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Ausgabe:

1929 Nr. 22

Spalte:

514-517

Autor/Hrsg.:

Laqueur, Richard

Titel/Untertitel:

Eusebius als Historiker seiner Zeit 1929

Rezensent:

Campenhausen, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 22.

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den" und „Kulterzählungen", aber auch die Prophetenlegenden
werden nach und nach zur Kulterzählung
umgestaltet (S. 26). Der Tod Jesu ist das entscheidende
kultkonstituierende Ereignis. — In der zur Kulterzählung
umgestalteten Jesusüberlieferung treten zwei Typen
hervor: der in Versuchungen Geprüfte und der Sieger
im Kampf gegen die Welt. Beide haben ihre Wurzel in
der Wirklichkeit des Lebens Jesu. Sie sind in der
Oberlieferung nicht scharf auseinandergehalten. Auf der
einen Seite wird die Freiwilligkeit im Leiden betont (die
Aktion in der Passion), und andererseits wird das siegreiche
Wirken Jesu zum Teil auch „als passive Abwehr
von versucherischen Angriffen" dargestellt (S. 34). —
Wenn man die Quellen in dieser ihrer Eigenart erkannt
hat, wird es klar, daß die empirische Geschichtsforschung
diesen Quellen gegenüber versagen muß. Vielfach
hat man sich der „Katastrophentheorie" zugewendet
, d. h. der Anschauung, daß Jesus wider seinen
Willen, als Optimist, Idealist, Utopist, dem Verderben
entgegengegangen sei. Aber ein gewisses Bewußtsein
von der inneren Unmöglichkeit dieses Geschichtsbildes
ist geblieben. Dann hat man die geschichtliche Wirklichkeit
Jesu ganz verleugnet. Der Historiker wird durch
die Quellen vor das entscheidende Faktum gestellt:
..ein Mensch, an dem sich die Geister scheiden, den man
selig preist oder verflucht" (S. 39). Wie man diese '
Persönlichkeit beurteilen will, „ist nicht mehr Sache
historischer Forschung, sondern persönlicher Entscheidung
". „Ein Wahnsinniger oder einer der Vollmacht
hat, das ist die Alternative" (S. 40). — Unter diesen
Umständen ist „die Gestalt Jesu der Forschung unmittelbar
nicht zugänglich". Und „das übliche Zeitschema
der Entstehungsgeschichte des Christentums ist
durchbrochen". „Synoptiker, Paulus, Johannes stehen
nebeneinander, nicht hintereinander". „Nicht was Jesus
war, sondern was er ist, hat sich je nur dem Gläubigen
erschlossen. Mit dieser Erkenntnis wird der Historiker
sich bescheiden müssen."

Die theologische Forschung muß immer aufs Neue
zu dem Probleme „Glaube und Geschichte" Stellung
nehmen. Sowohl der Geschichtsforscher als der Systematiker
wird mit Dankbarkeit die wertvollen Ausführungen
des Verfassers über dieses Problem lesen. Wie
viel beachtenswertes sie enthalten, leuchtet hoffentlich
durch das oben gegebene Referat hervor. Selbstverständlich
läßt sich auch manches einwenden. Man
könnte fragen, warum der Tod Jesu allein als das entscheidende
kultkonstituierende Ereignis hervorgehoben
wird. Warum nicht der Tod und die Auferstehung? —
Ein schärferes Auseinanderhalten der kultkonstituierenden
Faktoren und des umgestaltenden Einflusses des
Kultes auf die Überlieferung wäre erwünscht. — Die
Hauptfrage ist aber diese: wie soll man sich das Verhältnis
zwischen dem neutestamentlichen Berichte über
die Geschichte Jesu und der geschichtlichen Wirklichkeit
denken? Es ist zwar selbstverständlich, daß man
immer zwischen einem geschichtlichen Berichte und der
geschichtlichen Wirklichkeit unterscheiden muß, insofern
die Wirklichkeit nur in der Gestalt, die der Bericht ihr 1
gegeben hat, die folgenden Generationen beeinflussen
kann. Für alle, welche ein Ereignis nur durch den Be- 1
rieht kennen, ist der Bericht gewissermaßen ein Stellvertreter
der Wirklichkeit. Es ist daher auch berechtigt,
wenn der Verfasser zwischen Überlieferung und „Überresten
" unterscheidet. Aber man darf nicht vergessen,
daß diese Unterscheidung den neutest. Schriftstellern
ohne Zweifel fremd war. Sie haben ihr ülaubenszeugnis
mit der geschichtlichen Wirklichkeit einfach identifiziert.
Und der Glaube wird zu jeder Zeit geneigt sein, dasselbe
zu tun. Obgleich wir, so bald wir reflektieren,
gern zugeben, daß unsere persönlichen Erinnerungen
vielleicht unsere Erlebnisse etwas umgestaltet haben,
beruht der Wert unserer Erinnerungen für uns doch
darauf, daß wir sie als Wirklichkeit ansehen. In derselben
Weise muß auch der Glaube annehmen, daß

der biblische Christus der geschichtlichen Wirklichkeit
auf allen entscheidenden Punkten entspricht. Durch die
oben zitierten Schlußworte des Verfassers wird die Gefahr
nahegelegt, daß die geschichtliche Wirklichkeit
durch die Ideen als die in der Geschichte entscheidenden
Faktoren ersetzt wird. Und das ist doch in keiner Weise
die Meinung des Verfassers. Nach seiner Anschauung
„wurzelt" das Jesusbild der Überlieferung in der geschichtlichen
Wirklichkeit. Aber eine Unklarheit ist
vorhanden, wenn man fragt, was mit dem Worte „wurzelt
" eigentlich gemeint ist. Vielleicht ist es eine Unklarheit
, die beinahe unvermeidbar ist. Es ist leichter
zu behaupten, daß das Glaubens/.eugnis geschichtliche
Wirklichkeit tradiert, denn diese Wirklichkeit scharf
abzugrenzen. Hier liegt eine der größten Schwierigkeiten
in dem Probleme: Glaube und Geschichte.
Kopenhagen. F. Torrn.

Laqueur, Prof. Richard: Eusebius als Historiker seiner Zeit.

Berlin: W. de Gruyter & Co. 1929. (X, 227 S.) gr. 8°. = Arbeiten
zur Kirchennesch., II. RM 18 — .

Es kann nicht überraschen, daß eine Arbeit über
die Entstehung der drei letzten Bücher von Eusebios'
„Kirchengeschichte", wie sie der Gießener Althistoriker
in diesem Buche uns vorlegt, an die Forschungen von
Eduard Schwartz anknüpft. Indem sie deren Bedeutung
selbst wiederholt unterstreicht und seine Text-
ausgabe der Untersuchung überall zugrunde legt, bestätigt
sie von neuem den bleibenden Wert dieser großartigen
Leistung der philologischen Wissenschaft. Aber
es ist dem Verf. doch gelungen, in den Fragen der Text-
und Kompositionsgeschichte so bedeutende und weittragende
Ergebnisse zu erzielen, daß er in der Tat berechtigt
ist, von einem „Neuaufbau" im Verständnis
des Werkes zu reden. Es handelt sich nicht um einen
bloßen Fortschritt in der Interpretation zahlreicher Einzelstücke
, sondern um eine veränderte Gesamtauffassung
von der Entstehung des Textes und von der wissenschaftlichen
Arbeitsweise des Eu„ die sie verständlich
macht. Die Durchführung der neuen Gesichtspunkte
gibt der Schrift über die höchst wesentlichen sachlichen
Entdeckungen hinaus ein grundsätzliches methodisches
Interesse.

Es war schon längst eine anerkannte Tatsache, daß
die „Kirchengeschichte" nicht von vornhein in ihrem
heutigen Umfang geplant war. Erst mit dem Fortschreiten
der Zeitereignisse wurden ihre letzten Bücher
stückweise an die früheren Teile angehängt. Mit einer
stärkeren Veränderung der einmal niedergeschriebenen
Partien wurde aber im Allgemeinen nicht gerechnet, ob-
schon Schwartz. verschiedene „Textvarianten" in Wirklichkeit
als echte eusebianische Formulierungen verstehen
lehrte, die er in vier verschiedenen „Ausgaben"
der „Kirchengeschichte" unterbrachte. Hier setzt Laqueur
ein. Die erste Niederschrift der Zusatzstücke
läßt sich ungefähr datieren, seiner Meinung nach kann
Eu.aber in den betreffenden Jahren unmöglich schon die
genaue Kenntnis der jeweiligen, z. T. in großer räumlicher
Entfernung sich abspielenden Vorgänge besessen
haben, die er heute darin an den Tag legt. Der Text
der letzten Bücher ist in sich selbst nicht einheitlich. Er
wurde von Eu. fortschreitend umgebildet und
aufgefüllt, so daß er heute mehrere übereinander
gelagerte Schichten aus ganz verschiedenen Arbeitsperioden
zugleich umfaßt — eine Erkenntnis, die für die
Verwertung der „Kirchengeschichte" als historischer
Quelle natürlich von größter Bedeutung ist. Den Beweis
für diese These erbringt die überaus subtile und scharfsinnige
Analyse der griechischen Texte, die an dieser
Stelle natürlich nicht im Einzelnen wiedergegeben werden
kann. Sie ist m. E. in den weitaus meisten Fällen
völlig überzeugend geglückt. Es zeigt sich immer wieder
, daß dort, wo man bisher im Text nur Korruptelen
und unbegreifliche Unklarheiten konstatieren konnte, in
Wahrheit die Bruchstellen späterer E i n s c h ü b e zu f in-