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Ausgabe:

1930 Nr. 9

Spalte:

196

Autor/Hrsg.:

Zimmer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Spiel um den Elefanten. Ein Buch von indischer Natur 1930

Rezensent:

Haas, Hans

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195

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 9.

196

Glieder der priesterlichen Aristokratie und des Patriziats
: „Oberpriester und Älteste, geistlicher und weltlicher
Adel bilden den Anhang der S. Die Patrizierfamilien
stehen dabei zu dem Priesteradel in dem gleichen
Verhältnis wie die Pharisäer zu den Schriftgelehrten
: die Laien bilden in beiden Fällen die große
Zahl der Anhänger, die Männer der Religion — bei den
S. die Kleriker, bei den Ph. die Theologen — stellen die
Führer" (S. 97 f.). Es gab also sadduzäische Theologen
neben den pharisäischen, und eine sadduzäische
Theologie neben und gegen die pharisäische.

Noch bedeutsamer scheint mir die von J. an dem
traditionellen Bilde der Schriftgelehrten angebrachte
Korrektur zu sein. Er sieht die Antwort auf die Frage
nach dem entscheidenden Grunde für die geistliche
Machtstellung dieser gesellschaftlichen Schicht im Volksleben
und in der synagogalen Organisation nicht ausschließlich
in ihrem intellektuellen und praktischen Vir-
tuosentum als Beherrscher des Religionsgesetzes, sondern
auch darin, und vielleicht vorzüglich darin, daß
sie im alleinigen Besitz einer Gnosis und der sie weiter
tragenden Überlieferung waren. Mit dieser These greift
]., in dem starken Bewußtsein, die Quellen für sich zu
haben, in die Streitfrage nach dem Quellenwert des von
Bousset gezeichneten, oder richtiger verzeichneten Bildes
der Theologen des älteren Judentums ein. „Behauptungen
wie die von B., die apokalyptische Literatur enthalte
die Religion des Volkes, die talmudische die der
Schriftgelehrten, stellen den Tatbestand auf den Kopf."
J. hat in dieser Polemik nicht bloß einen Sachkenner
wie G. Kittel auf seiner Seite, vgl. dessen Probleme
des pal. Spätjud. 1926 S. 11 ff., sondern auch die Autorität
Schlatters, der die jüdische Apokalyptik gegen
Bousset in den engsten Zusammenhang mit dem hagga-
dischen Midrasch gestellt hat. Und neuerdings neigt
auch Windisch zu der Ansicht, daß die Rabbinen Beziehung
zu der Geheimliteratur und der in ihr tradierten
Gnosis gehabt haben müssen, vgl. in dieser Zeitung
Nr. 1 d. J. die Anzeige von K. Kohlers Origins of the
Synagogue and Church.

Die Bedeutung dieser Erkenntnis von dem Vorhandensein
einer theologischen Geheimlehre im offiziellen
Judentum hat J. nur kurz skizziert mit dem Hinweis
auf die Rolle der Esoterik und Arkandisziplin im
N.T. Auch auf die Rolle der Gnosis in den von der
pharisäischen Theologie beeinflußten essenischen Kon-
ventikeln darf hingewiesen werden. Und daß in dieser
Gnosis die Erlöserlehre des Alten Orients in der Form
der jüdischen Lehre vom Barnasch und seinem sühnenden
Leiden eine zentrale Stelle einnahm, soll hier nur
angedeutet werden. J. wird über dieses Thema demnächst
in Ausführung seines Vortrages auf dem 2. Theologentage
schreiben.

Noch an einer anderen wichtigen Stelle hat J. den
engsten Zusammenhang von Judentum und neutesta-
mentl icher Gedankenwelt aufgedeckt, in dem Konven-
tikelcharakter des pharisäischen Frömmigkeitslebens.
Den hätte man freilich längst aus dem Ordensleben der
Essener und aus der inneren Organisation der nach Damaskus
ausgewanderten pharisäischen Gemeinschaft aus
dem 1. vorchr. Jahrh. ersehen können. J. formuliert den
Tatbestand mit Recht so, daß er sagt, die Pharisäer sind
Mitglieder religiöser Vereine, die dem Zweck
strengster religionsgesetzlicher Lebensordnung dienen
(S. 116). So ist es in der Tat gewesen. Sie sind Gemeinschaften
von „Heiligen" im bewußten Gegensatz
gegen das Israel nach dem Fleisch, Konkretisierung
des „heiligen Restes", von dem einst die Profeten gesprochen
hatten, also eine eschatologische Größe,
wie sich schon die Konventikel, von denen in den Psalmen
öfter die Rede ist, als die von Gott erwählten
Träger der Heilshoffnung und Garanten der kommenden
Gottesherrschaft gewußt haben. Die Syioi der urgemeindlichen
Christus-Bruderschaft sind wie in anderen
Beziehungen so auch in Hinsicht ihrer Abgrenzung ge-

j gen das Israel draußen die Erben dieser pharisäischen
Gemeinschaften.

Auf eine 3. von J. vollzogene Korrektur an dem
traditionellen Bilde des Judentums der nt. Zeit sei nur
zum Schluß kurz hingewiesen. Sie betrifft die auch von
Bousset vorgetragene Meinung, die Pharisäer seien als
solche die Gebildeten der Nation gewesen. Es ist
scharf zu scheiden zwischen Schriftgelehrten und Pharisäer
und die irrige Meinung fernzuhalten, als ob
die Pharisäer als solche Schriftgelehrte gewesen seien

i (S. 125).

Auf den Abschluß der so vielseitigen und immer
I anregenden Untersuchungen J.'s dürfen wir mit Spannung
warten.
Jena. w. Staerk.

Zimmer, Heinrich: Spiel um den Elefanten. Ein Buch von
indischer Natur. Mit 10 Abb. München: R. Oldenbourg 1929. (VI,
184 S.) 8°. = Der indische Geist. Texte z. Wesen d. indischen
Welt. RM 8.50

Zimmers Buch hat drei Teile: Vorspiel, Spiel um den Elefanten,
Nachspiel. Schon über dem Lesen des Vorspiels griff ich zu einer.
Karte, um auf ihr den Zoologen unserer Universität, J. Meisenheimer,
den Verfasser von „Geschlecht und Geschlechter im Tierreich", auf
dieses Buch hinzuweisen. Ich glaubte die gleiche Aufmerksamkeit einem
der Herrn Kollegen in der Veterinärmedizinischen Fakultät schuldig zu
sein und meine: auch der Dozent für Geschichte der Medizin wird gut
tun, es seiner Bücherei oder der seines Instituts einzuverleiben. Jedem
| der Genannten hat diese Publikation am Ende mehr zu sagen als
gerade mir, dem Religionshistoriker, dem es zur Anzeige überwiesen
worden. Dem 1. Kapitel seiner Religionsphilosophie hat bekanntlich Ed.
v. Hartmann die Überschrift gesetzt: „Haben die Tiere Religion?" Und
eben von den Elefanten (der Berge Nordafrikas) wird uns ja bei Pli-
nius erzählt, daß sie beim Schein des neuen Mondes zu einem Fluß
herunterwandeln, sich feierlich in seinem Wasser reinigen, den Rüssel
anbetend zum Nachtgestirn erheben und dann wieder in ihre Wälder
heimkehren, und weiter, daß die Elefanten — das hat Plinius einem
verlorenen Elefantenbuch des Königs Juba von Mauretanien entnommen,
das der afrikanische Fürst dem Kaiser Augustus widmete, — ohne
Unterweisung zu den Göttern beten, indem sie sich mit Meerwasser besprengen
und die aufgehende Sonne verehren, dabei den Rüssel wie eine
; Hand ausstreckend. Aber: um dergleichen geht es nicht in dem Buch
j von Zimmer. Auch ist, was er bietet, nicht eine Untersuchung, die etwa
ihresgleichen hätte in der Studie „Der Pfau in der altchristlichen
Kunst", die vor kurzem erst Helmut Lother vorgelegt hat. Den Kern
des Bandes (S. 89- 133) bildet die Übersetzung eines nicht sehr umfangreichen
indischen Spezialwerks der Elefantenkunde in Versen (betitelt
Mätangalilä, verf. von Nilankatha), dessen Eingang gleich über seinen
Inhalt unterrichtet: Der Ursprung der Elefanten, Glück und Unglück
verheißende Zeichen an ihnen, Zeichen ihrer Lebensdauer und ihres
! Alters, ihre Maße und ihr unterschiedlicher Marktwert, die Arten ihres
j Wesens und Rausches, der Fang der wilden Elefanten, ihre Pflege und
I Behandlung nach Tages- und Jahreszeiten, die Eigenschaften der Elefanten-
1 Wärter und anderes, alles das wird hier in Kürze abgehandelt. Das lila
I des Titels (Mätangalilä) ist im Deutschen wiedergegeben mit „Spiel"
(= etwa Plauderei im Gegensatz zu einem systematischen Lehrbuch).
Das wird es dem Leser verständlich machen, daß Zimmer die 88 Seiten
Einleitung, die er seiner Übersetzung vorangestellt hat, als „Vorspiel"
bezeichnet, und auch das andere, daß sein Eigentext S. 136- 179 „Nachspiel
" überschrieben ist. Hier hat es der Herr Verfasser darauf abgesehen
, den verdeutschten Traktat zu erläutern und in seine geistige
Umwelt zu stellen. Den wesentlichsten Dienst dazu aber leistet ihm
ein großes indisches Korpus der Elefantenmedizin, Hastyayurveda, d. i.
das Wissen vom langen Leben der Elefanten, „dessen autoritativer Ernst
die natürliche Ergänzung des .Spieles' bildet".

Leipzig. H. Haas.

I Scheftelowitz, J.: Die Zeit als Schicksaisgottheit in der
! indischen und iranischen Religion. (Kala und Zruvan). Stuttgart
: W. Kohlhammer 1929. (V, 58 S.) gr. 8°. = Beiträge z. indischen
Sprachwissensch. u. Religionsgesch. 4. H. RM 4.20.
In den Vorträgen der Bibliothek Warburg 1921/22 hat mein
! Leipziger Universitätskollege H. Junker in einem Aufsatz „Über iranische
Quellen der hellenistischen Aion-Vorstellung" die Behauptung aufgestellt,
fraglos sei im älteren Iran Zruvan_der Hauptgott gewesen, der durch
die zarathustrische Reform durch Ohrmazd, wenn auch nicht endgiltig
und vollständig, ersetzt worden sei. Das war eine etwas reichlich
kühne Aufstellung, gegen deren Anerkennung sich alles in mir stemmte.
Wie sollte man schweifenden Nomaden, als die man sich Zarathustra's
Volksgenossen vorzustellen hat - er selbst erst hat sie ins Viehzüchter-
tum hinübergeleitet —, eine so verhältnismäßig hohe Konzeption zu-