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Ausgabe:

1929

Spalte:

152-153

Autor/Hrsg.:

Karner, Friedrich Karl

Titel/Untertitel:

Der Vergeltungsgedanke in der Ethik Jesu 1929

Rezensent:

Strathmann, Hermann

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fragen. Zwar wird zu 1, 3 die Lesart des westlichen
Texts bevorzugt. Aber das ist ein zufälliger Einfall.
Denn der westliche Text wird z. B. weder zu 2, 4 (ohne
xat) noch zu 3, 3 (oi itvevficcvi -ttsw XcctQSiovTsg statt
d-eoi) überhaupt erwogen. Das ist um so auffälliger,
als Barth dort eine Auslegung befolgt, die das /.cd
tatsächlich beseitigt, und an die zweite Stelle ihm besonders
wichtige Betrachtungen knüpft. Grammatische
und lexikalische Fragen spielen so gut wie keine Rolle.
Noch weniger Fragen der Religionsgeschichte.1

Das Buch weicht bewußt ab vom Typus der gelehrten
Kommentare. Es bewegt sich auf einer anderen
Ebene. Was sie an Wissensstoff beigebracht haben, wird
nur hie und da und wie beiläufig benutzt. Dabei wird
der immer noch bedeutendste der neueren wissenschaftlichen
Kommentare, der von Haupt, soviel ersichtlich,
übergangen. Dafür werden Chrysostomus, Luther, Calvin
, Bengel, Schlatter und eine sonst wenig bekannte
Arbeit über den Jakobusbrief und den Philipperbrief, die
Fritz Horn unter dem Titel „Die Scheidung der Geister"
veröffentlicht hat, häufig zitiert.

Schon darin kommt zum Ausdruck, daß die ganze
Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, den zentralen religiösen
Gehalt herauszuarbeiten, in der Beleuchtung natürlich
, wie er dem Verf. erscheint. Das geschieht mit
Entschlossenheit und Kraft, in der Haltung des Bekennenden
, des Bezeugenden. Darauf beruht die Ein-
drücklichkeit des Buches. Doch würde der Verf.
eine Wendung wie „Herausarbeitung des religiösen
Gehalts" oder eine Kennzeichnung als „religiöse" Auslegung
wohl als eine Vermenschlichung ablehnen. Denn
Christus ist „von vornherein das Ende aller Religion,
auch einer allfälligen (?) christlichen Religion" (S.
97) — soli deo gloria. Diese gloria dei oder Christi
oder seiner Gnade im Gegensatz zu allem menschlichen
Tun und Frommsein und selbst „Glauben" als das einzig
Wirkliche hervortreten zu lassen, ist ohne daß gerade
diese Wendung gebraucht würde, die beherrschende
Leitidee dieser an der Hand der Besprechung des Paulusbriefes
erfolgenden Zeugnisablegung. Darum muß
selbst der Genetiv in der Wendung owa&kovvreg vr
itlorei tov svayysliov (1, 27) ein Genetivus subjek-
tivus sein: Glaube des Evangeliums. „Der Glaube ist
nicht mein, sondern Gottes. Wenn ich für meinen Glauben
kämpfe, so weiß ich nicht, wofür ich mich bemühe,
auch nicht, ob es Geltung und Dauer hat. Streite ich für
Gottes Treue (!), so schlage ich den Goliath" (Horn).
Darum wird in 3, 3 die Wendung „ol ixveiiiixti if-sov
Xcitq£vovt£s" wiedergegeben „die wir durch den Geist
Gottes fromm sind" — ein Gedanke, der gewiß nicht
unpaulinisch ist, aber dem Zusammenhang der Stelle
durchaus fern liegt. Dazu wird bemerkt: „Gott selbst
macht uns fromm, sein Geist tritt für uns ein bei ihm
selber. Die ängstliche Frage nach der rechten Religion
existiert nicht für uns. Nicht der christliche Kultus soll
gegenüber dem jüdischen als der göttlich-geistige gerühmt
, sondern schlechterdings das soll gesagt werden,
daß im Christentum durch das icveiiia -3-eov jene Frage
erledigt ist." Ist die so aufgerichtete Objektivität mehr
als eine scheinbare? — Darum auch kann es sich in
2, 12 „itera epoßov xat tqÖiiov tt)v tavxcüv owzrjcitav
■/.areQyaQeo&e"„auf keinen Fall um den Imperativ handeln
" die Seligkeit zu schaffen. „Es ist ein abgekürzter
Ausdruck für: als Christ leben, sich als das, was man
als Christ ist, zeigen und bewähren", in Furcht und
Zittern, d. h. in Demut der einen gegen die anderen (S.
66f.). Aber „was hier überhaupt real geschieht, das
hat Gott zum Subjekt" — heißt es weiter zu v. 13. Wird
nicht so der Imperativ in v. 12 durch die Aussage über

1) Das alles kann man freilich in anderen Werken reichlich, bisweilen
im Ubermall, haben. Es muli gewiß nicht immer alles wiederholt
werden. Fragen mag man aber, ob dieses Beiseiteschieben für ein
Buch, das Wiedergabe einer Vorlesung ist, zweckmäßig und nicht zu
weit getrieben ist.

Gott, der in uns wirkt (v. 13), ausgelöscht, während er
in dem tiefsinnigen Wort des Apostels durch sie seine
stärkste Kraft empfängt? —

„Alles Erklären", heißt es einmal (S. 44), ist „nur
ein Assistieren bei der Selbsterklärung des Textes".
Bei aller dankbaren Anerkennung für die lebendige
Kraft dieser Auslegung kann doch die Befürchtung nicht
ganz unterdrückt werden, daß die Assistenz durch die
Theologie des Assistenten beeinträchtigt worden ist.
Dogmatik und Exegese sollten möglichst unvermischt
gehalten werden. Daß gerade eine Theologie, die es als
ihre besondere Aufgabe ansieht, die Objektivität des
göttlichen Wortes herauszuarbeiten, zu einer solchen
Warnung vor Subjektivität herausfordert, ist gewiß bemerkenswert
.

Ist es erlaubt, noch ein Wort zum Stil zu sagen ?
Wie wohl hier fast ein jeder im Glashause sitzt! Ist er
nicht bisweilen ein wenig aufgeregt? zu sehr Worte auf
Worte häufend? hie und da mit dem Anspruch, durch
scheinbare Paradoxieen zu überraschen? Ist er nicht
durch zu reichlichen Gebrauch von Fremdwörtern (z. B.
„konkurrenzieren" S. 25) bisweilen verunstaltet? Die
Fremdwörterseuche nimmt in der Theologie wieder erschreckend
zu. Soll mit Beispiel und Gegenbeispiel gewirkt
werden, so würde ich unserem Buche die anspruchslose
Sachlichkeit und schlichte Klarheit der Rö-
merbriefauslegung von Th. Häring gegenüberstellen.
Freilich, le style c'est l'homme. Dadurch ist aber Stilpflege
nicht ausgeschlossen.
Erlangen. H. Strathmann.

Karner, Priv.-Doz. Lic. theol., Dr. phil. Friedrich Karl: Der Vergeltungsgedanke
in der Ethik Jesu. Leipzig: Dörffling &
i Franke 1Q27. (IV, 123 S.) gr. 8". RM -1.60.

Diese Studie ist eine von Leipoldt angeregte Leip-
' ziger Lizentiatenarbeft. Eine einleitende Übersicht über
die in der bisherigen Erörterung des Problems zutage
getretenen Gesichtspunkte endigt mit der doppelten
Frage ob nicht der Vergeltungsgedanke bei Jesus das
religiöse Verhältnis durch Eintragung einer
rechtlichen Vorstellung, die Ethik aber durch Hetero-
noinie gefährde. Der folgende Abschnitt über den Ver-
I geltungsgedanken im Judentum führt zu dem Ergebnis,
daß beide Gefahren dort Wirklichkeit wurden, während,
wie der Hauptteil darlegt, die Verkündigung Jesu sie
; vermied, weil bei ihm der Vergeltungsgedanke dem der
j göttlichen Barmherzigkeit untergeordnet und der Lohn
nicht sowohl zur einzelnen Handlung als zur ganzen
; sittlichen Haltung in Beziehung gesetzt sei, die nach
dem Verhältnis von Frucht und Ansatz in der Gemein-
I schaff seines Reiches zu „vergeltender" Vollendung der
I sittlichen Persönlichkeit gelange. Doch gehe diese Vollendung
nicht im immanenten Fortschritt der sittlichen
: Haltung auf, da die Gottesgemeinschaft von Gott gesetzt
werde. Aber für diese sei wesentlich, daß sie das
persönliche Leben bereichere, also „Lohn" schaffe. Dieser
Vergeltungsgedanke widerspreche dem Wesen des
Sittlichen so wenig, daß es vielmehr unmöglich sei,
sittlich zu handeln, ohne daß das Ziel zugleich auch zum
1 Motiv des sittlichen Handelns werde.

Die Arbeit ist klar und wohldurchdacht. Aber sie
! zeigt, wie man sieht, mehr systematische als historisch-
| exegetische Orientierung. Ihr Ergebnis ist weniger
i durch exegetische Einzelbeobachtung als durch syste-
l matische Überlegungen gewonnen. Sonst würde die
; Gegensätzlichkeit der am Stoff der evangelischen Über-
lieferungen zu machenden Beobachtungen viel stärker
! herausgearbeitet sein. Die Schwierigkeit, den gewonne-
! nen Lohngedanken in der Einzelexegese zu bewähren,
z. B. an Mt. 10,40—42, würde viel mehr empfunden
sein. Der Tatsache, daß der Lohnbegriff in den Worten
Jesu gerade in Zusammenhang mit einzelnen sittlichen
Leistungen besonders stark hervortritt, wäre
stärket Rechnung getragen worden. Der Vergeltungsgedanke
des Verf.'s ist ein moderner Gedanke. Die