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Ausgabe:

1929 Nr. 3

Spalte:

62-63

Autor/Hrsg.:

Gottlob, Theodor

Titel/Untertitel:

Der abendländische Chorepiskopat 1929

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 3.

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nach B. sowohl auf die Gesetze, die der Papst selbst ge- I
geben hat, wie auch auf die der Väter. Dagegen kann
von den Geboten der 2. Gesetzestafel nur Gott dispensieren
während von denen der 1. Tafel überhaupt nicht
dispensiert werden kann. Da der Papst vom Dekalog
nicht dispensieren kann, kann er auch nicht von Gelübden
dispensieren, er kann aber U. U. die autoritative
Erklärung abgeben, daß in einem bestimmten Fall die
Erfüllung des Gelübdes unmöglich ist.

Bezüglich der Ablässe erklärt B.: Da die Verleihung
eines Ablasses ein Jurisdiktionsakt ist und ein
solcher sich eigentlich nur auf Lebende beziehen kann,
so kann den Verstorbenen ein Ablaß nur f ü r b i 11 -
weise zukommen. Doch wünscht B., daß man einem,
der die Jurisdiktionsgewalt des Papstes über die Abgeschiedenen
durch vernünftige Gründe beweisen sollte,
nicht widerspreche.

Über das Verhältnis der Kirche zumStaat
äußert sich B. zurückhaltend. Die Kirche besitzt in seinen
Augen die Macht, die Gesetze des Staates zu bestätigen
, zu dulden oder zu verwerfen. Doch ist die
Rechtskraft der Zivilgesetze von der kirchlichen Zensur
nicht abhängig. — Die Theorie von den zwei Schwertern
hält B. nicht ohne weiteres für richtig.

Die Unfehlbarkeit des Papstes in seinem
Lehramt beweist B. sowohl auf indirekte als auf direkte
Weise: 1. Da alle Gläubigen der Lehrgewalt des Papstes
unterworfen sind, würde, falls der Papst einen Irrtum
lehrte, die ganze Kirche getäuscht. Dies kann Gott
aber unmöglich zulassen. 2. Christus sprach zu Petrus:
„Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht wanke
", nun wurde der Herr aber in allen seinen Gebeten
erhört, daher kann die Gesamtkirche unmöglich einem
Irrtum zum Opfer fallen. Denn der Herr richtete die angeführten
Worte an Petrus als den Inhaber der kirchlichen
Vollgewalt.

Der objektive Glaube der Kirche bleibt stets unversehrt
, aber die Kirche schreitet in der Erfassung des
Sinnes der alten Glaubenswahrheiten immer weiter fort. I
Damit die Kirche ihr Lehramt stets sicher ausüben kann, i
hat Christus ihr verheißen: „Siehe, ich bin bei Euch
alle Tage bis an der Welt Ende".

Die Schrift Uhlmanns ist eine quellennahe und objektive
Darstellung der Lehren Bonaventuras über den
Primat des Papstes. Was ihr fehlt, das ist die Einordnung
der Gedanken des großen franziskanischen Lehrers i
in die theologiegeschichtlichen Zusammenhänge und ein j
Vergleich mit den entsprechenden Theorien des Aqui- j
naten.

Kinderfeld bei Mergcntlicim. Walter Betzendorf er.

K a u p, P. Dr. Julian. O. F. M.: Die theologische Tugend der |

Liebe nach der Lehre des hl. Bonaventura. Münster i. W.: Aschen- !
dorffsche Verlagsbuchh. 1927. (III, 100 S.) gr. 8°. = Franziskanische
Studien. Beiheft 12. RM 3.90.
Johannes Fidanza, gen. Bonaventura (1221 —
1274) ist bekannt nicht bloß als hervorragender My-
stiker, sondern auch als der führende konservative Seho- :
lastiker der älteren Franziskanerschule. Er kennt und
verwertet zwar in mancher Hinsicht die aristotelische
Literatur, folgt aber in entscheidenden Punkten der
augustinischen Tradition. Dies zeigt sich auch in
seiner Ethik.

Einen Ausschnitt aus derselben behandelt die vor-
liegende Arbeit. Nach einer Übersicht über die allgemeine
Tugendlehre Bonaventuras stellt der Verf. die
Theorie des franziskanischen Scholastikers von der theologischen
Tugend der Liebe dar. Diese besteht nach B.
in einem übernatürlichen von Gott eingegossenen Habitus
. Im Gegensatz zum Lombarden betont B., daß
die theol. Tugend der Liebe nicht mit dem hl. Geiste !
identisch sei. Vielmehr stellt sie seiner Ansicht nach
einen von der dritten Person Gottes verschiedenen ge- j
schaffenen Habitus dar. B. bemüht sich die Caritas von I

den anderen Tugenden scharf zu unterscheiden, lehrt
aber die Einheit der habituellen Liebe in einer und derselben
individuellen Seele. Gott ist auch in der Liebe
zum Nächsten: Hauptgegenstand, tiefster Beweggrund
und letztes Ziel der Liebe.

Die theol. Tugend der Caritas ist zwar ein von der
heiligmachenden Gnade verschiedener Habitus, jedoch
besteht zwischen beiden ein besonders enger Zusammenhang
: die Liebe kann im Unterschied von den übrigen
theolog. Tugenden nie ohne heiligmachende Gnade bestehen
.

Wohl haben alle 3 theologischen Tugenden Gott
zum unmittelbaren Gegenstand, sie unterscheiden sich
aber hinsichtlich des F o r m a 1 objekts, d. h. dadurch,
daß jede von ihnen Gott wieder in anderer Hinsicht
zustrebt. Das obiectum formale der Caritas ist Gott als
das summum bonum. Die theologische Tugend der
Caritas ist nach B., der sich hierin von Thomas A q.
und Duns Scotus unterscheidet, sowohl amor ami-
citiae d. h. eine Liebe, die darauf ausgeht, Gott zu gefallen
, als auch amor c o n c u p i s ce n ti ae , d.h.
verlangende Liebe, die darauf ausgeht, Gott zu besitzen
. Auch hierin ist B. von August in beeinflußt
, für den die theol. Tugend der Caritas ebenfalls vor
allem ein amore Deo adhaerere et uniri ist. Nach Thomas
dagegen gehört die verlangende Liebe, die Gott
zu besitzen trachtet, nicht zur theol. Tugend der Caritas
(S. Th. 2 II, q. 17, a. 8). Diese besteht vielmehr lediglich
in der Freundschaft des Menschen mit Gott (cfr.
S. Th. 2 II, q. 23, a. 1, concl.). Mit dem obiectum formale
der Caritas fällt das obiectum materiale derselben
zusammen. Beides ist Gott als summum bonum. Den
Nächsten dürfen wir nur Gottes wegen lieben. Und
zwar soll uns zur Nächstenliebe zweierlei bewegen: die
Gleichheit der Natur einerseits und die gemeinsame Berufung
zu derselben Glorie andererseits. Die vernunftlosen
Geschöpfe aber lieben wir, sofern sie die Spuren
Gottes aufweisen. Was die Rangordnung der
Gegenstände der Caritas betrifft, so haben wir nach
B., der in diesem Stück eine echt scholastische Kasuistik
entfaltet, Gott als das höchste Gut über alles,
hernach uns selbst und dann unsern Nächsten zu
lieben; jedoch muß man das Seelenheil des Nächsten
mehr als sein eigenes leibliches Wohl lieben.

Das Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben,
fordert nach B. nicht volle Gleichheit, sondern nur Ähnlichkeit
der Nächsten- mit der Selbstliebe.

Bonaventura preist die Liebe als die „Mutter der
lugenden", als diejenige Macht, die die Tugenden nicht
bloß aufblühen läßt wie die Sonne die Blumen, sondern
ihnen auch erst ihre volle übernatürliche Verdienstlichkeit
(meritum de condigno) verleiht. Die theol. Tugend
der Caritas ist das Band, das die Seele mit Gott''vereinigt
und ihr schon hienieden einen Vorschmack der
ewigen Seligkeit gewährt.

Der Verf. gibt in seiner Abhandlung eine eingehende
, historisch treue Darstellung der Lehren des
Doctor seraphicus über die theol. Tugend der Liebe,
er erfaßt dieselben auf ihrer geschichtlichen Grundlage
und setzt sie fortwährend in Beziehung zu den Theorien
der übrigen führenden Theologen jener Zeit. Die
Schrift ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der
scholastischen Ethik.

Rinderfeld bei Mergentheim Walter Betzendorf er.

Gottlob, Studienrat Dr. theol. Theodor: Der abendländische

Chorepiskopat. Bonn: K. Schroeder 1928. (XVI, 140 s.) gr 8° ==

Kanonistische Studien u. Texte, hrsg. v. Albert M. Koeniger, Bd. 1.

„ , RM 5—•

Dies Buch sammelt und bespricht in bisher nicht erreichter Vollständigkeit
die Nachrichten, die wir von dem abendländischen Chorepiskopat
haben. Es stellt fest, dali die Chorbischöfe, die wir im
Abendlande bis zum 10. Jahrhundert, ja in einzelnen Gcgencten noch
viel später, in Irland sogar bis zum 13. Jahrhundert haben, wirkliche
Bischöfe waren, Gehilfen oder Stellvertreter der Stadtbischöfe, nament-