit einem kultischen Symbol, dem bekannten
Pentagramm, anschaulich verknüpfen. Es wäre notwendig
, diesem kultischen Gesichtspunkt genauer nachzugehen
, als die Arbeit es selbst tut; er scheint für die
Deutung der Apokalypse deshalb besonders fruchtbar
zu sein — was der Verfasser nicht bemerkt —, weil er
ihrem jüdisch gnostischen Charakter trefflich entsprechen
würde. Denn es läßt sich an vielen Stellen —
man denke nur an Philo — der Beweis führen, daß im
Judentum jener Zeit gerade eine Kultustheologie gno-
stische Gedanken immer wieder genährt hat, wie umgekehrt
diese Gnosis auch jene Theologie.

So bedeutet dieser Kommentar zur Apokalypse, der
sich sonst in den engen Grenzen scholastischer Tradition
und fern von heutigen wissenschaftlichen Problemen
hält, um dieses kultischen Grundgedankens
willen auch für das wissenschaftliche Verständnis der