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Ausgabe:

1929 Nr. 2

Spalte:

44-46

Autor/Hrsg.:

Fezer, Karl

Titel/Untertitel:

Der Herr und seine Gemeinde. Predigten 1929

Rezensent:

Heckel, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 2.

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diese Bibelwissenschaft auf willkürlichen, subjektiven
Ansichten und Werturteilen beruht. Daß der Bestand
der Schriften selbst und der Mangel an sicheren und
eindeutigen Überlieferungen zu dieser Sachlage führt,
und daß daher kein „Dogma", auch nicht das sogenannte
Selbstzeugnis der Schriften uns aus dieser Sachlage
erlösen kann, sieht der Verf. nicht.

Zum Schlüsse setzt er sich noch sehr ausführlich (S. 60—76)
mit meiner Schrift: Johannes und die Synoptiker (1926)
auseinander, deren Hauptthese, Joh. habe die Synoptiker verdrängen
wollen und die Aufnahme des Joh. in einem Vierevangeliumkanon
stelle im Widerspruch zu seiner eigenen Absicht, ihm natürlich
ein besonderes Ärgernis bieten mußte (meinen ergänzenden
Aufsatz in Z. f. syst. Th. 1927 hat er noch nicht gelesen, wie er
diese Seiten schrieb). Sehr richtig erklärt er, daß das Problem vornehmlich
eine Frage der Exegese ist; es fragt sich nur, wo die
Exegese richtig und sachgemäß getrieben wird. Wenn er zu meiner
kurz hingeworfenen These: Joh. ist kein Historienbuch usw. (S. 41 in
meinem Buch) bemerkt, das sei bloß behauptet, ich könne es auch
nicht beweisen, ich spräche nur aus, was ich glaube — so kann ich
ihm erwidern, daß ich Beweise hierfür zu haben meine und daß ich
in diesem Buch nur keinen Raum hatte, sie ausführlich zu geben,
zumal sie schon von anderen Gelehrten ausführlich dargelegt sind.
Er kann meine Ansicht einen Glauben nennen, dann ist's aber ein
Glaube, der auf Wahrnehmungen und auf Tatsachen beruht. Im
Übrigen gebe ich ihm gern zu, daß manch „subjektives" Urteil in
meinen Darlegungen mitwirkt, daß über Einzelheiten, namentlich über
Exegese einzelner Stellen gestritten werden kann. Dennoch bin ich
nach wie vor der Meinung, daß ich meine These zu einer großen
Wahrscheinlichkeit gebracht habe, wobei ich vielleicht hinzufügen
darf, daß meine Prämissen (den Charakter, die Entstehung, die inneren
Tendenzen des Joh. betreffend) auch dann Geltung behalten, wenn
die Schlußthese (Verdrängungsabsicht) Ablehnung findet. Im Übrigen
bin ich dem Verf. dankbar dafür, daß er meinen Beweisführungen bis
in Einzelheiten nachgeht und mich zum erneuten Überdenken meiner
Positionen genötigt hat. An Verständigung ist gleichwohl nicht zu
denken. Gr. bemerkt zum Schlüsse: hätte Joh. den von mir ihm angedichteten
Zweck verfolgt, dann hätte er eine ganz andere Evangelienerzählung
schreiben müssen, ich meine, innerhalb der einem
Evangelisten gestellten Grenzen wäre größere Verschiedenheit kaum
möglich gewesen.

Wer wissen will, was streng reformierte Theologie
unter Wissenschaft vom N. T. versteht und was sie
gegen die moderne Bibelwissenschaft einzuwenden hat,
der greife zu dieser Schrift.
Leiden. H. Windisch.

Kehnscherper, Lic. Gerhard: Die dialektische Theologie

Karl Barths im Lichte der sozial-ethischen Aufgaben der christlichen
Kirche. Berlin: Trowitzsch & Sohn 192S. (99 S.) gr. 8°. = Neue-
Studien zur Gesch. d. Theologie u. d. Kirche, Siück 24. RM 5—.

Bei dem eiligen Tempo, in dem sich K. Barths literarische
Produktion und die fortschreitende Wandlung
seiner Ansichten vollzieht, mag manchen die vorliegende
Schrift, die sich, als B.'s Dogmatik I erschien, bereits
im Druck befand und daher diese nicht auch mehr berücksichtigen
konnte, als von vornherein überholt erscheinen
. Doch wird durch diese Ungunst der äußeren
Verhältnisse ihr Wert und ihre Wichtigkeit keineswegs
vermindert. Denn auch in der nunmehrigen Phase von
B.'s Gedankenentwicklung wirken seine früher vorgetragenen
Ansichten noch immer in mehrfach entscheidender
Weise nach. Das Verdienst der vorliegenden
Schrift aber besteht darin, daß ihr Verf. sich mit großer
Umsicht, rühmlicher Geduld und anerkennenswertem
Scharfsinn bemüht hat, in die in B.'s früheren Schriften
vorgebrachten Ansichten Einheitlichkeit, Zusammenhang
hineinzubringen und sie sinnvoll zu interpretieren. Nicht
ohne Grund tritt er mehrfach auch B.'s bisherigen
Kritikern entgegen und hebt die „erstaunliche" Konsequenz
(S. 94) hervor, mit der B. seine Gedanken durchgeführt
hat.

Als deren Grundgebilde stellt der Verf. einen in seiner Art
durchaus idealistischen Gottesbegriff fest und deckt dessen trotz charakteristischer
Abweichungen gleichwohl bestehende Verwandtschaft mit
dem Neuplatonismus und Sendlings Idealismus auf. Dieser Gottesgedanke
ist das Ergebnis und das einzige Thema (S. 58) der von
B. vertretenen und nach seiner Meinung „ihres Namens würdigen
Philosophie", die die Problematik unseres Daseins deutet, nachdem
uns das Leiden die Augen für diese geöffnet hat (S. 33). Nicht

also in der dialektischen Methode B.'s erkennt der Verf. den Grund
für die von ihm entwickelten Gedankengänge (S. 36). Sondern jene
Methode ist selbst erst „eine Folge der Dialektik des Gottesge-
- dankens" (S. 59ff.), sowie ihn B. in folgendem Satze bestimmt: „Die
Einheit des göttlichen Willens spaltet sich zur Zweiheit, um sich
in der Überwindung dieser Zweiheit um so siegreicher als Einheit
[ zu erweisen" (S. 26. = B.'s Römerbrief 2. Aufl. 3. Abzug 1924
[weiterhin zitiert als R.] S. 168). Eine solche Spaltung Gottes in
sich selbst aber wird in der Schöpfung der Welt verwirklicht, die
jedoch ihrerseits vorzeitlicher Fall, Sünde, Raub an Gott ist und
J daher dessen Zorngericht unterliegt (S. 28). Wie so aber B.s Begriff
von der Sünde ausschließlich kosmischen Charakter hat (S. 18), so
| gilt dasselbe auch von der Buße als dem Stellen der Lebens- und
j Gottesfrage (S. 34); ferner von der Erlösung, durch die in der
Auferstehung „die Nur-Menschlichkeit des Menschen und die Nur-
Göttlichkeit Gottes, . . . also gerade die Doppelheit des Aspekts
unseres Lebens" aufgehoben sein wird (S. 54 f. = R. S. 280); endlich
| von dem Wort Gottes, sofern es als Wort von der Erlösung Eschato-
j logie sein soll (S. 95; vgl. R. S. 374). Im Zusammenhang dieser
Anschauungen wird Jesus wie jeder andere Mensch einfach auch als
j Sünder beurteilt, sein Leben, Sterben und Auferstehen aber als
Gleichnis für das unanschauliche Geschehen in Gott in Anspruch ge-
! nommen (S. 51). „Er symbolisiert die Dialektik des Gottesgedankens:
| Gott wurde Mensch; als das ganz Andere Gottes leidet . er in
I Kreuz und Tod die Strafe der Sünde; aber er ist auferstanden von
j den Toten, bat die Andersheit überwunden" (S. 94). Auch die Offen-
l barung, die immer nur als „Einfallstrichter" und „Hohlraum" vor-
I handen und stets „verhüllt" sein soll, hebt sich durch nichts von
dem sündigen Geschehen der Welt ab (S. 40). Ihr Rätsel zu deuten
macht sich jedoch B.'s Philosophie anheischig, die mit dem Glauhen
als dem Fürwahrhalten des Geoffenbarten für identisch erklärt wird
(S. 68). Ferner soll das Problem der Ethik mit dem der Dogmatik
identisch sein (S. 84 ff.). Denn als primär ethische Handlung bestimmt
j B. das Denken der Unanschaulichkeit Gottes (S. 93), d. h. „das in
| jedem Augenblick zu vollziehende Eingeständnis, daß ich mich in einer
j fatalen Situation der Erbärmlichkeit und Sünde des Da-Seins mitten
j in der dialektischen Bewegung Gottes befinde, weil allein durch
; dieses Eingeständnis die Erlösung, d. h. die höhere Einheit in Gott
j und damit Gottes Ehre ermöglicht werden kann" (S. 83f.). In dieser
. rein theoretischen Einstellung besteht die Buße als eine Erneuerung
j des Denkens, also als ein Umdenken (S. 87 f.). Folgerecht kennt B.
i auch nur eine Individualethik, die sich sekundär an die anderen
Menschen nur insofern wendet, als „auch sie gerade in ihrer undurch-
; sichtigen unerforschlichen Andersheit Glaubende, von der Not und
Hoffnung der Gottesfrage Bedrängte, als Einzelne in Christus be-
I gründet sind" (S. 89 f. = R. S. 427). Dagegen hält B. jede Sozial-
' ethik für einen „Ti'.anismus", der nur „durch den völligen Verzicht
auf die Kirche Christi auf Erden" beseitigt werde (S. 89).

Die Unvereinbarkeit dieser Gnosis (S. 67) mit
dein neutestamentlichen Christentum hebt der Verf.
immer wieder nachdrücklich hervor. Andererseits erscheint
nach seinen Darlegungen B.s ältere spekulative
j Gedankenwelt in sehr viel höherem Grade als ein syste-
1 matisch einheitliches Denkgebilde, als wie sie sich wenigstens
mir bisher darstellte. Aber wird der neuerdings
; von B. so energisch proklamierte Deiverbismus ihn
schließlich nicht doch noch immer weiter über seine
ursprünglichen Konzeptionen hinaus und von ihnen hin-
[ wegführen müssen, nachdem er manche von diesen
: schon in seiner Dogmatik I stillschweigend berichtigt
; hat? Der Verf. beabsichtigt auch zu diesem Werk B.'s
demnächst Stellung zu nehmen, und man wird seiner
neuen Arbeit mit Spannung entgegensehen dürfen.

Möge nur die Verlagsbuchhandlung dafür sorgen, daß nicht
! auch wieder der Druck dieser Schrift sich so lange verzögert, bis
sie bei ihrem Erscheinen durch B.'s fernere Entwicklung überholt
sein wird. Tüchtige Arbeiten von Anfängern sollten überhaupt möglichst
schnell der "öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Manche
Verleger freilich scheinen sich gar nicht klar darüber zu sein, wie
! sie unsere jüngeren Fachgenossen in ihrem beruflichen Vorwärts-
| kommen schädigen, wenn sie die von ihnen übernommene Drucklegung
I von deren Schriften wider Erwarten hinauszögern. Vielleicht ist die
j Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft dazu imstande, in solchen
I Fällen, von denen mir neuerdings mehrere zur Kenntnis gekommen
sind, auf die beteiligten Verlagsbuchhandlungen einen höchst notwendigen
und vermutlich auch wirksamen Druck auszuüben.

Bonn.____ O. Ritschi.

F.ezer, Prof. Dr. Karl: Der Herr und seine Gemeinde.

Predigten. Stuttgart: Calw er Vereinsbuchh. 1927. (167 S.) 8°.

Lwd. RM 4.50.

Wesen und Weise der evangelischen Predigt haben
sich in dem letzten Jahrzehnt gründlich gewandelt. Die