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Ausgabe:

1929 Nr. 5

Spalte:

113-115

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Die Doppelschichtigkeit in Luthers Kirchenbegriff 1929

Rezensent:

Ritschl, Otto

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113 Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 5. 114

14 10; 52 20.30; 65,7 u. ö.). Eine sprachliche An- Beitrag zur Lutherforschung sein. Es wäre das, wenn
me'rku'ng und konsequente Übersetzung hätte hier viel auch bei seinen hohen Jahren zu begreifen, so doch sehr
oeholfen Ähnlich steht es um die schwierige Über- zu bedauern. K. hat sich mit feinfühligem Verständnis
«etzunG der fides dei". Wenn Luther sagt: F II 63,18 in Luthers ganze Denkweise immer mehr so innig ein-
.fides,&hic no'n fidelitas Dei, sed credulitas in Deum, so gelebt, wie das nicht von vielen gesagt werden kann. So
muß doch die Übertragung: es „bedeutet hier .Treue' | viel ich sehe, legt er nirgend eigne Lieblingsmeinungen
nicht die treue Oesinnung Gottes, sondern die gläubige ■ in Luther hinein, sondern holt immer nur aus dessen,
Hinwendung zu Gott" ohne sprachliche Anmerkung dem i wenn auch häufig nicht zusammenstimmenden Äuße-
des Lateinischen unkundigen Leser unverständlich blei- ^ rungen das heraus, was jener wahrscheinlich eigentlich
ben. Vollends die freie Übersetzung: F II 63,24 fides [ gemeint hat. Dabei sieht er manches, was anderen ent-
Dei - Glaube an die Treue Gottes scheint mir exege- j gangen ist. Und doch berücksichtigt und verwertet er
tisch-grammatisch im Sinne Luthers keine Lösung der j eingehend und in viel weiterem Umfang, als wie das
Übersetzungsschwierigkeit. Die Lösung, die Luther in . sonst üblich ist, die Leistungen seiner Vorgänger. In
dieser Zeit" exegetisch in dem literalen und tropologi- i derselben gründlichen und gewissenhaften Weise ersehen
Sinn der fides dei findet, ist nicht dadurch ver- örtert er Luthers einschlägige Aussprüche und treibt
ständlich gemacht, daß „moraliter" ( -= tropologice) ein- , Lutherexegese bis ins Einzelste hinein. Die Kehrseite
fach übersetzt wird: „im moralischen Sinn" (F II 63,23 ; dieser ungewöhnlichen Sorgfalt ist es allerdings, daß die
vgl. Ellwein zu FI! 17,14; 66,24; 77,23; 166,31 ; überdies durch K.s Vorliebe für Parenthesen erschwerte
u.ö.). Mit den Anmerkungen E S. 7 und S. 250 ist dem j Lektüre seiner Darlegungen für den Leser zu einer etwas
Laien die verwickelte Theorie vom vierfachen Schriftsinn | mühsamen Arbeit wird. Dennoch sollte sich dadurch
und Luthers Stellung zu ihr kaum aufgeklärt, abgesehen j niemand, dem überhaupt an dem Erwerb zureichender
davon, daß eben aus der Anm. S. 7/8 deutlich wird, daß l Kenntnisse von Luthers Gedankenwelt gelegen ist, da-
Ellwein selbst keine Klarheit über die Sache hat (der J von abschrecken lassen, aus K.s Beiträgen zur Luther-
mvstische Sinn ist nicht mit dem anagogischen einfach i törschung zu lernen. Denn K.s Ausführungen bieten
identisch. Lyra versteht etwas anderes unter dem lite- i immer wieder feine Beobachtungen, neue Aspekte und
ralen Sinn als Luther). j wohlbegründete Urteile. Und seine minutiöse Acht-

Gerade an sachlichen Anmerkungen wird I samkeit auf die Einzelheiten ist ja doch auch nur ein
der Laie, der zu wirklichem Verstehen durchdringen will, i Mitte! zu dem Zweck, die entscheidenden Grundge-
noch viel vermissen: Was ist mit der Übersetzung „wesen- : danken Luthers möglichst sicher herauszuarbeiten. Dali
afte Gerechtigkeit Gottes" (iustitia dei formalis z. B. j nach bestimmt sich auch die Begrenzung in der Auswahl
FII 59,17; II 12,15), „ungeformter Glaube" (fides i des herangezogenen Stoffs. Wie zahlreich sind K.'s
informis FII 14,26), „Gewissen" (syntheresis FII 75, j Hinweise auf jenseits seiner Grenzen liegende Themata,
3), „Christus der König der Juden d. h. (!) derer, die | die behandelt zu werden verdienen, auf deren Erledi-
bekennen" (FII 95,15) zum Verständnis der Sache ge- : gung er selbst jedoch aus Rücksicht auf sein jeweiliges
tan, wenn nicht erläuternde Anmerkungen gegeben wer- | eignes Thema verzichtet!

den? Besonders da, wo Luther sich ausdrücklich mit j \vtm K. von der Doppclschichtigkcit i« Lathen Kirchen-
der Scholastik auseinandersetzt, wird dieser Mangel • begriff redet, so bringt diese Wortbildung zugleich seinen Gegensatz
spürbar (vgl. Z. B. ZU FII 110,2; 121, 10 ff.; 130,3; j zu der Annahme zum Ausdruck, daß es sich bei Luther um einen
167,6; 265,1 1 u. ö.). Fickers vorbildlicher Textapparat
hätte Ellwein die Sache leicht genug machen können.

Die Übersetzung des Bibeltextes scheint
jeder methodischen Besinnung zu entbehren. Selbstver- !'" crsi£ **>; . "*,fcrn f '»cht an du auch Luther

G- äii u i j -j- x i au l i ■ bekannte Verschiedenheit der ccclesia propne und der ecc es a larce

standheh kann weder unser revidierter Luthertext, noch | dida im Sinnt Melanchthons zu denken. Sonden, nach ütfen

doppelten Kirchenbegriff handle. Vielmehr hat Luther nur
immer einen und denselben Begriff von der Kirche vertreten, an
diesem aber ein religiöses und ein ethisches Moment

der der „Septemberbibel" einfach zu Grunde Gelegt wer
den, da die Vulgata sachlich an manchen Stellen abweicht
. Trotzdem scheint mir fast durchweg Luthers
Wortschatz, Satz- und Wortgestalt unnötig vernachlässigt
in einer Übersetzung, die Luthers Art nachgebildet
sein will; vgl. als Beispiele Ellweins Übersetzung

eigentlicher Grundauffassung sind zu unterscheiden der sensus generalis
und der sensus specialis, in dem jeweilcn die Kirche verstanden
wird. Im Glauben geschaut ist diese nämlich grundlcglich als
communk) sanetorum bestimmt. Da aber die saneti oder fideles notwendig
immer auch als sittliche Persönlichkeiten zu begreifen sind,
wird die an sich unsichtbare Kirche in ihren typischen Wirkungen
innerhalb der Welt sichtbar, sie „tritt hervor in Formen der Weif

von Pom 1 o5 fS 4°ü 2 3 fS 48b 1 1 (S 76 oecren »mernain der Welt sicitthar, sie „tritt hervor in Formen der Welt"
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S. 94); 3,11 (S. 115)

In den Fußnoten will E. jeweils das Wichtigste
aus den Randglossen geben. Die Grenze ist hier
wohl schwer zu ziehen. Sollten aber nicht doch immerhin
Äußerungen wie GL 3,6ff.; 4,19ff.; 33,31 ff.;
73,25 ff., die E. nicht bringt, zu dem „Wichtigsten"
gehören?

Aufs Ganze gesehen bleibt so die Veröffentlichung

Kultgcmcinschaft und muß sich in der Welt als Kultgemcinde des
Worts einrichten. Nur an solcher hat sie den Erkenntnisgnind und
bei sich die Gewähr ihrer Existenz" (S. 101). Dieser Kultgeineinde
„entscheidendes Merkmal ist die Übung der Predigt. Ihr maßgebendes
Amt ist das Pfarramt als Predigtamf (S. 145). Aber die
OOmiB. s. ist „auch in der Familie und im Staatsleben wirksam, mit
gegenwärtig" (S. 147). Denn auch die Obrigkeit und die Familie
sind, ohne erst der Weihung durch die Kultgemeinschaft zu bc-

ein zu begrüßendes Anzeichen für die lebendige Boge £ Ä eS ^fTt£^

nttng Luthers Und der Gegenwart. Je hoher jedoch I 1530 bezeichnet, die in jeder von ihnen wirksamen Pers;,ne.> niemals

Uieses Ereignis veranschlagt Wird, Um SO großer sollte ! von Sünden frei, wohl aber, soweit sie zugleich wirklich Glieder der

che Gewissenhaftigkeit in der äußeren und inneren Ge- comm. s. sind, der göttlichen Sündenvergebung teilhaftig. Nur insofern

Staltung solcher Veröffentlichung sein. Daß die zweite ; ist ™« Kultgemeinde vor den beiden anderen Ständen bevorzugt, als

Auflage (die erste Auflage ist bereits vergriffen!) die- die vor a,lem von ihr z" treibende Verkündigung des Wortes Gottes

sem Anspruch genügen möge, ist die Absicht der nur an 1
Beispielen gegebenen Kritik.
Berlin. E. Vogelsang.

den Glauben der einzelnen Christen und damit immer wieder die
comm. s. selbst hervorbringt und, indem sie die Abendmahlsfeier
immer erneuert, „den Höhepunkt gläubiger Vereinigung mit Christus"
J erreicht. Denn beim Abendmahl liegt Luther, wie K. zeigt, doch
weniger am Wunder, so hoch er auch davon denkt, als an der
„spezifischen Verbürgung" der communio cum Christo, d. h. an der
„Gewißheit, da mit Christus von Person zu Person zusammen
zu sein, unmittelbar, für den Glauben greifbar wie er auf Erden
war und im Himmel ist" (S. 107 f.). Auch sonst legt K. immer
wieder Gewicht darauf, wie es Luther stets auf das persönliche und
nicht auf das institutionelle Moment in allen Lebensfunktionen der
Christenheit ankommt. So denkt er auch die comm. s. immer zu-

Kattenbusch, d. Ferdinand: Die Doppelschichtigkeit in
Luthers Kirchenbegriff. (S.-Ausg. aus d. „Fünften Ltithcrheft"
[Lutherana V] der Theol. Studien und Kritiken, mit ergänzenden
Ausführungen.) Gotha: L. Klotz 1928. (VII, 160 S.) 8». RM 5—.

Die vorliegende Schrift ist 1924/25 verfaßt und
1927/28 zuerst in den Theol. St. u. Kr. veröffentlicht

worden. Ihr Verf. meint, sie würde wohl sein letzter ! gleich als Vereinigung mit Christus una"mit*^U<dtni^n Gläubigen.