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Ausgabe:

1929 Nr. 2

Spalte:

31-32

Autor/Hrsg.:

Böckeler, Maura (Bearb.)

Titel/Untertitel:

Hildegard von Bingen: Wisse die Wege. Sci vias 1929

Rezensent:

Betzendörfer, Walter

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Seite 1

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31 Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 2. 32

die kirchlichen Richtlinien Gregors eingehalten und Kinder gebiert und durch die Firmung dieselben stärkt, die im aller-

sich mit den bis dahin erworbenen Primatsrechten be- heiligsten Altarsakrament, ihrer Brautgabe, Brot und Wein in Leib

gnügt hätte, der Bruch mit dem Osten und noch vieles "nd Blut Cnristi verwandelt und Gott als Opfer darbringt. Es muß

andere nicht eingetreten wäre. Ganz zum Schluß aber »^h den Worten der Heiligen im Glauben, d.h. so, daß der Betr.

..:.A n ,™„r,;„j.__.__„j. uz ™:z rv..„i__...„ „..f ,i„„ "as Wunder der Wandlung fürwahr ha t, genossen werden (S. 185).

wird B. empfindsam: er steht mit Duchesne auf dem ZweifeM der Kommtfni2iei^dei so ist d'icWirkung des Sakramentes

Palatin und schaut zum „chvus Scaun" hinüber, wo keine völlige (S. 183| 188). Noch wiclrtißer ist es, daß die Seele des

einstmals Gregors Kloster stand, und da füllen Sich ihre Empfängers beim Sakramentsempfang nicht von Sünden des Fleisches

Augen mit Tränen, weil sie Englands gedenken, wohin befleckt, von den Dornen des Zornes oder Hasses umzäunt oder gar

die Glaubensboten von hier aUS gekommen sind . . . mit Blut besudelt ist. Solche Menschen können der Erlösung nur teil-

München. Hu"o Koch haftig werden, wenn sie sich zuvor durch würdige Buße von ihrer

_ Gottlosigkeit gereinigt haben (S. 187).

Die Macht des Satans (sein „Haupt") ist zwar durch Gottes

Hildegard von Bingen: Wisse die Wege. Sei vias. Nach Liebestat zerschmettert (S. 193), doch bleibt ihm noch ein Rest von

dem Urtext des Wiesbadener kleinen Hildegardiskodex ins Deutsche Gewalt: Gott gestattet ihm, die Menschen zu versuchen, damit diese
übertr. u. bearb. von Maura Böckeier. Mit 35 Taf. nach den ; ihre Treue bewähren können (S. 192). Töten kann der Satan den

Miniaturen des Kodex. Mit e. Geleitwort von Ildefons Her- Menschen nur dann, wenn dieser sich ihm freiwillig übergibt (S. 192).

wegen. Berlin: Sankt Augustinus-Verlag 1928. (XXIV, 504 S.) Kämpft er dagegen mannhaft gegen den Teufel an, so kann dieser ihm
gr. 8°. Lwd. RM 22.50. j nichts anhaben (S. 199 f.)

Nachdem im letzten Jahrzehnt verschiedene Ar- Im 3- Bnch wird unte1' dcm Bilde ci,,*ä «ebäudes die Ansberten
über Hildegard erschienen sind Und erst im verg. Sittlichen Lichtplanes über die Menschheit dargestellt und
. , i_ii--- i - • du rv li Li-ij ,i geschildert, wie die Menschheit unter der Erziehung Gottes im Alten

Jahre H. F i s c h e r in seinem Buch: „Die hl. Hildegard g££ allmähUch lieramvächst und reif wird für (hls ,,„,„ in Christlls

V. Bingen, die erste deutsche Naturforscherin Und Arz- „nd wie dic Menschwerdung des Gottessohnes sich in der Kirche,

tili" (von mir besprochen in Nr. 14 der Theol. Litztg. dem festesten Bollwerk wider die Bosheit der Hölle, auswirkt, bis

Vom 7. Juli 1928) das naturvrissenschaftliche Und ärzt- endlich durch die Vernichtung des Antichrists und das letzte Gericht

liehe Wissen der Heiligen dargestellt hat, wird uns in die Hölle endgiltig iiesiegt wird (S. 396ff., 401 ff.),
dem vorliegenden Werk die erste deutsche Ausgabe des £s jsr_ verständlich, daß dieses Werk einen gewal-
frühesten und bedeutendsten Buches der großen Mysti- tigen Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht hat. Das
kerin geschenkt. „Sei vias" hat es Hildegard betitelt Geheimnis seiner Wirksamkeit liegt in der grandiosen
und wollte damit ausdrücken, daß es von den Wegen Art, in der hier in echt mittelalterlicher Natursymbolik
handelt, die Gott zur Erlösung der Menschheit ein- alles Vergängliche als ein Gleichnis des Ewigen und
schlug. Göttlichen gedeutet und zur Darlegung der katholischen
In der Vorrede des Buches schildert Hildegard, wie Glaubenslehre verwertet wird. Die Bilder, in denen die
sie in ihrem 43. Lebensjahr ein himmlisches Gesicht Heilige die Gegenstände ihres Glaubens (z. B. die
geschaut und eine Stimme gehört habe, die ihr gebot, Sonne Jesus, S. 232) und die Ideale christlichen Leih
re Offenbarungen ohne eigene Zutat niederzuschrei- Dens (die Tugenden) schaut, sind oftmals von wunderben
, wie sie aber trotz wiederholter göttlicher Aufforde- samer Schönheit. Was die theologischen Begriffe der
rung zu schüchtern dazu gewesen sei, bis endlich ihr Hildegard von Bingen betr., so ist es bemerkenswert,
Widerstand durch eine schwere Krankheit gebrochen daß sie unter Glauben nicht bloß das Fürwahrhalten der
wurde. Da schrieb sie denn, sich als Werkzeug Gottes kirchlichen Lehre, sondern auch das persönliche Verfühlend
, ihre Offenbarungen nieder und bediente sich trauen der Seele zur Barmherzigkeit Gottes (S. 321)
bei der Ausarbeitung ihres Werkes einer adeligen versteht. Hinsichtlich ihrer ethischen Anschauungen ist
Jungfrau: Richardis von Stade und eines Mön- /M beachten, wie die Klausnerin bei aller Hochschätzung
ches, des Volmar vom Disibodenberg. Zehn Jahre der Jungfräulichkeit und des Mönchtums (S. 160) auch
(1141—1151) nahm die Abfassung des Buches in dem Werte der Ehe (S. 360) und des bürger-
Anspruch. Es enthält die sinnbildlichen dramatischen liehen Berufes gerecht zu werden sucht und die
Visionen der Heiligen samt den durch eine himmlische wichtige Stellung der weltlichen Obrigkeit im
Stimme geoffenbarten Erklärungen derselben. Das Werk Heilsplane Gottes hervorhebt (vgl. z. B. III. Buch, 6.
zerfällt abgesehen von der Vorrede in 3 Bücher. Das Gesicht, S. 278 ff.).

erste handelt von der Sünde als der Voraussetzung des Mit dieser ersten deutschen Ausgabe des Haupt-
Erlösungswerkes, das zweite von der Erlösung durch werkes der großen Mystikerin des 12. Jahrhunderts
Christus, das dritte von der allmählichen Auswirkung hat sich die Herausgeberin ein wirkliches Verdienst er-
des ewigen göttlichen Planes in der Menschheitsgc- worben. Die Wiedergabe ist nicht bloß sprachlich in
schichte. I jeder Hinsicht gelungen, sofern sie Sinn und Schönheit
im Einzelnen schildert das i. Buch, wie dic Sünde aus den des Originals getreu wiedergibt, sie zeichnet sich auch
Hochmut des Teufels entstand (S. 36ff.), der dic Menschen ver- dadurch aus, daß darauf verzichtet ist, den ganzen Text
führte, und wie sich die Erbschuld von Geschlecht zu Geschlecht : restlos wiederzugeben; indem manche abschweifende
fortpflanzte (S. 40f.). statt Gottes Herrlichkeit aus der Schöpfung Partien ausgeschaltet würden, trat der innere Aufbau des
zü eukTCä ,,d 7? rch rc/T ä" <'bcten'w!reibt deJ, 1B1cfal!ene fend' Oanzen um so deutlicher zutage. Man könnte sich

allerhand dunkle Künste (Sterndeuterei, Magie und dergl. m.). UeJ , .. , , - , . , , ____ < „,„),, ua+r„ ■

Leib, der ihm Gehilfe und Weggenosse auf der Wanderung zum höchstens fragen OD nicht noch mehl hatte gestrichen

Himmel sein sollte, wird ihm zur Fessel und zum Feind, der ihn in werden können. Zur Ubersicht tragen abgesehen von der

die Tiefe zieht (S. 66ff.). Und so ist der Kampf der Seele Los. Einfühlung die Inhaltsangaben am Rande der einzelnen

Ihr Verlangen nach Erlösung kann nicht erfüllt werden durch die Abschnitte wesentlich bei. Das glänzend ausgestattete

Synagoge (S. 90ff.), denn diese bedarf selbst der Erlösung. Auch Werk, das die Herausgeberin bescheiden einen „Ver-

die Chöre der Engel können den Menschen nicht vom Fluch der such" nennt, ist eine vortrefflich gelungene Ausgabe des

Sünde befreien (S. 97 ff.). bedeutendsten Buches der Klausnerin vom Disibodenberg
.

Dies vermag, wie das 2. Buch ausführt, allein das ewige
Wort Gottes. Um den Menschen an seinem überströmenden Leben
Anteil zu geben, sandte Gott seinen Sohn in die Welt, damit er das Rinderfeld bei Mergeutheim. Walter Be t ze n dö r f e r.

Geheimnis der Trinität den Menschen enthülle und das göttliche Leben

auf die Erde bringe. Wie gelangen nun aber die einzelnen Menschen Mehl, Ernst: Die Weltanschauung des Giovanni Villani.

in den Besitz dieses übernatürlichen Lebens? Die Antwort lautet: £jn Bcitraig- zur Geistesgeschichte Italiens im Zeitalter Dantes.

Die heilige Braut Christi, die Kirche ist die gnadenreiche Mutter, Leipzig: B. G. Teitbner 1927. (VIII, 188 S.) gr. 8°. Beiträge

die von ihrem göttlichen Bräutigam das neue Leben empfängt und L Kulturgesch d. M.-A. u. d. Renaissance, Bd 33 RM 8—.

'ttt.£VBZZ£?5l& m ''hren mÜtterliChen SCh°ß Bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der
im folgenden wird dann die Kirche geschildert als diejenige Renaissance pflegt man neuerdings offenere Augen zu
Macht, die in den Sakramenten den Menschen die göttliche Gnade haben für die vielfachen Bindungen, die diese geistesgespendet
, die durch die Taufe ihrem himmlischen Bräutigam unzählige schichtliche Bewegung an das Mittelalter knüpfen. Be-