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Ausgabe:

1930 Nr. 11

Spalte:

247-250

Autor/Hrsg.:

Lohmeyer, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Briefe an die Kolosser und an Philemon 1930

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 11.

248

wert hat es nur pour reoonstituer l'idee, qu'un Chretien
de Rome pouvait se former du Christ vers la fin du pre-
mier siecle ou au debut du second.

So kann man einen richtigen Gedanken durch Übertreibung
unfruchtbar machen, ja töten.

Erlangen. H. Strathmann.

Lohmeyer, Ernst: Die Briefe an die Kolosser und an
Philemon. Mit Titel Vorwort 0. Register z. Gesamtbande. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1930. (201 u. 4* S.) gr. 8°. =
Kritisch-exegetischer Kommentar über d. N. T. 9. Abtig., 2. Hälfte
8. Aufl. RM 11—.

Erstaunlich rasch ist auf den (Th.L.Z. 1928, Nr.
22 von mir angezeigten) Kommentar zum Philipperbrief
dieser gleichfalls völlig neu bearbeitete und ganz
den Stempel Lohmeyer'scher Art und L.'schen Charismas
tragende Kommentar zu den Briefen an die Kolosser
und an Philemon gefolgt — erstaunlich rasch, wenn
man bedenkt, daß der Verf. inzwischen ein tiefgründiges,
aber nicht nur in paulinische Gründe führendes Buch
über die „Grundlagen paulinischer Theologie" (1929),
das er in unserem Kommentar mehrfach zitiert, sondern
auch gehaltvolle Aufsätze (in ZNTW. und anderswo)
veröffentlicht hat. Der vorliegende Band bildet mit dem
Komm, zu Phil, die 9. Abteilung des Meyer'schen Kommentars
. Die noch fällige Erklärung des Eph. (8. Abt.)
ist vorläufig zurückgestellt, damit zunächst die seit
langem fehlende Erklärung der synoptischen Evangelien
(!) vom Verf. in Angriff genommen werden kann.

Für die allgemeine Charakterisierung des neuen
Kommentars darf der Rezensent auf seine Besprechung
von „Phil." verweisen. Auch hier bekommt der Leser
von Brief und Erklärung den Eindruck großer Geschlossenheit
; auch hier bemüht sich der Verf. um die
Heraushebung der rhythmischen Gliederung; auch hier
sucht er in gewählter, bilderreicher Sprache in alle Gedankentiefen
des Briefes (darunter vielleicht auch von
ihm selbst geschaffene) hinein zu leuchten.

Auch den Kol. sucht L. als den Brief eines Märtyrers
uns lebendig zu machen; doch hält er sich hier
innerhalb der durch den Text des Briefes selbst gezogenen
Grenzen.

Sehr schön arbeitet L. den feierlich-liturgischen
Charakter des Briefes heraus: auch Phil, ist
zum Vorlesen im „Gottesdienst" bestimmt und sein
Diktieren für den Apostel eine gottesdienstliche, eine
geweihte Handlung.

Der „liturgische" Stil kommt in einer gehobenen
Sprache, in einem bestimmten Rhythmus zum Ausdruck
, dessen Herausgestaltung eines der Hauptverdienste
des neuen Kommentars darstellt.

Wie schwer es ist, diesen Rhythmus treffsicher herauszuarbeiten,
zeigte sich mir kürzlich bei der Neubearbeitung des I. Petrusbriefes
(Handb. z. N.T.'): auch diese Schrift ist fast durchgehend rhythmisch
geformt, aber die richtige Gliederung herauszufinden, ist mir bisher nur
an einzelnen Abschnitten geglückt. L. legt (in Übersetzung und Erläuterung
) eine Gliederung vor, die fast immer überzeugend ist. Doch
habe ich gelegentlich auch Bedenken. So möchte ich den Anfang des
kleinen Abschnittes I, 9—11 nicht als dreihebig, sondern zweihebig lesen.

Für die religionsgeschichtliche Würdigung des Kol.
ist die Betonung der jüdischen Grundlage des pau-
linischen Denkens und des gesamten didaktisch-paräne-
tischen Stoffes besonders bezeichnend, fruchtbar und
dem Rez. persönlich sehr sympathisch. Grundsätzlich
formuliert L. das Problem einmal so (S. 95): wo gegenwärtige
Nöte drängen (hier Auseinandersetzung mit der
synkretistischen Lehre in Kolossae), da ist Paulus
„Hellenist"; wo das zeitlos Rettende ihn erfüllt, da
spricht und denkt er im Geist seiner jüdischen Heimat.
So erscheint vor allem das Beten des Paulus durchaus
von alttestam.-jüdischem Geist getragen (vgl. zu 1, 9—12,
zu 4,2—6); ebensosehr die ethische Paränese, die auf
der pharisäischen Ethik des Paulus beruht. Dies gilt
nach L. insbesondere von der „Haustafel" des Kol.,
die L. in einem lehrreichen Exkurs beleuchtet. Gegenüber
Dibelius und dessen Schüler Weidinger betont L.

die Herkunft aus jüdischer-vorhellenistischer Katechismustradition
.

Hier kann ich mir freilich die Einzelbegründung nicht ganz zu
eigen machen. Nach L. richtet sich die Haustafel vornehmlich an das
schwächere Geschlecht der Frauen, Kinder und Sklaven, also an die einheitliche
Gruppe, die gegenüber den Männern in Kultus und Recht, in
Glaube und Sitte die minder Berechtigten umfaßt; d. h. also: für die
freien Männer die Thorah, für die Anderen die Haustafel! Mir will aber
nicht scheinen, daß in Kol. die Männer, Väter und Herren erst wie in
einem Nachtrag dazu kommen; ich sehe hier vielmehr einen (nur für
die Sklaven nicht) gleichmäßig durchgeführten Parallelismus: Frauen-
Männer; Kinder-Väter; Sklaven-Herren.

Natürlich ist die „jüdische Tradition" gelegentlich
auch als Gegensatz, als ein Überwundenes gesehen; so
vor allem in dem Christuslied von der Versöhnung in
Christus (1, 13—20), das L. vom Versöhnungstag,
seinem Ritus und seiner Theologie aus zu verstehen
sucht.

Ich hätte hier zunächst nur an zwei Kleinigkeiten etwas auszusetzen
. Nach Philo bezieht sich jedenfalls das Gebet des Versöhnungstages
, ebenso wie das Versöhnungsopfer Christi, auf die ganze Menschheit
(zu S. 66); und das Opfertier, dessen Blut ausgesprengt wird, ist
(leider) kein „Lamm", (so daß wir berechtigt wären, sofort freudig die
Synthese Kol.-Apok. zu proklamieren), sondern ein junger Stier und
ein Bock!

Als Erbe jüdisch-gläubigen Denkens macht L.
weiter richtig geltend, daß Paulus das Versöhnungswerk
als ein „Handeln Gottes in Christus" beschreibt.

Richtig ist weiter betont das Christozentri-
s c h e in der Lehre des Kol., mit der oben schon angedeuteten
theozentrischen Einschränkung. Besonderes
Interesse gilt der Christologie und den Elementen, aus
denen sie sich zusammensetzt. Neben jüdischen Traditionen
läßt L. natürlich auch den Mythos vom Urmenschen
hereinspielen; weiter auch den Einfluß der
kolossischen „Philosophie": sie hat den Apostel genötigt
, die Engelmächte in das Werk Christi hineinzuziehen
, und auch sonstige Termini ihm eingegeben, wie
z. B. den kosmischen Begriff des „Leibes", den des
„Bestehens" 1,17, des „Pieromas". Wahrscheinlich hat
sie ihn aber auch dazu veranlaßt, seine Anschauung von
der geschichtlichen Erscheinung des Erlösers zu verändern
. Liegt doch in dem Wort von der Inkarnation
des göttlichen Pleroma in Christus 1, 19 f. eine ganz
andere Auffassung vor als in dem Christuslied Phil.
2, 6 ff. L. hat das gefühlt, will aber darum jenen „Ratschluß
" auf die Gesamtheit des Geschehens beziehen,
das mit dem (armen) menschlichen Leben Jesu 'begonnen
und in der Erhebung zum Kyrios geendet hat. Aber
auch bei solcher Beziehung ist doch der Gedanke der
Kenose (wodurch die Lehre von Phil. 2 mit dem älteren
Teil der judenchristlich-synoptischen Überlieferung sich
zusammenfügt) verlassen und die Anschauung radikal
johanneisch geworden (Joh. 1, 14!). Hier erscheint ein
Problem, das noch der Lösung harrt. Die „neue" Christologie
kommt wohl auch in dem aojfxaxt/.iZg von 2, 9
zum Ausdruck, das L. freilich eben wegen Phil. 2, nicht
auf die Menschwerdung beziehen will, sondern auf den
kosmischen Leib, dessen Haupt Christus ist; aber
aiü/xarixolg muß doch auf die göttliche Person des Christus
hindeuten, in ihrer körperlich greifbaren, und auch
einmal körperlich anschaulich gewesenen Realität (I. Joh.
1, 1 ff.): auch hier ist die Kenose aufgegeben.

Sehr schön führt L. immer wieder die christologi-
schen Aussagen des Kol. auf das Urbekenntnis: Herr ist
Jesus Christus zurück. Nur an einer Stelle (zu 2, 6) gibt
er dazu eine Interpretation, die zwar tiefen Sinn hat,
aber nicht richtig ist. Wenn er da die Frage formuliert:
wie kann die Gestalt Christi zu einem Überlieferungsgut
werden, d. h. wie kann mit solcher „Überlieferung" auch
ein „Wandel" gegeben sein? und zur Lösung auf den
göttlichen Gehalt dieser Überlieferung hinweist, die zu
sittlichem Tun fähig macht usw., so liegt die Sache
wohl in Wahrheit viel einfacher, so einfach, daß hier
jede Aporie willkürlich gesetzt erscheint: wie zum Überfluß
auch noch der „Kommentar" Eph. 4, 21 ff. zeigt,