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Ausgabe:

1929

Spalte:

76-79

Titel/Untertitel:

Recherches de Science Religieuse. Tome XVIII, 1 - 6 1929

Rezensent:

Koch, Hugo

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die plenitudo potestatis des Papstes aus dem 13. Jahrhundert. —
S. 255—264 einige Bemerkungen Buonaiutis über „Mundus im-
mundus", die „Charismen", die christliclve Universalität.

In H. 4 handelt S a 1 v ato re 11 i in einem schönen und kenntnisreichen
Aufsatz über „Die Rcligionspolitik und die
Religiosität Konstantins" (S. 289—328). Mit Recht geht
er von dem Grundsatz aus, daß man nicht aus einer fertigen und ausschließenden
Einteilung wie Christ oder Heide, aufrichtiger Gläubige
oder reiner Politiker an diesen Kaiser herantreten darf, sondern die
Zeitverhältnisse und Zeitströmungen im Auge behalten muß, die
in christlichen und in heidnischen Äußerungen mannigfache Übergänge
und Verbindungen aufweisen. Von der Haltung seines Vaters Konstans
ausgehend, zeigt S. die Stetigkeit wie die Entwicklung in den religiösen
Anschauungen und in der Religionspolitik des großen Kaisers
vom ersten Auftreten bis zum Tode: jene liegt in seinem Glauben
an ein höchstes Wesen und der Bedeutung, die er seiner Verehrung
für die menschliche Gesellschaft und für den Staat beilegte, diese
in der fortschreitenden Ineinssetzung dieses Kultes mit der katholischen
Religion und den Bestrebungen, sie zur vorherrschenden Religion
und zur Staatskirche zu machen. Gewiß war dabei stets auch
politische Berechnung mit im Spiele, aber sie erschöpft nicht die
ganze Gesinnung des Kaisers. Die von Eusebius erzählte Kreuzeserscheinung
lehnt S. ab, den von Lactanz berichteten Traum und
den christlichen Sinn der auf den Schilden der Soldaten angebrachten
Zeichen (Verbindung von Kreuz und Monogramm Christi)
nimmt er an. Beides mit Recht. Vielleicht darf ich auf meine
„Altchristliche Bilderfrage" 1917, S. 51ff. verweisen (siehe jedoch
auch Fr. Kampers, Vom Werdegang der abendländischen Kaisermystik
1924, S. 144 ff.). Daß ihm mein in unglücklichem Verlage
(Martin Möricke, München 1913) erschienener Vortrag „Konstantin
der Große und das Christentum" entgangen ist, kann ich ihm nicht
verübeln. Er hätte aber darin eine weitgeltende Übereinstimmung
mit seinen Ansichten finden können. — Aus den Auseinandersetzungen
Buonaiutis mit P. Rosa S. J., dem Leiter der „Civiltä Cattolica"
(S. 329—338 und in H. 5, S. 479f.) geht wieder einmal hervor,
daß der Geist Jesu nirgends weniger eine Heimstätte hat als in der
„Gesellschaft Jesu". — S. 339 ff. Bemerkungen desselben im Anschluß
an das Buch Gilbert Murrays „Five stayes of Greek Religion
" 1925. — S. 345 f. bedauert derselbe, daß Emil Ludwig in
seinem Buche über Jesus für den ursprünglichen Begriff des „Reiches
" ebenso wenig Verständnis zeige wie Papini, und er meint, daß
der Jude mit der „innata capacitä sowersiva della razza" dieses
Verständnis mehr als jeder hätte aufbringen sollen. — S. 347—352
spricht Tilg her über die S'ellung Nietzsches zu Jesus, und
er findet den Schlüssel zu ihrer Erklärung im Sinne Nietzsches in
dem Gegensatz eines „pluralistischen" Lebensgefühls zu einem „monistischen
": jenes ist „dynamisch", dieses „statisch", jenes schließt in
sich den Willen zur Macht, dieses die Liebe.

In H. 5 gibt Buonaiuti „Prolegoniena zur Geschichte
Joachims von Floris" (S. 385—419) und gesellt
sich damit zum Deutschen Grundmann (1927) und dem Franzosen
Acgerter (1928) als dritter in der jüngsten Beschäftigung
mit diesem merkwürdigen Geschichtsrechncr. Er knüpft aber nicht
an diese beiden an, da er Grundmanns Arbeit noch nicht kennt
und dem Werk Acgcrtcrs mit Recht jeden geschichtswissenschaftlichen
Wert abspricht (vgl. diese Ztg. 1929, Nr. 1, Sp. 8 f.), sondern an das
1903 erschienene Buch J. C. Hucks über Ubertin von Casale und dessen
Ideenkreis, wo die Spiritualenbcwcgung mit Joachim in Verbindung
gebracht ist. B. ist nämlich vom italienischen Unterrichtsministerium
beauftragt worden, als Vorarbeit für eine Ausgabe der Werke des
berülunten „Propheten" von Calabrien durch das italienische historische
Institut seine Grundgedanken herauszustellen und zu diesem
Zwecke auch seine noch nicht veröffentlichten Werke heranzuziehen.
Bei diesen Arbeiten erkannte es B. nach Einsichtnahme in die bisherige
Forschung als notwendig, sowohl was den Lebensgang Joachims
als auch was seinen theologischen Gedankenkreis und seine Stellung
in der Kirche seiner Zeit betrifft, die Forschung auf einen neuen
Grund zu stellen. So gibt er hier zahlreiche Auszüge aus der in
einer Handschrift zu Padua vorliegenden sicher echten Schrift Joachims
„Tractatus super quattuor Evangelia" oder „Concordia Evangc-
liorum" — eine Dresdner Handschrift aus demselben Werke konnte
er nicht erhalten, da sie bereits nach Paris ausgeliehen war —, um
daran sowohl eine wichtige Tatsache aus seinem Leben, seine Reise
ins hl. Land, auf die in seinen Werken nur an einer einzigen Stelle
hingewiesen ist, wie auch leitende Gedanken, besonders seine gesamte
Enderwartung, innere Zusammenhänge und die Wirkung auf
die Folgezeit (auf die Franziskaner und namentlich die Spiritualen)
ins Licht zu stellen. Dabei wird auch die Bedeutung, die Joachim
der griechischen Kirche zuweist, erläutert, eine Beeinflussung durch
diese aber abgelehnt. Was B. S. 417 im Anschluß an eine Stelle
Philos über die Hoffnung sagt, ist sehr gut und könnte noch weiter
aus den Väterechriften beleuchtet werden. So stellt z. B. Cyprian,
wenn er von fides und spes spricht — ich nehme die Reihenfolge,
die wir gewöhnt sind —, fast regelmäßig die spes voran. Natürlich

; müßte auch Joachims Bedeutung in der Geschichte der Exegese noch
j von rückwärts her näher bestimmt werden. Zu S. 418 f. A. 1 möchte ich
I noch bemerken, daß es eine deutliche Erinnerung an ein Wort der
I Benediktinerregel ist, wenn Joachim in I. Cor. 14,30 statt „si alii
revelatum fuerit" schreibt „si iuniori revelatum fuerit", vgl. Regula
| cp. 3: „quia saepe iuniori Dominus revelat quod melius est". Zur
| Fortsetzung handelt B. in H. 6, S. 497—514 über „Das Testa-
ment Joachims von Fiore": dieses „Testament" ist eben
der „Tractatus super quattuor Evangelia", eine seiner letzten großen
Schriften, und B. findet darin Anspielungen auf das „höchste An-
; gebot Kaiser Heinrichs VI. an die römische Kurie" (Pfaff 1927),
; die Überlassung der Einkünf.e je einer Pfründe an den Metropoli-
: tankirchen des Reiches, und er beleuchtet das demütig-stolze Bewußtsein
Joachims von seiner Sendung, das in dem häufigen, den
Beginn des dritten Zeitalters andeutenden „et iam nunc est" steckt.
So gehorsam Joachim gegen die kirchliche Obrigkeit war, so umstürzlerisch
waren seine Gedanken, und sie machten der Kirche bis
j zum Vorabend der Reformation zu schaffen. Inzwischen hat B.

■ auch die Untersuchungen Grundmanns gelesen und er würdigt sie
j sehr anerkennend (S. 509 A. 1). — S. 440—445 bespricht Buonaiuti
unter dem Titel „La rivoluzione di G e s ü" zwei neue

j Veröffentlichungen über die Stellungnahme Jesu zu den politischen
j Fragen seiner Zeit, eine englische und die abenteuerlichen Ent-
i deckungen Roh. Eislcrs aus dem slavischen Josephus, der „intcr-
j polazionc riconoseibile un miglio di distanza: anzi, interpolazione nella
interpolazione". — S. 446—450 äußert sich M. D. Petrc über
: „Christus in der kath. Kirclie", d. h. über die Merkmale des Christasglaubens
, wie sie sich in der Lehre, dem Kultus, dem Gebet und
j der Praxis der römisch-katholischen Kirche spiegeln.

In H. 6, S. 482—496 setzt Hack seine „Sintesi Stoica"
; von 1926 (!) S. 297ff. (siehe diese Ztg. 1927, Sp. 396) mit einer
Erörterung der stoischen Lehre von Gott fort, die er aus der Erb-
i schaff von der griechischen Vergangenheit und dem Gegensatz gegen
; die Theologie Epikurs erklärt; zunächst läßt er die erstere vorüber-
; ziehen. — Fr. Heiler berichtet S. 515—533, und zwar nicht bloß
! aufgrund des Schrifttums, sondern auch nach persönlichen, aus
freundschaftlichem Gedankenaustausch gewonnenen Erfahrungen, über
„Die heutigen Strömungen des Katholizismus in
Deutschland" und das Verhalten der römischen Kurie ihnen
gegenüber: die liturgische Bewegung mit ihrer Rückkehr zu den Gedanken
der alten, namentlich der griechischen Kirche, eine evange-
| lische Bewegung, die auf Schriftlesung und Evangelium baut (Gertrud
j von Zezschwitz und Joh. Hessen) und verschüttete evangelische Ge-
i danken wieder zur Geltung bringt (Wittig), die katholische Jugend-
j bewegung in Quickborn und Hochland mit ihrer Verbindung von
deutschem Individualismus und romanischem Objektivismus (Romano
Guardini), eine asketisch-mystische Bewegung, eine Wendung der
; Tlieologie zum Augustinismus (Joh. Hessen und Karl Adam), eine
soziale Bewegung mit dem Ziel eines christlichen Sozialismus (Sonnen-

■ schein, Ude), verbunden mit einer Friedensbewegung (Stratmann, Ude,
; Paul Metzger), die Einigungsbewegung (die benediktinischen „Patres
i unionis" in Belgien) und ihre Hoffnung auf einen Ausgleich zwischen

Papstgewalt und Bischofsgewalt, die katholische Mission im Osten
und ihre Neigung zu einer gewissen „Akkommodation". (Nebenbei
1 bemerkt, heißt es im bekannten Verse nicht „paries cum proximi
! ardet", wie S. 532 steht, sondern „proximus"). — S. 534—537 zeigt
i Salvatorelli überzeugend, daß der hl. Benedikt nicht 543 ge-
; starben sein kann, wie fast allgemein angenommen wird, sondern nach
: Dial. II, 15 im Dezember 546 noch am Leben gewesen sein muß
i und wahrscheinlich im Frühjahr 547 gestorben ist. — S. 538— 540 ist
i aus dem Buche von Iwanow „Tragödie, Mythus und Mystik in der
' Dichtung Dostojewskis" (Freiburg 1928) ein Kapitel über „Die
i Weltanschauung Dostojewskis" abgedruckt.

München. Hugo Koch.

Recherches de Science Religieuse. Tome XVIII. Paris Vlie. (Place
du President Mithouard 5) 1928. (648 S.) gr. 8°.

Das Doppelheft 1/2 dieses Jahrgangs ist dem Andenken des
! heimgegangenen Gründers und langjährigen Leiters der Zeitschrift,
P. de Grandmaison S. J., gewidmet. Wie dieser selbst sich in Schrift-
; erklärung, Kirchengeschichte, spekulativer und mystischer Theologie,
: Religionsgeschichte betätigte, so gehören auch die Beiträge zu diesem
i Ehrenmale den genannten Gebieten an. Cabrol handelt S. 9—30 von
der „Doxologie im christlichen Gebet der ersten
Jahrhunderte", indem er von den jüdisclien Lobpreisungen Gottes
ausgehend die Doxologien des N.Ts, der apostolischen Väter, bei
Justin, Clemens von Alexandrien und Origenes, TertuLlian, Hippolyt,
| in den ältesten Liturgien vorbeiziehen läßt. Aufgefallen ist mir neben
| einer stattlichen Anzahl von Druckfehlern in den griechischen Stellen,
| daß er die auch im römischen Brevier (Prlm des Sonntags) stehende
i schöne Lobpreisung I. Tim. 1, 17 übersehen hat. Daß die „Taufe im
j Namen Jesu" A. G. 19, 5 nur die Taufe auf die Dreifaltigkeit gewesen
I sein könne (S. 13), wird nicht jedermann einleuchten. — In dem
! Aufsatz „Princcps Apostolorum" (S. 31—59) — einem Seiten-