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Ausgabe:

1930 Nr. 9

Spalte:

212-214

Autor/Hrsg.:

Runestam, Arvid

Titel/Untertitel:

Psychoanalyse und Christentum 1930

Rezensent:

Rendtorff, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 9.

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er darin, die Sehnsucht nach voller Erfüllung des Gesetzes im Schüler
zu erwecken — aus dem Glauben heraus und in Kraft des Gebetes (und
der Sakramente); so gliedern unter dem erziehlichen Gesichtspunkt die
anderen Hauptstücke dem ersten sich an.

Das ist in kürzesten Zügen die Skizzierung von B.s Gedanken; aber
eine Fülle von Anregungen quillt neben den Grundgedanken hervor, die hier
nur angedeutet werden können. Ganz besonders fein sind bei Erörterung
der Verpersönlichung die Untersuchungen über den Gebrauch des „Wir"
und des „Ich" im Enchiridion (S. 12 ff.), wie sie m. W. noch nie in
dieser Weise angestellt worden sind; fein sind die Darlegungen über
die sogenannte ungeschriebene Überschrift des Kat. („Ich bin der Herr
dein Gott"); fein auch die Ausführungen darüber, wie das Kind den
Kat. für sein Mannesalter lernt (S. 72 ff.). Das „Nebeneinander" der
Hauptstücke (die Systemlosigkeit des Kl. Kat.) erkennt B. rühmend an,
doch sieht er von Luther unsichtbare und doch unverrückbare Verbindungslinien
zwischen den Hauptstücken gezogen; auf die Darbietung
des Lehrganzen an den jungen Christen verzichtet er nicht, doch will
er vom Kat. Unterricht sie getrennt wissen; die Hereinziehung der
Dogmatik in den Kat. decke diesen zu; geistreich meint B., daß die
„ganze Geschichte der Kat. behandlung in der Kirche Luthers" unter
den Gesichtspunkt sich stellen lasse, daß man immer darauf ausgegangen
sei, das Fehlen der Dogmatik im Kat. zu beseitigen; „nicht ohne Zagen"
kritisiert er auch die Weise, durch Spruchmaterial den KI. Kat. zu erläutern
, und plädiert für selbständigen Bibeluntcrricht, mit allem Ernst
zugleich die volle Selbständigkeit des Kat. Unterrichts zu retten.

B. wird mit seinen Ausführungen auf mancherlei
Widerstand stoßen; in weiten Kreisen wird man z. B.
.gerade in dem „Ineinanderarbeiten" von Text und Auslegung
das Richtige sehen und B.s entgegengesetzten
Rat für irrig erklären; ich möchte freilich gerade diesen
Anregungen reichen Erfolg wünschen und würde eine
Katechismusauslegung begrüßen, die mit der Entwicke-
lung der Auslegung aus dem Text heraus einmal vollen
Ernst machte; in Verbindung mit der großzügigen und
einfachen Weise B.s —, der z. B. warnt, bei den zahlreichen
Verbindungen synonymer Begriffe bei Luther
die einzelnen Begriffe zu zerklären, indem man die Verbindungen
zerstückelt —, wird sie ohne Künstelei sich
durchführen lassen.

Aber B. ist auch durchaus auf Widerspruch gefaßt
; er betont wiederholt, daß er nur anregen und in
keiner Weise dekretieren will. Dennoch stehe ich nicht
an, B.s Buch eine der bedeutsamsten Erscheinungen
zum 400jährigen Katechismus-Jubiläum zu nennen. Die
Verhandlungen gehen heute im Allgemeinen nicht
darum, wie das Enchiridion im Unterricht zu gebrauchen
sei, sondern darum, ob es überhaupt noch zu gebrauchen
sei; über dieser Frage vergißt man mehr und mehr an
der zeitgemäßen Verwendung des altehrwürdigen und
unersetzlichen Büchleins zu arbeiten. B. aber ruft mit
heiligem Ernst und großer Zuversicht zugleich zu solcher
Arbeit zurück, indem er an die „Aufgabe" des
Enchiridions erinnert. Weithin die Stimme eines Predigers
in der Wüste, aber Gott gebe, eine wirksame! —
Noch einige Einzelheiten: Bei dem Ansturm gegen das Enchiridion
wird auch vielfach Gottfr. Kellers Urteil über den Kat. Unterricht seiner
Zeit im „Grünen Heinrich" (fast gleichlautend in der 1. und 2. Redaktion
in Kap. IX: „Schuldämmerung") angeführt; es ist dankenswert, daß B.
(S. 78, Anm. 1) diesen Angriffen mit dem Hinweis begegnet, daß Keller
in Zürich um 1826— 1830 jedenfalls nicht nach Luthers Enchiridion
unterwiesen worden sei; unterwiesen ist er aber wohl ohne Zweifel nach
dem sogen, alten Züricher Kat., einer Zusammenarbeitung von hergebrachten
Züricher Katechismen mit dem Heidelberger: vgl. Real-
Encykl. X S. 154, 19 ff. Die Notiz, die fünf Hauptstücke begegneten
zuerst im „Büchlein für die Laien und die Kinder" (S. 10, Anm. 1),
muß wohl jetzt nach den Ausführungen Buchwalds in Joh. Bugenhagen
, Katechismuspredigten (Leipz. 1909, S. 5) ergänzt bzw. berichtigt
werden. Ein störender Druckfehler ist S. 48, Z. 3, zu beseitigen: statt
Lorenz muß es Brenz heißen.

Ilfeld i. H.____Ferdinand Cohrs.

Schlatter, Prof. D. Adolf: Wohin? Eine Frage an unsere Schule

und unsere Kirche. Bethel: Verlagshdlg. d. Anst. Bethel 1929 (35 S.)

8°. = Sonderdr. d. Monatsbl. Beth-El, H. 3. RM 1—.

Von Schlatter sich über die Lage von Schule und
Kirche belehren zu lassen, ist deshalb wertvoll, weil
seine Betrachtung immer von theologischem Nachdenken
gesättigt ist und weil sein Urteil eigene und eigenartige
Wege geht. Den Organisatoren in der Kirchenpolitik
wünscht man diese theologische Besinnlichkeit Schl.'s,

der Kirchenpolitik des Schlagwortes die Unbefangenheit
Schl.'s. Es ist doch für die Kirche immer besser, wenn
auch nicht notwendig gut, wenn der Theologe den Kirchenpolitiker
überholt als umgekehrt, wenn der Kirchenpolitiker
den Theologen erdrosselt. Das erste ist bei
Schi, der Fall. Ich möchte auf den 2. Aufsatz, der als
die Frucht der kirchengeschichtlichen Stunde das Werden
der Gemeinde ansieht, nicht näher eingehen, sondern
nur an dem 1. Problem die Eigenart der Schl.'schen
Gedankenbewegung aufzeigen.

Schi, bejaht die Forderung der „weltlichen" Schule, insofern die
Schule die Aufgabe hat, das Kind hinein in die Welt zu führen, in
Menschheit und Natur, damit es sich in sie einlebe und sich in ihr
zurechtfinde. Dazu kommt aber nun die Forderung des Christen an
die Schule, daß sie das Kind in die wirkliche Welt einführe d. h.
in die Welt als Gottes Werk — nur so kommt Pflicht in unser Verhältnis
zur Welt — und in eine Welt von Sündern. Von dieser ist
die Schule selbst ein Stück. In der Gemeinschaft, auch in der Schule
entsteht die Sünde; aber es wäre ein verhängnisvoller Fehlgriff christlicher
Pädagogik, sähe sie im Menschen nur den Sünder. Der christliche
Lehrer überwinde das Böse mit Gutem, indem er die durch die
Sünde verdorbene Gemeinschaft zwischen sich und den Kindern wie den
Kindern untereinander herstellt. Gesetz und Evangelium treten hier in
ihr Recht ein. Das Gesetz scheidet Böses und Gutes. Der Gehorsam
gegen Jesu Gebot weckt das sittliche Urteil im Kinde und schenkt ihm
ein Gewissen. Dieses Doppelverhältnis kommt auch in Strafe und Vergehen
zum Ausdruck. Verzicht auf Strafe wäre Verleugnung des sittlichen
Urteils; Strafe ohne Vergeben aber würde die Gemeinschaft zerstören
. Vergeben muß aber von Geben begleitet sein. Der rechte
Lehrer ist der, der die Seligkeit des Gebens kennt. Sie ist aber nur
dann unermüdlich, wenn sie aus dem unbegrenzten Reichtum dessen
schöpft, der „reich ist über alle, die ihn anrufen". Darum ist Jesus
unentbehrlich für die Schule. Die Schule ist das Arbeitsfeld der
Christenheit. Die „nur weltliche" Schule führt das Kind in den
inneren Gegensatz zwischen dem an der Berührung mit der Welt entstehenden
Machtwillen und dem im Kreuz Christi verkörperten Gebot
des Liebens und Dienens, zwischen der kritischen Haltung des Denkens
und der alle Selbstbehauptung aufgebenden des Glaubenden. Dieser
Riß gefährdet die Gesundheit des inneren Lebens. Er kann nur geheilt
werden durch die Liebe, die nimmt, was ihr gegeben wird und gibt,
was sie empfangen hat. Auch die natürlichen Wurzeln der Liebe pflegt
der christliche Lehrer durch die Freundlichkeit seines Verkehrs mit der
Jugend, ansprechende Gestaltung des Unterrichtsstoffes u. s. w. Aber gesicherten
Halt und genügende Nahrung erhält sie nur durch ihre Gründung
in Gott. — Die durch die Schule hergestellte Gemeinschaft findet
ihre natürliche Fortsetzung in der Kirchgemeinde. Ziel der Schulgemeinde
ist Vorbereitung der Jugend auf diese. Das natürliche Verhältnis
beider zu einander ist nicht Feindschaft oder Neutralität, sondern
ein Füreinanderarbeiten.

Die Thesen sind vielfach überraschend. Ich folge
darin dem Verf., daß er für die Vertreter der weltlichen
Schule und der christlichen Schule Weltlichkeit und
Christlichkeit in ihrem Verhältnis zueinander zur Besinnung
aufgibt. Er will einen Standort jenseits der
parteipolitischen Forderung aufzeigen. Er tut es, indem
er dem Begriff der „weltlichen Schule" seinen Inhalt
vom Unterrichtsstoff hergibt. Auf diese Weise bringt
er theoretisch einen Ausgleich zuwege; praktisch sehe ich
keine Möglichkeit der Verwirklichung. Einem rein pietistischen
Schulideal gegenüber hat Schi. Recht, aber deswegen
nicht recht der säkularisierten Schule gegenüber.
Ich wüßte nicht, wo dieses Schulideal Raum ließe „die
Kinder an der Hand Jesu in Gottes Welt hineinzuführen
" (S. 7), den in seinem Werk der Jugend zu
zeigen, der die allmächtige Gnade ist u. s. f. Zwischen
„der weltlichen Schule Schl.'s" und dem weltlichen
Schulideal ist eine Kluft befestigt. Wandelt sich das
weltliche Schulideal zur weltlichen Schule Schl.'s, dann
ist der schulpolitische Kampf der Kirche beendigt.
Mich dünkt, er ist nicht am Ende, sondern am Anfang,
weil man das absolute Gegenteil dessen will, was
Christlichkeit fordert — nämlich die absolut auf sich gestellte
Weltlichkeit. s

Berlin.___Theodor Heckel._

Run es tarn, Prof. D. Arvid: Psychoanalyse und Christentum.

Gütersloh: C. Bertelsmann 1928. (86 S.) gr. 8°. = Studien d.
apologet. Seminars, H. 22. rm 2.80.

Der Titel dieser fünf Vorlesungen ist nicht zu hoch
gegriffen. Tatsächlich werden hier die beiden genannten