Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1929 Nr. 4

Spalte:

79

Autor/Hrsg.:

Bornhäuser, Karl

Titel/Untertitel:

Die Bergpredigt. Versuch einer zeitgenössischen Auslegung. 2. Aufl 1929

Rezensent:

Dibelius, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

79

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 4.

80

lierter, inaktiver" Theologe, sei er griechischen (neuplatonischen und
stoischen) Einflüssen zugänglicher geworden und so auch auf halb-
gnostische Oedanken verfallen. Zugleich wird seine Bedeutung für
die christliche Mystik hervorgehoben. Aber nicht er soll beim Gott-
suchen zum Führer genommen werden, sondern „le Docteur et le j
Martyr, la gloire de notre Eglise des Gaules, Irenee".

In H. 6 beginnt noch — ein nicht nachahmenswertes Verfahren
— eine Abhandlung von Guy de Broglie über „Science |
politique et doctrinc chretienne" (S. 553—593), die im
nächsten Bande ihre Fortsetzung finden soll und darum auch am
zweckmäßigsten nach ihrem Inhalt erst angezeigt wird, wenn sie j
vollständig erschienen ist. — S. 594—614 handelt Paul Dudou
„Von einer angeblichen geheimen Überlieferung
über das geistliche Leben der Vollkommenen". Auf- j
grund mißverstandener Stellen bei Ps.-Dk>nysius, Clemens von Alexandrjen
und Cassian behauptete Fenelon das Vorhandensein einer sol- j
eben, das Leben und Beten der Vollkommenheit regelnden Geheimüberlieferung
, und Mme Guyon und ihr Beichtvater, der Bamabil La I
Combe, stimmten ihm begeistert zu. Das Mißverständnis hat schon '
Bossuet aufgeklärt und D. verstärkt dessen Darlegungen, wobei er
sich bezüglich des Ps.-Dionysius auf die Ergebnisse der neueren
Forschung stützen kann.

München. Hugo Koch.

Born häuser, Prof. D. Karl: Die Bergpredigt. Versuch c. zeit- j
genössischen Auslegung. 2. Aufl. Gütersloh: C. Bertelsmann 1927.
(VIII, 229 S.) gr. 8°. = Beiträge z. Förderung christlicher Theologie,
2. Reihe, Bd. 7. RM 8-'.

Da die 2. Auflage im wesentlichen unverändert ist, j
so darf ich für alles OmndsätzHche auf ineine an dieser
Stelle 1924, Sp. 346ff. erschienene Besprechung ver- '<
weisen. Im Vorwort zur neuen Auflage erhält der Verf.
die beiden Grundgedanken seiner Deutung mit Nach- i
druck aufrecht: daß die Bergpredigt Jüngerlehre ist und
daß sie sich stets mit den pharisäischen Schriftgelehrten
auseinandersetzt. Die erste dieser Grundthesen rückt j
bekanntlich die Frage der Ausführbarkeit in ein ganz i
neues Licht; denn gewisse Sätze Jesu beziehen sich, wenn '
B. recht hat, nur auf die Apostel und ihre Nachfolger.
In dieser Beschränkung aber enthält die Bergpredigt
nach B. praktische Forderungen für das Damals wie
für das Heute (und nicht etwa, wie wir Andersdenkenden
meinen, die Umschreibung des Ethos, aus dem sich
damals eine und heute eine andere Ethik zu gestalten !
hat). Wie sehr die Bergpredigt in dieser Auslegung eine
bedingte Weisung für den Tag wird (während sie mir |
unbedingte Weisungen mit Ewigkeitsperspektive zu ent-
halten scheint), zeigen die dem Verf. inzwischen zuge-
gangenen Bitten, die auf Grund seiner Deutung die j
praktische Verwertung der Bergpredigt ausgeführt haben i
wollen. Und an einem Punkt hat B. diesen Bitten nachgegeben
und hat aus Mt. 6,25 ff. eine Ermunterung
an die heutigen Verkünder des Evangeliums gewonnen
(S. 188 Anm.):

„Sie dürfen ein gutes Gewissen haben, wenn sie es erwarten, daß !
die Gemeinden sie um dieses Berufes willen von der Arbeit ums tag- |
liehe Brot frei machen. Sie dürfen getrost überstiegenen Zumutungen
gegenüber ein ausreichendes Gehalt nehmen und davon leben. Sic han- I
dein damit nicht gegen Jesu Sinn und Geist; im Gegenteil: sie sind I
von seiner freundlichen Güte dazu förmlich bevollmächtigt, ja an-
gewiesen."

Dies gehe, meint B., aus Mt. 6, 25—34 (fitQtftväv =
sich mühen) hervor!!

Heidelberg._______Martin D i be 1 i u s.

Jacquier, E.: Les Actes des Apötres. Paris: V. Lecoffre 1926. ,
(VII, CCCVIII u. 823 S.) 4°. == Etudes Bibliques. 100 Fr. I

Dieser Kommentar, dessen Besprechung sich durch
meine Schuld verzögert hat, ist mit seinen über 1100
Seiten eine der umfangreichsten Erklärungen der Apostelgeschichte
, die wir haben. Einen wesentlichen Fortschritt
der Interpretation bezeichnet er freilich nicht.
Der Verf. verzichtet mit Bewußtsein auf die Findung
neuer Hypothesen und begnügt sich damit, einen riesi-
gen Thesaurus der Meinungen zu schaffen. Er will
mit seinem Werk vor allem den Studierenden der (kath.) i
Theol. Fakultät zu Lyon dienen; die Ausführlichkeit der :
Darstellung und die Berücksichtigung von Grundfragen j
wie der nach dem Sprachcharakter des Neuen Testa- i
mentes überhaupt sind dadurch bedingt. Die Stellungnahme
zu wichtigen Problemen der Apg.-Erklärung ist
dem katholischen Exegeten durch die Entscheidung der
Bibelkommission vom 12. Juni 1913 vorgeschrieben;
sie hat die einheitlich lukanische Abfassung festgestellt
, als Termin das Ende der ersten römischen Gefangenschaft
des Apostels Paulus genannt und die historische
Zuverlässigkeit des Werkes in bestimmtesten
Worten ausgesprochen. In diesem Sinn fallen denn auch
die Entscheidungen unseres Verf.s in seiner umfangreichen
Einleitung zum Kommentar. Aber er gewinnt
diese Entscheidungen nicht ohne die Meinungen der
anderen sorgfältig zu registrieren. In dieser Überschau
über die Diskussion der letzten Jahrzehnte liegt der
einzige Wert des Werkes. Denn auch an selbständiger
Durchdringung der Debatte hat es der Verf. fehlen
lassen; man erfährt z. B. nicht, welche Fragestellungen
ihm veraltet vorkommen, oder von welchen er sich
eine Förderung der wissenschaftlichen Diskussion für
die Zukunft verspricht. Allen quellenkritischen Analysen
gegenüber verhält er sich sehr vorsichtig; andrerseits
nimmt er eine Mehrheit von Quellen an, schon
um den sehr verschiedenartigen Charakter von Stil und
Sprache der Apg. erklären zu können; aber der Beobachter
des Stils findet doch nicht den Mut, aus den
stilistischen Unterschieden mit entschlossener Kritik den
Anteil der Tradition und den Anteil des Autors zu erschließen
.

Die Zurückhaltung eigenen Urteils zeigt sich im
ersten Abschnitt der Einleitung „Histoire de la critique
des Actes des Apötres" besonders vorteilhaft; sie ist
aber auch in den anderen Abschnitten der Einleitung
überall da zu bemerken, wo über wissenschaftliche
Kontroversen referiert wird. In vieler Beziehung schließt
sich J. den Ausführungen Harnacks an; das gilt nicht
nur von Autorschaft und Datum, sondern auch von der
medizinischen Sprache. Den Sprach- und Stilfragen widmet
J. überhaupt besondere Aufmerksamkeit; auf Grund
sorgfältiger statistischer Beobachtungen gelangt er hier
auch zu Entscheidungen. „Luc pouvait ecrire en tres
bon gnec, mais ... pour une raison ort pour une autre,
il ne l'a pas toujours fait." Die Semitismenfrage und
die Beziehungen der Apg. zur LXX werden ausführlich
behandelt. Einen etwas seltsamen Eindruck macht dagegen
der Abschnitt, in dem J. im Anschluß an Mc
Lachlan (St. Luke, the Man and his Work, Manchester
1920) in der Apg. Spuren von Ironie und Humor
nachzuweisen versucht. Was hier erwähnt wird, verdient
nicht die viel zu spezielle Charakterisierung durch
das Wort „Humor". Es handelt sich zumeist um profane
Elemente der Erzählung, die entweder auf das
Konto des Autors zu setzen sind oder aber volkstümlichen
Anekdoten entstammen. Eine Unterscheidung der
beiden Gruppen auf stilkritischem Wege i;t möglich; die
Beobachtung profaner Züge im Bericht der Apg. überhaupt
ist nützlich; aber die Betrachtungen über den
Humor des Verf.s der Apg. sind größtenteils überflüssig
.

Nachdem die Art des Kommentars geschildert ist,
gebe ich noch in Stichworten ein paar Proben exegetischer
Entscheidungen.

Was den Text anlangt, so fordert J. Prüfung der „westlichen
" Lesarten nach inhaltlichen Gesichtspunkten: 11, 27 (das vorzeitige
Auftreten des „wir") bleibt unentselüeden, bei der Besprechung
des Aposteldekrets stimmt J. für den orientalischen Text;
die bekannte Konjunktur "Ayas statt äi'anuxs 5,17 wird nicht abgelehnt
, an den textkritisch schwierigsten Stellen aber 4,25 und
10,35 ff. weiß J. auch keine Hilfe. — Die Reise des Paulus Apg.
11,30 wird mit der Gal. 2 erwähnten identifiziert. — 12,17 wird bei
i'regoi tönos an Rom gedacht, aber nicht mit Sicherheit. Unentschieden
bleibt die Frage des Zusammenhangs in 1,4 und 1,6; unentschieden
auch die Problematik des Völkerkatalogs in der Pfingst-
geschichte. 18, 18 handelt es sich um ein Gelübde des Paulus, nicht
des Akylas, 18,22 um einen Besuch in Jerusalem, nicht nur in
Casaren. 26,14 oz/OjpoV <rot rrpöc xivtqa iaxidflU ist eine
sentence qui exprime un vain effort.

Heidelberg. Martin Di bei in«.