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Ausgabe:

1930 Nr. 8

Spalte:

189-190

Autor/Hrsg.:

Tonnesen, Johannes

Titel/Untertitel:

Die religiöse Erziehungsaufgabe im heutigen Bauerntum 1930

Rezensent:

Heckel, Theodor

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189

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 8.

190

sammenhang; und der übertragene Zusammenhang
bleibt dazu immer hypothetisch. Das rationale Verfahren
hat eine sekundäre Artung, eine mindere Dignität.
— Es ist kaum endgütig zu beurteilen, wie weit diese
Nachzeichnung der Konturen des Yorckschen Denkens
und ihre inhaltliche Ausfüllung an der Hand des Briefwechsels
, der doch oft nur Andeutungen bietet, völlig
bis in die letzten Einzelheiten zutrifft. Aber diese historische
Frage steht hier auch garnicht im Vordergrunde,
so unerläßlich natürlich auch sie ist. Die nachschöpferische
Analvse dieser Philosophie durch Kaufmann hat
auch ihren' Wert in sich selbst. Sie führt mit dem
Nachweis, wie schon bei Yorck im großen Zuge die
transzendentale Betrachtungsweise in die Geschichte und
diese wieder in den Dienst der Kritik gestellt ist, ganz
nahe an neueste Auffassungen von der Selbstauslegung
des geschichtlichen Lebens, von deren Ansatzweisen und
Erkenntniswertungen, und hat insofern auch einen bedeutenden
Gegenwartswert.
Greifswald. W. Koepp.

Tonnesen, Pastor a. D. Johannes, u. Pastor Johannes I versen:
Die religiöse Erziehungsaufgabe im heutigen Bauerntum.
Schwerin i. M.: F.Bahn 1930. (42 S.) 8°, = Werkschriften d.
Bemeuchener Konferenz. RM i-2n-

Der eine Aufsatz in dieser Werkschrift der Ber-
neuchener Konferenz handelt von der symbolischen Lebensschau
im Bauerntum und seiner Zerstörung, der
andre von der religiösen Erziehung auf dem Lande.
Beide drehen sich um die religiöse Krisis im Bauerntum,
beide richten die ernste Frage an Kirche und Erziehung,
beide ergänzen sich insofern, als der eine dartut, was
war und nicht mehr ist, der andre zeigt, was nun werden
und geschehen soll. Der erste Verf. nimmt zum
Beweis seiner These den Kl. Katechismus. Einst fand
dieser in der geschlossenen religiösen Lebensschau des
Bauerntums seine Entsprechung (1. Gl. Art: Prinzip der
Väterlichkeit; Aktivität nur in Haus und Hof: 10 Gebote
; Freiheit und Dienst: 4. Gebot und 4. Bitte usw.);
heute redet der Kl. K. bei der Zerstörung des bäuerlichen
Wesens gleichsam in den leeren Raum. — Der
zweite Verf. stellt nach eigner Motivierung der Krisis
die pädag. Forderungen auf für die Erziehung im
Bauerntum. (Vorbildung der Geistlichen und Lehrer
für die ländlichen Aufgaben; illusionsfreie und realistische
Erziehungsweise; Wertung seelischer Aktivität;
Freimachung für ein neues Berufsethos usw.).

Das hier gestellte Problem wird mit Recht heute
von verantwortungsvollen Kirchenmännern und Theologen
, von besonderen Kreisen und Gruppen, auf Konferenzen
und in Zeitschriften (Dorfkirche, Neue Saat)
ernstlich in Angriff genommen. Eine geistige, sittliche
und religiöse Wandlung geht vor sich. Diese Tatsache
trifft zu. Nur ist das Bild der Wandlung viel gestaltenreicher
, als hier im Blick auf Niedersachsen gesehen.
Hierin möchte ich dem 2. Vortrag konkretere Fülle und
Erweiterung wünschen, weil damit auch die Erziehung
andere Formen annehmen muß. Ich denke dabei an
Württemberg etwa; aber auch ganz allgemein an das
Zwergbauerntum usw. Wenn der 1. Vortrag die problematische
Stellung des Kl. Kat. hervorhebt, so bestreite
ich das nicht, stelle aber zwei Fragen: 1. Deckt
sich die Zeichnung der geschlossenen religiösen Lebensschau
des Bauerntums nicht mehr mit einem konstruktiven
theologischen Postulat als mit der geschichtlichen
und tatsächlichen Wirklichkeit? 2. Wird der Kl. Katechismus
nicht zu sehr auf Entsprechungsverhältnisse
zwischen einer vorausgesetzten religiösen Lebensschau
des Bauerntums und seinem Gehalt zusammengespielt,
und werden umgekehrt dadurch die N i c h t-entsprechun-
gen nicht unrichtig verkürzt? — Der Katechismus ist
mehr als ein Standesbuch; die Glaubens- und Kirchen-
krisis geht tiefer als die Standeskrisis. Das Wort des
Kl. Katechismus gilt nicht nur für alle Stände und Ordnungen
, sondern gilt auch trotz ihrer. Zum Beweis genügt
die Erinnerung an das „Nichtsdestoweniger" in
der kurzen Form. Ich stelle darum in der Katechismusfrage
das Entweder-Oder radikaler als der Verf. Entweder
bleibt der Katechismus, wie er ist; dann ist die
Beziehung auf die neue Zuständlichkeit, sei es im
Bauerntum oder im Großstädtertum, von der Kate-
; chese zu fordern. Oder, der Kl. Kat. fällt; dann ist
der Neubau so zu gestalten, daß gleichzeitig die neuen
Forderungen der konkreten Bezogenheit eingebaut sind.
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die Bemeuchener
Konferenz ihre theologischen und pädagogischen Prämissen
an dieser Aufgabe erprobte.

Berlin. Theodor Heckel.

Heitmann, Pastor D. Ludwig: Krisis und Neugestaltung im
Erziehungswerk. Schwerin i. M.i F. Bahn 1930. (90 S.) 8°.=
Werkschriften der Bemeuchener Konferenz. RM 2.40; geb. 3.20.
Dieses schriftstellerisch gute Buch nimmt von der
religiösen Deutung des Zeitgeschehens her, die im Ber-
neuchener Buch dargelegt ist, zu der religionspädagogischen
Frage Stellung. Der Verf. setzt sich das Ziel
von Erziehung unter dem Anspruch des Evangeliums
zu reden. Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit Verfall
und Wandlung in der gegenwärtigen pädag. Zeitlage
. Daran schließen sich die Forderungen der neuen
Erziehung. Hauptgedanke ist der: durch das Evangelium
wird eine neue Wirklichkeitsauffassung erzeugt.
Die Welt wird Gleichnis. Daraus ergeben sich zwei
Grundforderungen für die Pädagogik: 1. die realistische
Grundhaltung, 2. die Symbolhaltung. Die erste
befreit vom Illusionismus, die zweite gibt dem Erzieher
die rechte Stellung (Abstand und Vertrauen), dem Erziehungswerk
Sinn und Einheit. — Das Mittelstück des
Buches ist m. E. der Abschnitt über die Svmbolhaltung
und die Stufen des Symbolgedankens (S. 42). Drei
Stufen werden unterschieden: die naive Einheit der
Gottgebundenheit, wo Sünde und Tod noch nicht ist;
das idealistische Stadium des gegenständlichen Denkens
: Mensch und Gott liegen im Streit; das dritte
Stadium, wo der Bruch voll-endet ist, Tod und Sünde
überwunden sind. — Wenn ich diese mir philosophisch
nicht recht zugängliche Konstruktion recht interpretiere,
so würde es heißen: die echte Symbolhaltung ist in
dem Sinne eschatologisch, als der Glaube an den auferstandenen
Christus die Überwindung von Tod und
Sünde einschließt, gleichzeitig aber immer Kampf gegen
beides ist und darum Hoffnung bleibt. Das Erziehungswerk
wäre dann von da aus — der Neuschöpfung Gottes
— ebenso verheißungsvoll wie kampfreich und begrenzt.
Ich vermute aber, daß ich unrichtig deute, denn sonst
würde die Fruchtbarkeit der Symbolhaltung für Erzieher
und Erziehungsgestaltung positiver ausfallen als
in dem Buch. Am auffallendsten ist die Resignation,
wo der Verf. zur Einheitlichkeit des Erziehungswerkes,
von Schule und Erziehung und der kirchlichen Schulpolitik
spricht. Es liegt mir fern einem Optimismus zu
huldigen; ich will auch die säkulare und autonome
Pädagogik nicht verteidigen; dennoch glaube ich, daß
die Pädagogik in mehr als einer Hinsicht viel positiver
beurteilt werden muß, und glaube vor allem, daß eine
prinzipielle Auseinandersetzung über Pädagogik innerhalb
der ev. Theologie nicht mehr an der Grundlegung
einer Erziehungslehre auf reformatorischer
Grundlage, wie sie namentlich von Frau D. von Tiling
in Schule und Evangelium erfolgt ist, vorübergehen
kann. Grade weil ich mit dem Verf. darin einig bin,
i daß man das Evangelium nicht zu einem Erziehungs-
[ System, aber auch nicht die Erziehung zum Evangelium
! machen darf, bleibt es mir fraglich, ob das Erziehungswerk
vom Verf. richtig angesetzt ist. Trotzdem bleibt
es für den Fortgang der Diskussion über das aktuelle
Problem sehr wertvoll, daß die gedankenreiche Schrift
I einmal den Standpunkt der Bemeuchener Konferenz
j zur Sache präzisiert hat.

! Berlin._ _ Theodor Heckel.