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Ausgabe:

1930 Nr. 8

Spalte:

182

Autor/Hrsg.:

Werdermann, Hermann

Titel/Untertitel:

Pfarrerstand und Pfarramt im Zeitalter der Orthodoxie in der Mark Brandenburg 1930

Rezensent:

Laag, Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 8.

182

wirktsein durch einen sittlich neutralen, naturhaften Allmachtswillen
. Es ist immer so gedacht, daß Gottes an
sich gutes Wollen und Wirken im bösen Willen gerade
das Böse hervorbringt. Sodann, die Zornesmächte
haben alle ihren Ursprung in Gottes Willen, sind Beziehungen
des wesentlich guten Gottes auf das Böse.
Selbst der Teufel muß sich dieser Betrachtung unterordnen
; das was ihn wirklich teuflisch macht, seine das
Gewissen quälende Macht, hat er aus Gottes Zorn, Gerechtigkeit
und Gesetz. Beide Aussagen haben zwei
Voraussetzungen: a) daß man über den Ursprung des
Bösen nicht grübelt, sondern nur unter Voraussetzung
des Gegebenseins des Bösen denkt, b) daß man Gottes
mit sich einigen guten Willen in jeder seiner beiden
uns wahrnehmbaren Gestalten als das Böse nicht bezwingenden
majestätischen Zorneswillen, und als das
Löse durch Selbsthingabe bezwingenden Liebeswillen
wieder zu erkennen vermag. Diese beiden Voraussetzungen
bezeichnen die Grenzen, die das Nachdenken
Luthers niemals überschritten hat. Sie gehören zusammen
. Denn allein durch die Sünde treten Gesetz
und Zorn aus dem Evangelium und der Liebe als eigne
Gestalten göttlichen Willens für uns heraus. Irgendeine
innere Folgewidrigkeit, irgendein Einschuß metaphysischer
oder naturalistischer Spekulation ist nicht wahrzunehmen
. Luther hat in de servo arbitno lediglich in
seiner religiösen Grundanschauung enthaltene Satze ausgesprochen
.

Der Schluß des dritten Kapitels entwickelt dann
von der gewonnenen Einsicht aus die doppelte Wirkung
des einen und gleichen göttlichen Zorns als den Menschen
von Gott wegtreibenden und zu Gott hin wendenden
, als charakteristischen Exponenten der Beziehung
von Dualismus und Alleinwirksamkeit, und dann die
Einheit von Zorn und Liebe, wie sie der Glaube trotz
des Geheimnisses der Prädestination bejaht, aber niemals
begreift, als charakteristischen Exponenten von
Luthers Offenbarungsbegriff. Gottes Offenbarung ist
nicht gegenständlich-intellektualistisch abgeschlossen, sie
ist ein Inbesitznehmen des Glaubenden durch den verborgenen
Gott, um sich ihm in Christus immer aufs
neue zu geben und aufzuschließen. Die Offenbarung
bedeutet, daß Gott in Christus als kämpfende Macht in
unsre Seele tritt. Aus diesem Teilhaben der Offenbarung
an dem dualistischen Grundverständnis Luthers
lassen sich alle seine Aussagen über den deus abscon-
ditus und revelatus verstehen.

— — Statt zu den Ergebnissen Br.s im einzelnen
Stellung zu nehmen, möchte ich am Schluß ein Wort
über sein tieferes Verfahren sagen. Dem Lutherforscher
droht eine doppelte Gefahr. Entweder, daß er an
dem Bildhaften und Zufälligen der Einzelaussage hangen
bleibe und uns so einen naiv-mythischen und gegen-
ständlich-orthodoxistischen Luther produziere, den es so
niemals gegeben hat. Das scheint mir — abgesehn von
den Materialfehlern und der dadurch gegebnen Verdunkelung
des Tatbestands — die Klippe zu sein, an
der Theodosius Harnack's tiefsinnige Schau gescheitert
ist. Oder, will der Lutherforscher dieser Klippe entgehen
, so deutet er Luther um von bestimmten allgemeinen
Gesichtspunkten her und scheidet ganze Bild-
und Vorstellungsreihen als unter der eigentlichen reformatorischen
Einsicht liegend oder ihr widersprechend
aus. Das ist die Gewaltkur, die sich A. Ritsehl und
seine Schule mit Luther erlaubt hat und deren Fehlgriffe
uns erst durch K. Holl aufgedeckt worden sind. Den
Weg durch beide Gefahren hindurch zu finden ist
nicht leicht. Br. ist es bei einer besonders zu Fehlgriffen
reizenden schwierigen Aufgabe gelungen. Er bleibt an
keiner bildhaft-zufälligen Aussage Luthers hangen, aber
er geht auch über keine hinweg. Auf dem Wege eindringenden
Nachdenkens sucht er den Sinnzusammenhang
zu fassen, der in jeder einzelnen Aussage lebt und
jede einzelne gerade in ihrer besondern Gestalt begreiflich
und wichtig macht. D. h. er verbindet historische
und systematische Fragestellung zu einer einzigen
Methode. Das ist der einzige Weg, der in der Lutherforschung
zu fruchtbaren Erkenntnissen führt. Der
bloße Systematiker und der bloße Historiker, sie werden
an Luther alle beide zuschanden werden.
Göttingen. E. Hirsch.

Werdermann, Lic. Dr. Hermann: Pfarrerstand und Pfarramt
im Zeitalter der Orthodoxie in der Mark Brandenburg.

Berlin: M. Warneck 192Q. (82 S.) 8°. = Studien z. Gesell, d.

evangel. Pfarrerstandes, H. 1. RM. 2.80.

Das Unternehmen Hermann Werdermanns, Studien
zur Geschichte des evangelischen Pfarrerstandes herauszugeben
, die uns teils einzelne Lebensbilder, teils zusammenfassende
Untersuchungen bringen sollen, ist vor
allem deshalb zu begrüßen, weil oft über den Pfarrerstand
vergangener Zeiten geschrieben ist, ohne daß genügend
gesichertes historisches Material benutzt wurde.
Außerdem erscheint es angebracht, daß in einer Zeit, wo
der Pfarrerstand sovielen Angriffen und Verleumdungen
ausgesetzt ist, genau untersucht wird, wie der Pfarrerstand
in früheren Jahrhunderten ausgesehen hat und
welche Bedeutung er für die deutsche Kultur gehabt
hat. Da vier Hefte jährlich vom Herausgeber geplant
sind, besteht die Möglichkeit, daß der evangelische
Pfarrer der Vergangenheit bald für uns eine festum-
rissene Größe wird.

Als erstes Heft dieser Studien liegt vom Herausgeber
der Sammlung selbst verfaßt das obengenannte
Büchlein vor. Ein glücklicher Aktenfund, den der Kon-
sistorialrat von Bonin im ev. Konsistorium zu Berlin
gemacht hat, liefert W., wie er selbst angibt, eine
reiche Ausbeute für seine Arbeit. Zur Ergänzung wird,
wie die Anmerkungen es verdeutlichen, eine Anzahl von
Untersuchungen über den Pfarrerstand herangezogen.
Manches Interessante erfahren wir über wirtschaftliche
Verhältnisse der Pfarrer, ihre Amtstätigkeit, über das
Verhältnis der Amtskollegen zueinander, über die Form
des Gottesdienstes usw.

f 1 Trotz mancher wertvollen Erkenntnisse, die wir gewinnen, habe ich
doch einige Bedenken zu äußern, falls diese Schrift die einzige
über den ev. Pfarrerstand zur Zeit der Orthodoxie in der Mark Brandenburg
bleiben soll. Trotz vieler Einzelentscheidungen haben wir z. B.
noch kein klares Bild über die wirtschaftliche Lage des Pfarrers im
17ten Jahrhundert. Erst wenn wir einmal genau wüßten, wieviel Land
etwa durchschnittlich zu einer Pfarre gehörte, wie hoch Naturalien damals
im Wert standen, welche Kaufkraft das Geld hatte, das für
Amtshandlungen gegeben wurde, werden wir endgiltig entscheiden
können, ob der Pfarrerstand damals ein Notstand war oder ob es sich
als Pfarrer ganz bequem leben ließ, wenigstens in der Zeit nach dem
dreißigjährigen Kriege. Sodann hätte ich in der Abhandlung gerne etwas
über die theologische Bildung, die homiletischen Gaben, die geistige
Höhenlage des Pfarrerstandes überhaupt erfahren, wenn ganz allgemein
der Pfarrerstand der Orüiodoxie der Mark Brandenburg
behandelt wird. Der Verfasser bedauert selbst, hierüber wegen Mangels
an Quellen nicht eingehender berichten zu können. Aber sollte es
wirklich in Brandenburg hierfür in Betracht kommende Quellen nicht
geben? In Pommern z.B., das ich besser übersehen kann, haben wir
eine Fülle von Predigten, Kasualreden, auch Gedichten und Abhandlungen
gerade aus der Zeit der Orthodoxie des 17. Jahrhunderts.
Sollte das Material in Brandenburg nicht so gut gesammelt sein, wie in
Poinmerschen Archiven, so müßte meines Erachtens mit Hilfe der Kirchenbehörde
der Versuch gemacht werden, durch die Pfarrer das Material
sammeln zu lassen, das, wie die Erfahrung immer wieder lehrt, in den
Pfarrarchiven noch schlummert.

Es wäre zu wünschen, daß die uns vorliegende
wertvolle Arbeit, die schon reiches Licht auf die Zeit
der Orthodoxie wirft, doch von dieser Seite durch eine
zweite Studie ergänzt würde.

Greifswald. Heinz Laag.

Böhme, Kurt: Die Krisis der englischen Staatskirche. Der

Streit um d. „Prayer Book". Mit e. Beitr. d. Hrsg. Gotha: L. Klotz
1929. (IX, 82 S.) 8°. = Für d. Einheit d. Kirche, 4. RM 3—.
Die Hauptmasse dieser Schrift (S. 13—64) wird
eingenommen von einer Darstellung des Streits um das
Common Prayer Book (CPrB) 1927—1929. Sie umfaßt
einen Abriß der Ereignisse, eine Skizze der Verände-