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Ausgabe:

1929 Nr. 5

Spalte:

105-107

Autor/Hrsg.:

Beyerle, Konrad (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr d. Gründungsjahres d. Inselklosters. 724 - 1924. 2 Halbbde 1929

Rezensent:

Lerche, Otto

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105

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 5.

iot;

Verstehen nicht als unentbehrlich geachtet werden. Die
Forderungen einer sog. pneumatischen Exegese sind
für die Hermeneutik somit grundsätzlich abzulehnen.

Die Darstellung selbst erfolgt m drei größeren Abschnitten
Der erste handelt von Sprache und Stil
(„Schwierigkeiten, die in der Form des Textes begründet
sind", S. 38—139). Verf. unterstreicht die
Wichtigkeit, bei der Deutung der neutestamentlichen
Schriften von der damaligen Volkssprache, nicht von
der Literatursprache, auszugehen. Über allerlei Bedeutungsverschiebungen
in religiösen Ausdrücken wird eingehend
gehandelt. Kunst-Stil im eigentlichen und bewußten
Smne wird im N.T. vergebens ge ucht. Dennoch
hat das Beachten stilistischer Eigentümlichkeiten selbstverständlich
ihre große Bedeutung für das Verstehen.
Die Prinzipien für die Auslegung der Oleichnisse Jesu
werden besprochen.

Im zweiten Hauptteil (S. 140—203) behandelt
Verf. „Schwierigkeiten, die mit dem Inhalt des Textes
und mit seinem Verhältnis zu dem geschichtlichen Hintergrund
zusammenhängen". Hier wird der fundamentale
Grundsatz von der durchschlagenden Bedeutung des
nächsten Zusammenhanges kräftig unterstrichen. Aber
ebenso wird auf der anderen Seite hervorgehoben, daß
die Einzelaussage erst dann wirklich erfaßt ist, wenn
sie im Lichte des Ganzen verstanden wird. Genaue
Beachtung der angewandten literarischen Form ist für
die Deutung von Wichtigkeit. Verf. wendet sich indessen
mit' Schärfe gegen die moderne sog. formt
geschichtliche Schule, die diese literarisch-formalen
Fragen nicht von den historisch-kritischen mit nötiger
Klarheit auseinanderhält. Was die Bedeutung des geschichtlichen
Hintergrundes betrifft, wird betont, daß
es als ein schwerer Mißgriff zu erachten sei, wenn
man das N. T. als vorwiegend ein Produkt des Hellenismus
hat betrachten wollen. Für die Hermeneutik
treten die Fragen vom geschichtlichen Ursprung („Abhängigkeit
", „Leihe") eines Vorstellungskomplexes oder
tiner Ausdruckswei e zurück. Das tntscheidende Interesse
tällt auf das genaue Erfassen der Bedeutung derselben.
Einige wenige Grundregeln von prinzipieller Tragweite
werden aufgestellt, um das methodische Benutzen von
Analogien zu sichern.

Die dritte Hauptabteilung (S. 204—234) bringt
eine Übersicht über die wichtigsten, im Laufe der
Kirchengeschichte aufgestellten Deutungsarten. Mit be- !
sonderem Interesse verweilt der Verf. bei der Frage,
wie die Deutungen des A. T.s, die die neutestamentlichen
Autoren bringen, zu beurteilen sind. Er meint feststellen
zu können, daß allegorische Deutung im eigentlichen
Sinne nur sehr sparsam zu finden ist, um so mehr
sog. typologische Deutung, oder lieber Betrachtungsweise
. Mit Recht wird hervorgehoben, daß der
jetzt allgemein benutzte Terminus „Schriftbeweis" öfters
sehr unzutreffend oder geradezu irreführend ist. Die
Schwierigkeiten, die mit dem berühmten reformatorischen
Grundsatz von der sog. Schrift-Analogie verbunden sind,
werden überzeugend dargelegt.

Lund'Schweden. Erling Ei dem. j

Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift zur zwötf-

hundertsten Wiederkehr d. Griindungsjahres d. Inselklosters. 724 - 1924.

(Hrsg. von Konrad Beyerle.) 2 Halbbde. München: Verl. d.

Münchener Drucke 1920. (XX, VI und 1243 S. in. Abb., PI., färb.

Titelb. u. färb. Wappentat.) 4°. geb. RM 100 .

Mit Rücksicht auf den vielseitigen Inhalt dieser Festschrift i
sei das Inhaltsverzeichnis vorangesetzt: W. Schmidle, Geologie und j
Vorgeschichte. K. Brandi, Die Gründling des Klosters. G. Jecker. !
Sankt Pirmins Herkunft und Mission. M. Pfeiffer, Sankt Pirminius ;
in der Tradition der Pfalz. K. Beyerle, Von der Gründung bis zum
Ende des freiherrlichen Klosters (724—1427). H. Baier, Von der
Reform des Abtes Friedrich von Wartenberg bis zur Säkularisation !
(1427—1803). M. Rothenhäusler und K. Beyerle, Die Regel des h.
Benedikt das Gesetz des Inselklosters. A. Manscr und K. Beyerle,
Aus dem liturgischen Leben der Reichenau. E. Göller, Die Reiche- !
aau als römisches Kloster. Fr. Beyerle, Die Gnindherrsehaft der I

Reichenau. K. Beyerle, Die Marktgründungen der Reichenauer Abte
und die Entstehung der Gemeinde Reichenau. O. Roller, Die Münzen
ier Reichenau. A. Schulte, Die Reichenau und der Adel, Tatsachen
und Wirkungen. A. Cartcllieri, Heinrich von Klirigenberg als Guber-
nator der Reichenau. M. Hartig, Die Klosterschule und ihre Männer.
P. Lehmann, Die mittelalterliche Bibliothek. K. Preisendanz, Aus
Bücherei und Schreibstube der Reichenau. Th. Längin, Altaleman-
uische Sprachquellen aus der Reichenau. Anhang: Runen aus der
Reichenau. K. Künstle, Die Theologie der Reichenau. A. Bergmann,
Die Dichtung der Reichenau. H. Sierp, Walafried Strabos Gedicht
über den Gartenbau. J. R. Dieterich, Die Geschichtsschreibung der
Reichenau. R. Molitor, Die Musik der Reichenau. Gl. Blume, Die
Reichenau und die marianischen Antiphonen. O. Gruber, Die Kir-
chenbauten der Reichenau. K. Gröber, Die Reichenauer Plastik bis
zum Ausgang des Mittelalters. J. Sauer, Die Monumentalinalerci
der Reichenau. A. Boeckler, Die Rcichenauer Buclunalerei. O.
Pfeilschifter, Das Kloster Reichenau im 18. Jahrhundert. L. Brati-
mann-Honsell, Aus Volkstum und Leben der Reichenau. K. Preisendanz
, Die Reichenau in der Dichtimg des 19. Jahrhunderts. J. A.
Beringer, Die Reichenau in der bildenden Kunst der Neuzeit. K.
Beyerle, Das Rcichenauer Verbrüderungsbucli als Quelle der Kloster-

geschlchte.

Entsprechend dem Charakter einer Festschrift ist
dies sehr üppig, jedoch nicht restlos befriedigend ausgestattete
Buch aus Beiträgen entstanden, die' sehr ungleichartig
nach ihrem wissenschaftlichen Wert und nach
ihrem sachlichen Gehalt sind. Neben der schönen,
fast möchte man sagen: abgeklärt heiteren Erzählung
der Geschichte der Klostergründung durch K. Brandi.
die überall innigstes Verbundensein mit den Quellen aus
ihrer nachhaltigen Kritik bekundet, erwähnen wir als
die wichtigsten Beiträge die der beiden Brüder Beyerle,
des Herausgebers „Von der Gründung bis zum Ende
des freiherrlichen Klosters" und den Fr. Beyerles „Die
Grandherrschaft der Reichenau". Beide Aufsätze geben
nicht nur einen Bericht aus der vorliegenden reichen
Spezialliteratur sowie die Anwendung der lange umkämpften
, schließlich siegreich behaupteten verfassungs-
geschichtlichcn Theorien, sondern darüber hinaus ein
lebendiges Bild nicht irgend eines kleinen Klosters,
sondern das eines geistlich regierten, Jahrhundertc lang
sehr ausgedehnten und darum wichtigen Staates und
Gliedes des deutschen Reiches.

Sodann heben wir eine Reihe von Aufsätzen hervor
, die vortreffliche Zusammenfassungen der bisherigen
Forschung auf denjenigen Gebieten sind, auf denen die
Reichenau jahrhundertelang eine besonders angesehene
Stellung einnahm. Dahin gehört neben Schulwesen (M.
Hartig), Büchersammlung (P. Lehmann), Schreibstube
(K. Preisendanz), Theologie (K. Künstle) und Dichtung
(A. Bergmann) vor allen Dingen die Geschichtsschreibung
, über die wir eine kritische, lehrreiche, zusammenfassende
Übersicht von J. R. Dietcrich erhalten.
Noch mehr als die Geschichtsschreibung der Reichenau
stehen die Monumentalmalerei und die Buchmalerei des
Inselklosters heute im Vordergrunde des Interesses und
der kritischen Erörterung. Sowohl J. Sauer wie A.
Boeckler haben als gediegene Kenner des Materials
und der weitschichtigen Literatur die Grundlagen der
Betrachtung dieser wichtigen Kulturdenkmäler geschildert
und die Wege zu ihrer Kritik und Einreihung aufgezeigt
. Insbesondere bildet die Arbeit von A. Boeckler
eine reizvolle Zusammenfassung über die Reichenauer
Malerschule, die zunächst als abschließend gelten dürfte
und über die man auch in Einzelausgaben nicht hinauskommen
kann, wie Referent in dem von ihm bearbeiteten
Reichenauer Lektionarium der Herzog August Bibliothek
zu Wolfenbiittel (Leipzig 1928) zugestehen mußte.

Schließlich erwähnen wir noch eine Reihe von
Aufsätzen, in denen angesehene Fachvertreter eine bestimmte
Spezialität ihrer Facharbeit in ihrer Anwendung
auf die Reichenau und ihre Verhältnisse erörtert haben
nämlich E. Göller (die R. als römisches Kloster) und
A. Schulte (die R. und der Adel). Das ganze Werk,
überall getragen, gestützt und gefördert von dem umfassenden
Wi ,sen und der vorbildlichen Liebe K. Beyerles
zur mittelalterlichen Kirche und Geschichte seiner Heimat,