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Ausgabe:

1930 Nr. 8

Spalte:

183-185

Autor/Hrsg.:

Heiberg, A.

Titel/Untertitel:

Søren Kierkegaards Papirer. 10. Bd., 4. Abt 1930

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 8.

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rungen im Entwurf von 1927 und 1928 gegen 1662,
einen Bericht über die Gesichtspunkte der Parteien.
Theologisch nicht gerade tief eindringend, auch in dem
Bericht über Umfang und Sinn der Revision nicht scharf
und bestimmt genug den Tatbestand erfassend, ist dies
Hauptstück doch eine der Unparteilichkeit sich befleißigende
, auf Grund nicht leicht zugänglicher englischer
Zeitungs- und Zeitschriftartikel gearbeitete nützliche
Darstellung.

Weniger Günstiges ist von dem einleitenden Abschnitt
über die Geschichte des CPrB zu sagen. Er
geht vollständig hinweg über die Bedeutung, die die
Oxford-Bewegung für die Urteile über das Verhältnis
von CPrB und 39 Artikeln gehabt hat. Wer über die
englische Kirchengeschichte nicht Bescheid weiß, wird
erst nachträglich, da wo B. auf die Gesichtspunkte der
Parteien kommt, anfangen zu verstehen, und auch das
nur unvollkommen.

Was soll sich z. B. ein nicht Unterrichteter unter dem Satze denken,
daß die 39 Artikel „in der amerikanischen Schwesterkirche erst 1801"
angenommen wurden? Darf man hei einem solchen als bekannt voraussetzen
, daß erst mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung für
die Bildung einer amerikanischen bischöflichen Kirche die Voraussetzung
gegeben war, während in der kolonialen Ära die amerikanischen Bischöflichen
zum anglikanischen Bistum London gehörten? Daß 1801 die
amerikanische bischöfliche Kirche eben in den allerersten Anfängen ihrer
Organisation war? Ähnliche seltsame Auswahl der Notizen findet sich
auch sonst.

Aber das Merkwürdigste an dem Buche ist doch ein von Justus
Ferdinand Laun angehängtes Nachwort über „den Kampf zwischen
Katholizismus und Protestantismus" in der anglikanischen Kirche. Formell
: es wirkt fast wie eine Zensur des Verf.s Böhme durch den Herausgeber
Laun. Um so mehr, als Laun mit folgender Note schließt:

„Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei hier noch einmal darauf
aufmerksam gemacht, daß diese Schriftenreihe ein Forum sachlicher
Aussprache sein soll, weshalb der Herausgeber jeden Verfasser ungehindert
seinen Standpunkt darlegen läßt, sich aber auch selbst volle Freiheit
der Meinungsäußerung vorbehält."

Sachlich kann Laun's Nachwort nur den Sinn haben, den sachlichen
Bericht Böhme's durch eine Betrachtung vom anglokatholischen
Parteistandpunkte aus zu korrigieren. So bietet er die anglokatholische
Betrachtung der englischen Kirchengeschichte, welche das schlechthin
Revolutionäre der Oxfordbewegung durch Eintragung ihrer Tendenzen in
die Vergangenheit verhüllt, als geschichtlichen Bericht an, und urteilt
über die Abstimmung der Freikirchler im Parlamente gar folgendermaßen
:

„Durch den Mißbrauch ihres parlamentarischen Stimmrechts haben
die Freikirchler es den Anglikanern übel vergolten, daß diese ihnen Sitz
und Stimme in einem Parlament gewährt haben, das die gesetzliche
Oberhoheit über ihre, von den Freikirchlern durch Jahrhunderte abgelehnte
Kirche besitzt."

Also die Verleihung voller Bürgerrechte an die Dissenters im
19. Jahrhundert ist nicht die Beseitigung einer jahrhundertalten staatlichen
Bedrückung, sondern ein Gnadengeschenk der anglikanischen
Kirche, für das die Dissenters sich dankbar zu erweisen haben. Am
merkwürdigsten finde ich indes den Schlußabsatz, der die Ablehnung
des neuen CPrB im Interesse der kirchlichen Einheitsbewegung bedauert
und eine Vereinigung von Katholizismus und Protestantismus in
einer Kirche für wünschenswert hält, und unter diesem Gesichtspunkte
sogar die Verhandlungen von Mecheln (siehe über sie ThLZ. 1928
Sp. 86 ff.) begrüßt, welche doch bekanntlich die Anerkennung des päpstlichen
Primats als eine der Bedingungen der Einigung festgelegt haben.
Göttingen. E. Hirsch.

Suren Kierkegaards Papirer. Udgivne af ft A. Heiberg, V. Kühr,

E. Torsting. Bd. X, 4: Journaloptegnelser (A) 22. I. 1851 30. VIII.

1852. Kopenhagen: Gyldendal 1929. (XXXII, 536 S.) gr. 8°.
Über Art und Einrichtung der Ausgabe von Kierkegaards
Tagebüchern hab ich ThLZ. 1926 Sp. 313 ff. und
1928 Sp. 136ff. genau berichtet. Was zum allgemeinen
Bericht noch nachzuholen ist, ist vielleicht das Verhältnis
des bisher ungedruckten Stoffes zu dem in der älteren
Ausgabe (E. P. = Efterladte Papirer) schon gedruckten
. Die in diesem Bande vollständig mitgeteilten Tagebuchhefte
N B 23. 24. 25. 26 sind ausgezogen E. P.
VIII 25—252. Der Umfang der einzelnen Seite ist in
beiden Ausgaben ziemlich gleich, höchstens in der neuen
Ausgabe um bis zu 150 Buchstaben größer. Dennoch
braucht die neue Ausgabe, alles Beiwerk abgerechnet,
482 S. statt 227 S. der alten. D. h. reichlich die Hälfte

j des in ihr Mitgeteilten ist bisher unbekannt gewesen
| (wenigstens uns; dänische Kierkegaardforscher, z. B.
Geismar, haben, da die neue Ausgabe im Manuskript
fertig ist, schon von dem gesamten Material Kenntnis nehmen
können). Rechnet man noch hinzu, daß E. P.
, einige lose Blätter, die in der neuen Ausgabe an andrer
I Stelle folgen werden, eingeschoben haben (z. B. E. P.
VIII 146—48), so verschiebt sich das Verhältnis noch
mehr zugunsten der neuen Ausgabe.

Da die neue Ausgabe nur in kleiner Stückzahl (500) gedruckt wird,
sollte man für ihre rechtzeitige Anschaffung durch die Bibliotheken
sorgen.

Ich gebe Proben für das, was in E. P. weggelassen
ist.

X4 A6: Meine Aufgabe. Gerade um mit Zentnergewicht
niederdrückend fallen zu können auf diesen ganzen politischen profanen
Reformer des Göttlichen, gerade darum mußte ich soweit hinaus geführt
werden, daß ich darin, Bewegung zu repräsentieren, jeden ihrer Repräsentanten
überbieten kann. — Und dann der Schwung, wie er geschehen
ist im Vorwort zur „Einübung im Christentum", eine Art symbolischer
Handlung: daß ich als der einzige dazu verurteilt bliebe, ein mäßiger
Christ zu sein. — Das Unglück der Zeit, insbesondre nun nach 48,
ist gerade mißverstandne Bewegung: daß man en masse reformatorisch
sein will. — Aber hätte ich nicht die „Einübung im Christentum" herausgegeben
, hätte ich sie bis auf weiteres zurückgehalten, um mir nicht
womöglich Ungelegenhciten des Mißverständnisses mit dem Bestehenden
zuzuziehen, so hätte ich beständig daran zu zehren gehabt, ob ich nicht
doch (nur) mich selber geschont hätte. . . Vor allem, hätte ich diese
drei Schriften, die in der „Einübung im Christentum" enthalten sind,
eine nach der andern einzeln herausgegeben, so hätte ich das in dem
Gedanken getan, es sei meine Aufgabe die Bewegung in Gang zu bringen
— wohingegen es meine Aufgabe ist die Reformatoren zu verzehren.
— Da alles ironisch ward in Kopenhagen, da drehte ich, der Meister
der Ironie, das Verhältnis um und ward ein Gegenstand der Ironie. Da
das Chaos 48 siegte, da ward es recht deutlich die Aufgabe für mich,
der ich ein Stimulus in Richtung auf Bewegung gewesen war, (nunmehr)
gerade gegen die Reformatoren sich zu richten. Das hab ich immer
verstanden, aber ich mußte es bloß noch äußerlicher verstehen. — O, so
lenkt sich denn alles zum Besten. Und das ist der selige Trost, in
dem ich allzeit Ruhe gefunden: entweder ich greife richtig — und
danke Gott, oder ich greife fehl, und dann macht seine unendliche
Liebe es gleichwohl nicht allein zu dem was richtig ist, sondern zu
etwas, was weit richtiger ist als es sonst geworden wäre. Unendliche
Liebe!

Zu dieser Stelle verweisen die Herausgeber weiter
auf X 4 A 15. 27. 30. 33. 38. 77. 88. 97. 102. 117.
118. Alle diese Stücke drücken den Gedanken aus, daß
jetzt, in der Zeit der Masse und der Parteien, nicht die
Möglichkeit zu einer neuen Reformation der Kirche ist,
meist auch, daß es Kierkegaards Aufgabe ist, gerade
das klar zu machen. Alle diese Stücke, mit Ausnahme
von 97, sind nun in den E. P. entweder gar nicht oder
nur mit einzelnen gerade diese Gedanken zurücktreten
lassenden Sätzen aufgenommen. Man sieht daraus deutlich
den Grundsatz, Wiederholungen zu vermeiden. Aber
man sieht auch einmal daß damit gerade undeutlich
wird, wie nachdrücklich und angelegentlich ein Gedanke
Kierkegaard beschäftigt, wie er in ihm wird und sich
formt, sodann daß der Grundsatz kaum durchführbar
ist, ohne gegen bestimmte Gedanken parteiisch zu
werden. — Ein andres Beispiel für bisher Ungedrucktes:
X 4 A 446 (Gottes)Majestät — die Gnade (an erster
Stelle). Daß je näher ein Mensch sich zu Gott hält, je näher er ihm
kommt, je mehr er will was Gott will, alles desto strenger wird, (er)
desto mehr Leiden in dieser Welt (erfährt), — das ist gewiß, das ist
Christentum, ist Geist, liegt in Gottes Majestät, das kann nicht anders
sein. Daß Gott gleichwohl oder besser gerade dann unendliche, unendliche
Liebe ist, ist ebenso gewiß; o selig (sind) jene Herrlichen, die
es haben aushalten können, so mit Gott zu tun zu haben. Daß ihre
Errettung gleichwohl „Gnade" ist, ist ebenso gewiß; denn das ist wieder
Ausdruck der Majestät: niemand kann errettet werden ohne aus Gnaden.
Aber diese Herrlichen haben die Gnade nicht an erster Stelle, ihr Leben
drückt Anstrengung des Geistes aus in strengem Sinne; und während
sie selbst vor Gott erkennen, daß sie aus Gnaden errettet werden, sollen
wir andern uns tief vor ihnen beugen. — Dann kommt das folgende
Verhältnis. Ein Mensch erkennt es, wie fürchterlich es ist Gott ganz
nahe zu kommen (was doch gleichwohl Gottes Forderung ist), aber gesteht
seine Schwachheit, daß er es — zum mindesten nicht jetzt —
(nicht) wagt — und schiebt so die Gnade an erster Stelle ein, sodaß
I die Gnade auch Erlaubnis bekommt, hinsichtlich der Anstrengung bis