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Ausgabe:

1929 Nr. 21

Spalte:

500-501

Autor/Hrsg.:

Volkelt, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Problem der Individualität 1929

Rezensent:

Winkler, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 21.

500

vrickluiiKSzusamnienhang der Monadenwelt gehandelt; es wird keine der
bekannten Formulierungen ausgelassen, mit denen man die Erinnerung
an Leibniz verbindet, aber sie alle werden in die gründende Bewegung
des Leibnizischen Denkens zurückgenommen, als die sich die Frage nach
der „Möglichkeit" erschließt. Die bei Leibniz in den verschiedensten
Zusammenhängen wiederkehrenden Motive der Definition, Relation und
Ordnung erfahren in dem Problem der Möglichkeit ihre zentrale Ver- i
einigung. „Einen Oegeiistand erkennen, heißt ihn . . . aus der (einfachen
' Bedingung seiner Möglichkeit . . . erzeugen" (14). Das gilt nicht
nur von den Vernunft-, sondern auch von den Tatsachenwahrheiten.
Oerade das Gegebene ist als möglich zu bestimmen. Auch die be- i
herrschende Stellung des Kraftbegriffs entspringt dem Verlangen, das I
Phänomen in seiner Ermöglichung zu erkennen. Ebenso will der Be- !
griff der Harmonie nicht die bequeme Formel sein, die aus allen Widersprüchen
der Vorgänger leicht herausführt, sondern als umfassendes
Prinzip der Erklärung eher Forderung als Resultat bedeuten. In der
gleichen Richtung findet das Streben nach der ars combinatoria seine
Begründung. „Die Möglichkeit bedeutet die in ihrem Gefüge . . durch-
schallte Wirklichkeit" (31). Die Monadenlehre überträgt die Methode
der Möglichkeit auf das Gebiet der Psychologie. „Die Monas ist der
Gegenstand gleichsam ... in seinem Erlebtsein" (36). Bis in das Ge-
biet der höchsten Bestimmtheit hinein bleibt das Motiv der Möglichkeit [
für die Begriffsbildung leitend. Und gerade dadurch wird Leibniz zum !
Wegbereiter Kants, in dessen Kritiken die Frage nach der Möglichkeit
der Synthesis a priori die beherrschende Frage ist.

Bremen. Hinrich Knittermeyer. !

Pfennigsdorf, D. E.: Der Erlösungsgedanke. Bericht über
d. 2. dtsch. Theologentag in Frankfurt a. M. (Herbst 192S).
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1929. (VI, 144 S.) gr. 8°. = |
Deutsche Theologie, Bd. 2. RM 6—.

Wie der Untertitel des Berichts angibt, bildete der j
Erlösungsgedanke das Gesamt-Thema für den
2. deutschen Theologentag. Und so erreichte man eine
sehr vielseitige, zum Teil auch tiefgehende Beleuchtung
dieses theologischen Zentralproblems.

Von allgemein religionsgeschichtlichem Gesichts-
punkte aus wurde der Erlösungsgedanke von Giemen
(Bonn) behandelt; von alttestamentlichen Gesichtspunkten
aus von Procksch (Erlangen). In dem Vortrag i
„Erlöser und Erlösung im Spätjudentum und Urchristentum
" gab Jeremias (Berlin) die Grundlagen einer
größeren Untersuchung über dies Thema. Als unrichtig
lehnt er die traditionelle Vorstellung ab, daß das Judentum
zur Zeit Jesu nicht von einem durch Leiden verherrlichten
Erlöser gewußt haben sollte. Wie er nachzuweisen
sucht, machte sich zu jener Zeit eine doppelte i
Erlösungserwartung geltend: 1. die herrschende vom i
messianischen Kriegsherrn und 2. die esoterische von
dem durch Leiden zur Herrlichkeit hindurchgehenden
Erlöser, über das Thema: „Erlöser und Erlösung im |
Urchristentum und Hellenismus" las Deißner (Greifswald
). Besonders lebhafte Diskussion erweckte Loh-
meyers (Breslau) Vortrag über den „Erlösungsbegriff
im Urchristentum". So großzügig und völlig fesselnd i
diese Darstellung auch war, muß sie doch als sehr
konstruktiv bezeichnet werden. Exegese und Spekula- !
tion sind hier eine eigentümliche Verbindung einge- ,
gangen. Offenbar hat der Forscher in weitem Maße
seine eigene systematische Anschauung in das histo-
rische Material hineingelegt. Hermelinks (Marburg) j
Darstellung des Erlösungsgedankens bei Luther ist be-
sonders instruktiv, aber sie ist durchweg in Form der
These gehalten. An verschiedenen Punkten hätte man j
sachliche Begründungen der skizzierten Gesichtspunkte
gewünscht. Lütgerts Untersuchung über die Stellung des
Erlösungsgedankens in der Dogmatik der Gegenwart wird 1
hier dieser wichtigen Frage kaum ganz gerecht—in ihrer
Gesamtheit aber liegt sie in den „Beiträgen zur Förderung
christlicher Theologie" vor. Auch die Beleuchtung
der Frage nach der praktisch-pädagogischen Anwendung
des Erlösungsgedankens fehlt in diesen Ver- j
handlungen nicht. Niebergalls (Marburg) interessante
Untersuchung über den Erlösungsgedanken im Reli- '
gionsunterricht gab Anlaß zu einem fruchtbaren Meinungsaustausch
. In der missionswissenschaftlichen Sektion
, wo man gern die Behandlung des Erlösungsgedankens
im Hinblick auf die praktische Mission gesehen

hätte, wurde eine Spezialfrage behandelt; Julius Richter
gab hier einen eingehenden Bericht über das Missionskonzil
in Jerusalem.

Vergleicht man diese Tagung mit der vorigen in
Eisenach, so liegt der Vorzug der Frankfurter Tagung
darin, daß man sich dieses Mal auch auf dem rein systematischen
Gebiete weitgehend verständigte. Von besonderem
Interesse war Jelkes (Heidelberg) Vortrag über „Die
Aufgabe der Dogmatik" und der dadurch veranlaßte
Meinungsaustausch. Trotz verschiedener Ausgangspunkte
und Betonungen zeigen die hier dargestellten Gedankengänge
eine bestimmte Tendenz, an zentralen Punkten
zusammenzulaufen. Mit Recht konnte Wobbermin (Göttingen
) in der Debatte die Übereinstimmung an drei
wesentlichen Punkten unterstreichen: l.In der Intention
auf das Objektive und Absolute. 2. In der Bewertung
der Kirche auch für die theologische, speziell die dogmatische
Arbeit. 3. In der Forderung, alle dogmatischen
Entscheidungen an der heiligen Schrift zu orientieren.
(Vgl. auch Wobbermins Aufsatz „Der zweite deutsche
Theologentag" ... in „Christentum und Wissenschaft"
1929.)

Hiermit berühren wir einen der stärksten Eindrücke,
den der Leser der Verhandlungen empfängt, den Eindruck
vom „Willen zur Gemeinsamkeit", von dem
Wenningsdorf, der Leiter der Tagung, schon in den Begrüßungsworten
redete. Wie hoch man auch die einzelnen
Vorträge, die hier gehalten wurden, bewerten
muß, so wie auch das überall vorhandene Streben der
Tagung, zu einer Methode für die theologische Arbeit
zu gelangen, die wirklich dem Stoff der Theologie
entspricht, dürfte man doch den bedeutsamsten Gewinn
der Tagung darin zu sehen haben, daß sie überhaupt zustande
kam und so harmonisch durchgeführt werden konnte
. Vielleicht ist es keine Übertreibung, wenn der Leiter
der Tagung die beiden deutschen Theologentage als
ein „Ereignis von kirchengeschichtlicher Tragweite" zu
bezeichnen wagte.

o

Abo. Torsten Bohl in.

Volkelt, Prof. Johannes: Das Problem der Individualität.

München: C. H. Beck 1928. (X, 221 S.) 8°. RM 7 ; Lwd. 10-.

Die Schrift macht das Rätsel des Ich zu ihrem
Problem. In phänomenologischer Analyse wird festgestellt
, daß das Ich seine Individualität nicht wie alles
sonstige Wahrgenommene dadurch hat, daß es in Zeit
und Raum festgenagelt ist, sondern rein schon durch
seine Ichheit. In unmittelbarer, freilich deshalb auch unbeweisbarer
Gewißheit erlebe ich mich als dieses, von
jedem Du qualitativ verschiedene Ich. Dieses mein Ich
ist nicht nur da, soweit es sich spürt, sondern reicht bis
dorthin, wo ich die Erscheinungen sehe, es hat nicht nur
eine Spürweite, sondern auch eine Reichweite. Die phänomenologische
Analyse deckt jedoch auch das Unzusammenhängende
, Gesetz- und Regellose am empirischen
Bewußtsein, sein unablässiges Abreißen, Verschwinden
und Wieder-Neuanheben auf. Von dieser Beobachtung
aus kommt der Verf. zu einer Metaphysik der Individualität
.

Dem Ich muß eine erschlossene, nicht unmittelbar
erlebte Innerlichkeit (S. 61), die aber auch in intuitiver
Gewißheit, einer Art Glaube erfaßt werden kann (S. 72),
zugrundeliegen (unmittelbare Gewißheit von einem nicht
unmittelbar Gegebenen). Damit ist der Blick in eine
metaphysische Welt frei. Die intuitive Selbsterfassung
läßt mich der Freiheit meines Ich gewiß werden (S. 75),
überzeugt mich von der Realität eines überindividuellen
Geistes, der dem Gemeinschaftsganzen entspricht (S.
116 ff., metaphysische Grundlage des theologischen Gedankens
von einer unsichtbaren Kirche), von der Transzendenz
eines der Welt gegenüberstehenden persönlichen
Gottes im Gegensatz zu einer pantheistischen
Mystik, die Gott und Seele in ihrem substantialen Wesen
eins werden läßt und damit Gott in die Immanenz zieht
(S. 137 ff.). Auf Grund solcher intuitiven Selbster-