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Ausgabe:

1930 Nr. 10

Spalte:

237-238

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Heinrich

Titel/Untertitel:

Der Deutsche und sein Volk. 2 Reden 1930

Rezensent:

Beyer, Hermann Wolfgang

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237

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 10.

238

Text vermissen. Die Handschriften, die er verwendete, waren ihm nur
durch zufällige Umstände geboten. Der jetzige Herausgeber schafft
sich aber eine neue Grundlage. Er verwendet Handschriften und Inkunabeln
. Von den Handschriften hat er nur die Lesarten von 2 in
den kritischen Apparat gesetzt, nämlich MS Bodleianus 271, 2. Hälfte
des 12. Jhdts., und MS latinus Monacensis 21 248, Anfang des 12. Jahrhunderts
. Über die Verschiedenheit dieser Handschriften spricht sich
die Einleitung aus, ebenso über den Charakter der übrigen verwendeten
Hilfsmittel. Unter dem Text findet sich auch eine Anzahl erklärender
Anmerkungen. In den Literaturangaben vermisse ich die Dogmengeschichten
, die es ermöglichen, an dem Inhalt von Cur deus homo
Kritik zu üben. — S. IX Z. 14 v. o. soll wohl extent heißen.

Kiel. O- Ficker.

Rendtorff, Prof. D. Heinrich: Der Deutsche und sein Volk.

2 Reden. Kiel: R. Cordes 1029. (27 S.) gr. 8°. RM —.90.

Die Kieler Universität verdankt ihrer schönen Sitte
eines akademischen Festaktes am Totensonntag zum Gedächtnis
der Gefallenen eine Reihe sehr ernster und bedeutender
Reden über die Fragen, deren rechte Beantwortung
unsere Stellung zur Geschichte unseres Volkes
und unser Schicksal in der Zukunft bestimmt. Am stärksten
hat nach außen hin wohl jene mannhaft stolze
Rede gewirkt, in der Friedrich Wolters vom Sinn des
Opfertodes für das Vaterland gezeugt hat. 1927 hat
Heinrich Rendtorff, der Theologe, zu seiner Universität
gesprochen, nüchtern und schlicht, aber gerade darum
hineinzwingend in den Geist derer, die da starben. Er
hat von dem geredet, was wir an Trauer und Dankbarkeit
beim Gedenken an sie in ganz persönlicher Weise
empfinden. Aber er weiß, daß es darauf eigentlich nicht
ankommt, sondern daß das Ganze ihres heldischen
Opfers, „das Stück Geschichte, das sich in ihnen verkörpert
", „der geistige Gehalt jenes Geschehens" sachlich
für uns Schicksal und Gericht ist, dem sich unsere
Zeit allzurasch entziehen zu können meint, um ihm dadurch
um so mehr zu verfallen, seiner unwert, während
doch alles darauf ankommt, daß dieses Gericht Läuterung
unseres Geistes sei.

So schildert Rendtorff die im Feld Gebliebenen:
Sie lebten im Angesichte des Todes; sie lebten in der
Gemeinsamkeit; sie lebten ganz bei sich selbst. Und
jedesmal fragt er, wie es um uns bestellt sei, die wir
ihre Erben sind. Nicht in dem unberührten Tone, in
dem von unseren Kanzeln leider so oft die Verderbtheit
unserer Zeit geschildert wird, sondern mit der ernsten
Wahrhaftigkeit dessen, der gerade in der Gegenwart
mitschaffen möchte, weil er um ihre Aufgaben und Möglichkeiten
weiß, spricht er von uns selbst. Etwa von der
Gemeinschaft, welche unsere Frontsoldaten erlebt und
die unser Volk von ihnen hätte lernen sollen. Mutig
spricht Rendtorff es aus, daß seine Universität keine
wirkliche Gemeinschaft hat, wie es sein sollte. Und
von welcher Universität könnte man anderes sagen?
Das liegt daran, daß wir nicht mehr mit unserem ganzen
Sein für eine ganze Sache stehen, wie wir es
draußen an der Front einmal getan haben. Denn „es ist
einfach eine Tatsache, die zu bezeugen wir der Wahrheit
schuldig sind, daß viele unter unseren Gefallenen im
Sturm des Kriegslebens als Menschen ausreiften, sich
selbst fanden wie nie vorher, sich zu ungeahnter Entfaltung
ihrer besten Kräfte des Willens und des Herzens
erhoben, ihr Leben erfüllten".

Die zweite Rede, die Rendtorff in dem vorliegenden
Heft veröffentlicht, ist vor der Kieler Freien Studentenschaft
gehalten und handelt „vom deutschen Volkstum
und von unserer politischen Verantwortung". Sie hat als
Herzstück den Versuch, den Begriff des Volkstums aus
der in ihm liegenden Tiefe heraus zu erfassen. Die Bedeutung
des Bodens, der Sprache, der Rasse (ich würde
immer zuerst „des Blutes" sagen, das seine geheimnisvolle
Wirklichkeit behält, auch wenn nach der Rassentheorie
Mischungen vorliegen), der Geschichte wird in
Rechnung gestellt, dann aber nach einer zusammenfassenden
Einheit gesucht, für die Rendtorff den Begriff
der „geistigen Struktur" anwendet, um die schöpfungsmäßige
Eigenheit des Volkstums zu bezeichnen.
Dann aber wird eindrucksvoll gezeigt, wobei nur die
Polarität dieser Wirklichkeiten in ihrer Spannung und
ihrer Unauflösbarkeit noch stärker hätte herausgestellt
werden können, daß die in der Schöpfung uns gegebene
Volkheit eine nicht erfüllte Aufgabe für uns ist.
Die Zielstrebigkeit, die damit von uns gefordert ist,
schafft Volksgemeinschaft und sie begründet — nach
Rendtorff — die politische Verantwortung gerade für
uns um Geschichte und Aufgabe wissende Akademiker.

Greifswald. H. W. Beyer.

Schneider, D. Adolf: Gesammelte Aufsätze. (= Jahrbuch des
Theoloc. Seminars Posen Bd. 1). Posen: Lutherverlag 1929. (XVI,
232 S.)

Als ich März 1927 auf dem von dem verstorbnen
Verf. dieser Aufsätze eingerichteten Danziger Lehrgang
meine Vorträge über Kierkegaards Christusglauben hielt,
war mir die Begegnung mitSchneider in jeder Hinsicht
die wichtigste. Man lernte verstehen, was er der deutschen
unierten Kirche in Polen als theologischer Lehrer
und Führer war, und was sie durch den überraschenden
Tod des Fünfundvierzigjährigen verloren hat. Mit der
Sammlung seiner Aufsätze durch die Pfarrer G. Greulich
und E. Kienitz hat ihm die deutsche unierte Kirche
in Polen ein Denkmal setzen wollen.

Die so vereinigten Aufsätze verdanken ihre Entstehung
meist der Forderung des Augenblicks. Größeren
Umfangs sind von ihnen nur fünf: Nr. 1 Das Evangelium
der vierzig Tage (19 Seiten), Nr. 16 Zur Gegenwartsaufgabe
der Osterpredigt (14 Seiten), Nr. 24 Zur
Frage des theologischen Bildungsganges (27 Seiten),
Nr. 32 Zur kommenden Agendenreform (15 Seiten),
Nr. 34 Christentum und Idealismus, ein Bericht (19
Seiten). Für die übrigen 30 Aufsätze ergibt sich dann
eine Durchschnittslänge von vier bis fünf Seiten. (Allerdings
handelt es sich um sehr kompressen Druck, der
von der Armut der deutschen unierten Kirche in Polen
zeugt.) |
Man wird in allen Aufsätzen eine theologische Gesamthaltung
spüren, wie sie für einen an führender

| Stelle stehenden Kirchenmann vorbildlich ist: Sehn, hat
eine grundsätzlich-theologische Selbstbesinnung, die ihn
nirgends in rein technisch auf die Wirkung gehende
Praxis hat entarten lassen, verbunden mit einer Hinwendung
auf die konkreten Fragen des Pfarramts und der
Kirche, und zwar gerade auch seiner bestimmten Kirche;
er hat weiter miteinander verbunden eine eigne klare
Grundüberzeugung mit einer immer lernwillig bleibenden
Aufgeschlossenheit für alle ernsthafte Arbeit der
wissenschaftlichen Theologie, auch soweit sie von andern
als seinen Überzeugungen ausging. Es gibt kaum
eine grundsätzlich wichtige Frage aus der gegenwärtigen
theologischen Diskussion, die nicht mit irgend einer
kleineren oder größeren Welle in diesen Band hinein geschlagen
wäre, und an der Sehn, nicht seine Fähigkeit,

I zu verstehen und zugleich zu kritisieren, erprobt hätte.
Der eigentümlichste Aufsatz, charakteristisch für die

| Art, in der Sehn, praktische Theologie getrieben, scheint
mir die erwähnte Nr. 16 über die Osterpredigt zu sein.

1 Aus einer Verbindung systematischer Erwägungen mit

j den Gesichtspunkten der neueren neutestamentlichen
Wissenschaft stellt Sehn, als den Grundgedanken hin:

! Ostern (die Auferstehung Christi) kann nur vom escha-
tologischen Dualismus des neuen Testaments her verstanden
werden; es ist die den neuen Äon heraufführende
Einsetzung Jesu zum Messias. Darum: „Der

; Macht der Finsternis setzen wir" (in der Osterpredigt)
„die Übermacht der Gnade Gottes entgegen, sich bezeugend
und durchsetzend in der Auferweckung Jesu

| Christi". An der üblichen Osterpredigt ist ein Zwiefaches
verkehrt: einmal der Individualismus, der die

j große Gottestat zu Ostern allein mit der Frage der

I persönlichen Heilsgewißheit und Todesüberwindung
zu verknüpfen weiß, sodann die Verengung der