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Ausgabe:

1929

Spalte:

581-583

Autor/Hrsg.:

Rothstein, J. Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kommentar zum ersten Buch der Chronik 1929

Rezensent:

Eissfeldt, Otto

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wandeln müssen und das Ergebnis des Buches dahin zu
reduzieren haben, daß das ältere nachexilische Judentum
nur erfaßt werden kann unter dem Gesichtspunkt
der dauernden Spannung, die durch das Aufeinandertreffen
von Anregungen des Auslands mit der auf
die Tradition zurückgreifenden Religion des „Gesetzes
und der Profeten" in der Diaspora und Heimat immer
neu entstanden ist.
Gaiberg bei Heidelberg. A. Weiser.

Kommentar zum ersten Buch der Chronik. Von Piof. D. Dr.
J. Wilhelm Rothstein. Nach d. Verf. Tod bearb., abgeschlossen
u. eingel. v. Prof. D. Johannes H ä n e 1. Leipzig: A. Deichert 1927.
(LXXXIX, 532 S., 7 Bl.) gr. S°. *= Kommentar z. Alten Testament.
Bd. 18, TL 2.

1. Lief. RM 13.50; geb. 16.—. 2. Lief. RM 17.50; geb. 20.—
Die erste Hälfte des vorliegenden Kommentars,
d. h. Obersetzung und Erklärung von 1, 1—16, 3, hat
Wilhelm Roth stein völlig fertiggestellt. Für
16, 4—29, 9 hat er ein Manuskript hinterlassen. Der
Rest des Buches 29, 10—30 ist von Johannes H ä-
li e 1 kommentiert worden. Dieser hat weiter eine tabellarische
Ubersicht über die literarkritische Aufteilung von
1, 1 — 16, 3 gegeben, 16, 4—29, 9 überarbeitet und die
SO Seiten starke Einleitung verfaßt. Die Überarbeitung
von 16, 4—29, 9 hat dasselbe Ziel im Auge wie die
Beigabe der Übersicht zu 1, 1—16, 3, nämlich durch
Tilgung oder durch Neutralisierung stehen gebliebener
formeller und sachlicher Inkonsequenzen die literarkritische
Analyse des I. Chronikbuches zu klarer Anschauung
zu bringen.

Äußerlich ist der Kommentar so angelegt, daß bei
den einzelnen Textabschnitten, von denen aber leider
keine Übersicht gegeben wird, erst die Übersetzung,
dann textkritische Bemerkungen, weiter literarkritische
und sachliche Darlegungen und schließlich zusammenfassende
, oft exkursartige Ausführungen über die jeweilig
wichtigen Fragen dargeboten werden. Die Erörterung
der Probleme ist gründlich und ausführlich.
So wird der Leser — denn diesen Kommentar kann man
wirklich lesen — in bequemer und gefälliger Weise in
den Gegenstand eingeführt, ein Vorzug, der über die
gelegentlichen Breiten leicht hinwegsehen läßt. Man
erprobe das etwa an einem an sich so wenig anziehenden
Objekt wie der Genealogie der Hohenpriester bis
zum Exil (5, 27—6, 66) auf S. 108—114. Hier hat R.
nicht nur Neues zu sagen, sondern er tut das auch in gefälliger
, ja interessanter Form. Seinem Inhalt nach aber
bedeutet der Kommentar einen wesentlichen Fortschritt
in dem textkritischen, dem literarkritischen und dem
historischen Verständnis des 1. Chronikbuches.

Der Schwerpunkt liegt dabei in der literarkritischen '
Analvse einerseits und in der historischen Wertung
andererseits. Was das erste angeht, so wird jeder einzelne
Satz, ja jedes einzelne Wort nach seiner Herkunft
geprüft und bestimmt, ob unseren Samuelis- und Königsbüchern
bzw. ihrer Vorlage entstammend, ob dem ersten
Verfasser der Chronik oder einem Redaktor angehörend
usw. Diese minutiöse Aufteilung des Textes, deren in j
gründlicher LJntersuchung gewonnenen Ergebnisse durch
Druck der einzelnen Elemente in verschiedenem Schriftsatz
und durch Beigabe von Siglen auch oberflächlichem
Nachschlagen leicht zugänglich gemacht sind, verliert
ihren großen Wert auch dadurch nicht, daß sie hier und
da mehr wissen will, als sich wirklich feststellen läßt.
Denn solche Analysen müssen vollständig sein, auch auf
die Gefahr des Irrtums hin, der sich hier wie sonst
schließlich doch als Quelle besserer Erkenntnis rechtfertigt
. Die historische Behandlung des Textes ist dadurch
charakterisiert, daß sie manches Sondergut der
Chronik nach zwei Seiten als wertvoll darstellt, einmal
als zuverlässige Kunde aus der Zeit, von der erzählt
wird, sodann als Widerspiegelung von Zuständen und
Ereignissen aus der Zeit des oder der Chronisten, also j

1) Erscheint ohne Schuld des Rezensenten verspätet.

des 6. bis 4. Jahrhunderts v. Chr. Die in letzterer Hinsicht
gewonnenen Ergebnisse scheinen mir besonders
wertvoll zu sein.

Stichproben haben mir gezeigt, daß der Kommentar
zuverlässig ist. Nur hier und da fand sich eine Unge-
nauigkeit oder auch ein Fehler. So sollte in der Übersetzung
von 17, 6 „Richter" nicht in Antiqua (= nicht
aus 2. Sam. 7 entnommen) gedruckt sein, sondern wie
i die Umgebung in Kursiv (= aus 2. Sam. entnommen).
Denn wenn 2.Sam. 7, 7 „Stämme" statt „Richter" hat,
so ist das ein einfacher Schreibfehler; „Richter" in 17, 6
stammt also aus der noch nicht verderbten Vorlage
2. Sam. 7, 7. Ähnliches wäre zu dem Antiqua-Druck
von „seit der Zeit" in 17, 10 zu sagen. Hier in der
' Übersetzung von 17, 10 fehlt außerdem „Israel", und
in den textkritischen Bemerkungen zu dem Vers muß es
„Letzteres" statt „Letztes" heißen.

Die vom Herausgeber verfaßte, in 7 Abschnitte
(Theologie; Komposition; Geschichte; Name, Einteilung
, Stellung im Kanon, Verhältnis zu Esra-Nehemia;
Benutzte Literatur; Schriftsatz der Übersetzung, Sigel
der literarischen Schichten; Berichtigungen) gegliederte
Einleitung ist eine dankenswerte Zusammenfassung der
zahllosen Einzelbeobachtungen des eigentlichen Kommentars
. Der Abschnitt „Theologie" ist der ausführlichste
. Auch in ihm belegt der Herausgeber seine Sätze
sehr oft mit Verweisen auf den Kommentar. Aber er
bringt doch gerade hier auch Eigenes, und zwar Gutes.
So ist die Gottesvorstellung der Chronik anschaulich
dargestellt. Noch schärfer und zutreffender würde diese
Darstellung geworden sein, wenn für sie nur das spezifisch
chronistische Gut unter Beiseitelassung alles von
dem Chronisten vorgefundenen Stoffes verwertet worden
wäre. Dieser ist nicht streng genug ausgeschieden
worden. So ist der Zug (14, 15), daß Jahwe als in den
Wipfeln der Bakasträucher einherschreitend gedacht
wird, für die Gottesvorstellung der älteren Zeit (2. Sam.
5, 24) charakteristisch, aber nicht für die des Chronisten
.

Von den im Abschnitt „Komposition" zusammengefaßten
Ergebnissen der Einzel-Analyse sind die wichtigsten
diese beiden: 1. Der Chronist hat außer den uns
vorliegenden Samuelis- und Königsbüchern auch noch
deren Vorlage benutzt. 2. Der eigentliche Autor der
Chronik ist nicht am Ende des 4„ sondern schon am
Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. anzusetzen; von ihm
ist ein jüngerer Bearbeiter (oder auch mehrere) zu
unterscheiden. Die zweite These scheint mir bewiesen
zu sein; die für die erste vorgebrachten Argumente reichen
aber kaum zum Beweise aus.

Leider fehlt in der Einleitung ein Abschnitt über
den Text, d. h. über Art und Wert des M.T. und der
Übersetzungen, in erster Linie der LXX. Solch ein Abschnitt
darf aber bei der Chronik am allerwenigsten
fehlen. Denn hier läßt sich anscheinend besonders
deutlich erkennen, daß LXX eine ältere Stufe der Text-
entvvicklung darstellt als M.T., eine Beobachtung, die
zeigt, daß auch die „gelegentliche Vorliebe für den ter-
minus DVT^N statt 7VSV" anders erklärt werden muß,
als es S. XIII geschieht. Unter einem besonderen Gesichtswinkel
, nämlich dem des Verhältnisses von CHt^
und HlTT zu 9-ecg und **>Qiog, geht B a u d i s s i n s
Kyrios-Werk, I.Teil, S. 343ff. und S. 394ff. auf die
Sache ein, aber sie muß einmal um ihrer selbst willen
behandelt werden. Weiter liegt die Frage nahe, warum
der Herausgeber seine Einleitung schon dem I. Chronikbuch
beigegeben hat, während der Verfasser (S. 1) eine
solche Zusammenfassung der Einzelergebnisse erst nach
der Kommentierung nicht nur des ganzen Chronikbuches
, sondern auch von Esra und Nehemia geben
wollte. Der Heiausgeber wird das I. Chronikbuch, da
einmal der Kommentar zu ihm vorweg veröffentlicht
werden sollte, nun auch nicht ohne Einleitung haben
ausgehen lassen wollen, auch wenn diese Einleitung