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Ausgabe:

1930 Nr. 11

Spalte:

250-253

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Einführung in die alte Kirchengeschichte 1930

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 11.

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umfaßt das „Christus Jesus der Herr" für Paulus auch
die „Didache Christou", die Paränese, damit eo ipso auch
den Impuls zum Wandel und sein Wie und Was (vgl.
auch 1. Thess. 4, 1).

Aus der Auslegung des zweiten großen Christusliedes
2, 8—15 hebe ich noch zweierlei hervor, einmal,
daß L. in der allerdings seltsamen Wendung äia rf,g
jtiouwG rif evegyeiag rov tieov das Wort nlaxig als
Macht", d. h. als das Wirken Gottes versteht, das
Ende und Vollendung der Welt heraufführt; diese Bedeutung
entspricht allerdings dem Zusammenhang, aber
kann niozig einfach „Macht" und gar Macht, Wirken
Gottes bedeuten? sodann daß L. das xeigbygwfov 2,14
als eigene Schrift des Menschen versteht, mit der er
sich dem Teufel verschrieben hat: das wäre aber sehr
unverständlich ausgedrückt, und näher liegt es, ro
xaö>' ruwv %. als die gegen uns gerichtete Anklageschrift
des großen Kairjywg zu verstehen.c Übrigens sieht
L. in dem folgenden ö rf» h7ce.vavr.i0v rriwv ein neues
Objekt — da doch nicht gesagt sein könne, daß Christus
den Schuldschein an sein eigenes Kreuz genagelt
habe — und identifiziert es mit der „Sünde". Dem
widerspricht aber die Struktur des Satzes; wir haben ein
überkühnes Bild anzuerkennen.

Endlich noch zwei Einzelheiten, die die Engel betreffen. L. bezieht
das vüv 5e ecpcujveecnfhi xoü; cVyi'ou; aüxoö 1, 26 auf die Engel —
aber ist der Gedanke einer Jetztoffenbarung an die Engelmächte pauli-
nisch? und kann Paulus nicht auch einmal die Gläubigen „Heilige
Gottes" nennen?; und ähnlich sollen 3, 12 die ejcXextoi xoü üeoü
öryioi fcOH fivcDxnufvoi die Engel sein, also die Mahnung soll heißen:
Werdet den Engeln gleich! Sehr originell und erwägungswert; aber
sind die folgenden Tugenden wirklich Engeltugenden, und sind in dem
Ausdruck die Engel unmißverständlich gekennzeichnet?

Die kolossische „Philosophie", das Hauptthema des
ganzen Briefes faßt L. als eine gnostische Religion der
Selbsterlösung, mit jüdischem Hintergrund. Ein Abschnitt
der Einleitung und Exkurse in der Erklärung
machen diese These anschaulich. Ich würde das christliche
Element in dieser synkretistischen Häresie noch
etwas stärker betonen.

Für den Philemonbrief, speziell für das Verhältnis
des entlaufenen Sklaven Onesimus zu Paulus
bringt L. ganz neue und fruchtbare Gesichtspunkte. Er
vergleicht die Flucht des Sklaven zu Paulus, dem apostolischen
Gebieter seines Herrn (der z. Z. in Gefangenschaft
in Cäsarea weilt) mit der den Sklaven zustehenden
Flucht in ein Asyl. Der Brief ist dann ein Schutz-
und Geleitbrief, hinter dem die Autorität des Märtyrer-
Apostels steht. Richtig wird weiter betont, daß auch
dem Philemonbrief kraft der Adresse ein gewisses Maß
von Öffentlichkeit eignet.

Auch in Philem. weist L. einen feierlichen Rhythmus
auf, insbesondere im Eingang. Verschiedentlich
würde ich auch hier einen Wechsel von drei- und
zweihebigen Zeilen annehmen, wo L. bisweilen etwas
künstlich reine dreihebige Zeilen ansetzt.

Die Betonung der apostolischen Macht findet L. auch in dem
berühmten TlaüJ.o; rcQeoßv>rr|c v. 9, das (auch ohne Konjektur
rtpEoßEUTrjc) nachweislich den „Gesandten" bedeuten kann: die Fortsetzung
vovi oe xcü Srioiuoc spricht sehr für dies Verständnis.

Die Bitte des Paulus geht nach L. dahin, daß
Philemon den bisherigen Sklaven freigebe und an Paulus
abtrete, damit der ihn als seinen persönlichen Diener
und im Dienst des Evangeliums gebrauche. Mir scheint
diese Deutung nun ganz gesichert.

Zu dem yaoLtsairai Vs. 22 würde ich noch die bekannte Papyrusparallele
zur Freilassung des Barabbas (P. Flor. 61, 59 ff.) bei Deiß-
mann Licht v. Osten 229 und Klostermann ekk.s 178 vergleichen.

Daß der letzte Gnadenwunsch, weil er so nur noch
in Gal. und Phil, vorkomme, ein letztes Zeichen der
fernen Höhe sei, in der der Apostel stehe, möchte ich
nicht behaupten. Diese letzte exegetische Bemerkung
ist vielmehr ein Zeichen dafür, daß der Kommentator L.
doch bisweilen über-feinfühlig ist; nur scheint mir, daß

solche Übertreibung schöner und tiefer Erkenntnisse in
diesem Kommentar seltener sei als in dem zum Phil.
Man scheidet von dem Buche mit warmem Dank für
die Vertiefung des Verständnisses der Paulusbriefe, das
man durch seine Lektüre empfangen hat.
Kiel. H. Windisch.

Brun, Lyder: Paulus Kristellge Tanker. En Studiebok. Annen
omarbeidede Utgave. Oslo: H. Aschehoug & Co. 1929. (VIII,
200 S.) 8°.

Das jetzt in zweiter, völlig umgearbeiteter und
verbesserter Ausgabe (erste Ausg. 1919) erschienene
Paulus-Buch von Prof. D. Lyder Brun, Universität Oslo,
bietet ein ausgezeichnetes Hülfsmittel besonders für den
akademischen Unterricht, aber auch für Selbststudium,
Bibel stunden usw. Die knappe, aber sehr stoff reiche
Darstellung kann als Kompendium bezeichnet werden,
freilich ein anregendes und gut lesbares. Ein systematisch
angelegter Leitfaden und eine überaus sorgsame
Zusammenstellung des betreffenden paulinischen Stoffes
werden hier geboten. Auseinandersetzungen mit andern
Forschern und abweichenden Auffassungen kommen
nicht vor.

Die Hauptabschnitte behandeln: I. Einleitung; II.
Der Durchbruch, das Evangelium, das Apostelwerk;
III. Der eine Gott; IV. Die Welt und der Mensch; V.
Das Judentum; VI. Die Person und das Werk Christi;
VII. Der Geist und seine Wirkungen; VIII. Das Heil;
IX. Das christliche Leben; X. Die Kirche. — Reichhaltige
Literaturangaben bilden den Schluß,
l.und (Schweden). Erling Ei dem.

von Harnack, Adolf: Einführung In die alte Kirchengeschichte
. Das Schreiben d. Römischen Kirche an d. Korinthische

aus d. Zeit Domitians. (I. Clemensbrief.) Übersetzt u. den Studierenden
erklärt. Leipzig: J. C. Hinrichs 1929. (128 S.) 8°. RM 4-.

Mit der vorliegenden Veröffentlichung schließt
Adolf v. Harnack das kirchengeschichtliche Seminar,
das er 54 Jahre lang (von 1874—1928) in Gießen,
Marburg und Berlin geleitet und in den Mittelpunkt seiner
akademischen Arbeit gestellt hat. Zum Abschiedsgruß
wählt er den I. Clemensbrief, das Schreiben der
römischen Kirche an die korinthische aus der Zeit Domitians
, als beste Einführung in die alte Kirchengeschichte
. „Im I. Clemensbrief stellt sich die älteste
Kirche aus den Heiden nach Geist und Wesen selbst dar,
und man kann durch eine unschwere Analysesowohl ihre
Elemente feststellen als auch ihre weitere Entwicklung
zur katholischen Kirche voraussehen" (S. 5).

Nach einer kurzen Einleitung über die Bedeutung
des Briefes und seine Überlieferung wird eine sorgfältige
, der Erklärung vorarbeitende Übersetzung gegeben.
Sodann handelt v. H. über den Verfasser, der nach alter
und einstimmiger Überlieferung Clemens hieß, aber
nicht, wie Irenäus von seiner Zeit rückwärts schließend
behauptet, Bischof, d. h. einziger Bischof, von Rom war,
sondern einer, freilich wohl der hervorragendste und
deshalb leitende vom damaligen römischen Bischofskollegium
, vielleicht Sklave oder Freigelassener des
Konsuls Titus Flavius Clemens. Bei der Darstellung der
Eigenart des Briefes und seines religiösen Gehaltes wird
sowohl die Auffassung Baurs und der Tübinger Schule,
wie die Lightfoots entschieden abgelehnt: das Schreiben
ist weder eine Vermittlung zwischen Paulinismus und
Judenchristentum, noch ein Versuch, verschiedene neu-
testamentliche Lehrbegriffe auszugleichen und auf
einen Namen zu bringen. Das Bemerkenswerteste an
der nachapostolischen Literatur überhaupt ist ihre Selbständigkeit
und wesentliche Unabhängigkeit vom Schrifttum
der apostolischen Zeit, sind eigene Prägungen, in
die Paulinismus und anderes Alte nur hineinspielt. In
unserm Schreiben aber erscheint das Christentum „als
eine sittliche Bewegung auf dem Grunde des mit
höchstem Ernst und höchster Lebendigkeit empfundenen
Monotheismus, oder besser: auf dem Grunde der Wirk-