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Ausgabe:

1929 Nr. 20

Spalte:

470-479

Autor/Hrsg.:

Brunner, Emil

Titel/Untertitel:

Der Mittler. Zur Besinnung über den Christusglauben 1929

Rezensent:

Althaus, Paul

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469

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 20.

470

Menschentums ins Ewige vorzustoßen" (109). Die Arbeit
des Denkens ist erst am Ziel, wenn es gelungen
ist, bis in den zeugenden Grund des „Überlogischen"
durchzustoßen und des Bündnisses mit der „Liebe"
teilhaft zu werden. Die epochale Bedeutung dieser Logik
beruht darin, daß es ihr darauf ankommt, „das Reife
und Ewige im eignen geschichtlichen Kosmos aufzuspüren
" (111), nicht aber abseits und tatenlos den
„Schauern" der Ewigkeit nachzugehen. Die Gedanken
sollen „Taten des Weltgeistes", „einschlagende Blitze"
sein. Die „spezifische epochengeschichtliche Bedingtheit
" solcher Grundhaltung muß sich an der Fähigkeit
erweisen, orientalisches, griechisches, christliches und
germanisch-nordisches „Prinzip" in einer bewegten Ordnung
zu befassen, die in der Gegenwart eine „Welt von
Welten" koinzidieren läßt. Vor allem gilt es, das moderne
„Normieren" und das antike „Schauen" wurzelhaft
aneinander zu binden. Daß dabei das moderne Prinzip
„schöpferischer Wertung" die Führung behauptet
und die „reine Persönlichkeit" zur „höchsten zugeschärftesten
Spitze" der absoluten Idee wird, erscheint dem
Verfasser als innerhalb der Logik ungelöste Aporie. Es
ist nicht ersichtlich, wie der zum Schluß triumphierende
„mvstisch-christliche Deutsche" mit dem „Platoniker in
Hegel" zum Ausgleich kommen könnte (283).

Wie diese „unausgeglichene Einheit" auch im Werk
selbst sich kundgibt und insbesondere an den „Übergängen
" in ihrer Fruchtbarkeit und Problematik sich bezeugen
wird, könnte nur durch das Eingehen ins Einzelne
verdeutlicht werden. Es ist die dialektische Methode
, die Möglichkeit der Vereinbarkeit von außen und
innen, von Welt und Seele, die hier mehr im Nachzeichnen
des Hegeischen Vorgehens als von einem
„überlegenen" Standpunkt aus kritisch zum Problem
gestellt wird. Eine wiederum kritische Stellungnahme
zu dieser Auslegung des Verfassers muß unterbleiben,
da sie zur Erörterung des Problems einer Transzendentalphilosophie
überhaupt zwingen würde. Nur dies darf
festgestellt werden, daß die Einbeziehung der angedeuteten
Auseinandersetzung in die Innerlichkeit der logischen
Systematik in der Tat die Unmöglichkeit einer
wirklichen Begegnung von griechischem Philosophieren
und christlicher Dogmatik involviert. Wie weit der Verfasser
hier den Ernst der Bedrohung des der Form nach
griechischen und dem Gehalt nach christlichen Gepräges
der Hegeischen Logik erkannt hat, läßt sich
schwer sagen, da die Eschatologie immer nur an der
Grenze seiner Erörterungen auftaucht. Daß seine Darstellung
, indem sie das Gefüge der Hegeischen Logik
aus der angegebenen Spannung heraus begreift, ihrem
Anspruch in einem für unsere Zeit ungewöhnlichen Ausmaß
gerecht wird, bleibt bestehen.

Das zeigt auch der Gesichtspunkt, unter dem im
dritten Buch die Rechtsphilosophie als das charakteristische
„Alterswerk" in die Gesamtdeutung hineingezogen
wird. Die „klassisch-neuhumanistische Einheit
antikischer und deutsch-mystischer Gestaltung" (276)
läßt sich nur dann behaupten, wenn es gelingt, die „augenfällige
Gegebenheit des Diesseits" (283) aus dem
„epochalen" Schöpfertum der Persönlichkeit zu verstehen
. Diese „Entscheidungsschlacht" um das Recht
klassischer Stilgebung wird in der „irdisch-geschichtlichpolitischen
Sphäre" angenommen als an dem Ort, „wo
der Widerstand am erbittertsten, die Not am dringlichsten
" ist (291). Dabei ist diese Hinwendung und
Rechtfertigung der geschichtlichen Gegebenheit nicht mit
dem „autoritativen Objektivismus" (287) der Romantik
zu verwechseln. „Der Metaphysiker des Stils geht nicht
wie ein Positivist von einem Boden aus, den andere
Mächte erst bereitet und gewartet haben . . ." (298).
Auch das letzte Werk Hegels ist eine „Gesamt t a t".
Wenn die Staatsmetaphysik daran ihre Grenze hat, daß
„zu dieser Staatsidee . . . diese spezifische Hegel-
sche Intuition des universalen Geschichtsverlaufs gehört,
die die Gewißheit einbegreift, daß die Weltgeschichte in

: den Staat der Hegeischen klassisch-neuhumanistischen
Epoche einmündet" (324), dann darf man doch nicht
mit dem Hinweis auf die Entgrenzung des heutigen
politischen Lebens und die universellere, ganzheitliche
Vitalität des modernen Staates schon der kritischen Aufgabe
sich enthoben glauben. Daß „seit 1914 . . . eine
Epoche eigens politischer Leidenschaft und Gesinnung
aller Volksschichten" beginnt, „die sich selbstlos für ihre
Sache aufopfern in einem in der Geschichte unbekannten
Ausmaß" (325), und daß auf dem Hintergrund einer
so orakelhaften und unsicheren Behauptung noch einmal
nach der „neuen Psychologie" Krügers gerufen
wird, um die Grenzen Hegels aufzuzeigen und die Richtung
seiner Vollendung anzudeuten, kann kein befriedigender
Abschluß für eine Gesamtwertung der Hegel-
schen Philosophie sein, die an anderen Stellen den
Grund der Problematik viel tiefer berührt hat. Es bleibt
bei aller Anerkennung dieser bedeutenden Leistung zuletzt
doch zu bedauern, daß dem Verfasser nicht eine
genügende transzendentalphilosophische Schulung zu
Gebote stand, um für die Ineinanderspannung griechischer
und christlicher Philosophie eine entscheidende
Diskussionsebene zu gewinnen. Trotzdem wird die Arbeit
dazu beitragen können, die Auseinandersetzung mit
Hegel im Fluß zu halten.
Bremen. Hinrich Knittermeyer.

Brunn er, Prof. D. Emil: Der Mittler. Zur Besinnung über den
Christnsglauben. Tübingen: J. C. B. Mohr 1Q27. (X, 565 S.) gr. 8".

RM 14.40; Hlwd. 16.50.
Brunners „Mittler" gehört, wie der Verf. selber
hervorhebt (VIII), mit dem drei Jahre früher erschienenen
Schleiermacher-Buche „Die Mystik und das Wort"

I eng zusammen. Dieses verhält sich zu jenem wie Pro-
legomena zu einem „Probestück der eigentlichen theolo-

i gischen Arbeit", wie „Abbrucharbeit" zu dem bei ihr
immer schon vorausgesetzten Aufriß des Neubaus. Beide
Bücher sind im Ganzen so verwandt, daß man auch dem
neuen „positiven" den Untertitel des früheren „kritischen
" geben könnte :„Der Gegensatz zwischen moderner
Religionsauffassung und christlichem Glauben . ."
Aus dem Kampf des an der biblischen Botschaft orientierten
mit dem modernen Denken ist auch dieses Buch
entstanden.

Brunner gliedert seine „Besinnung über den Christusglauben
" in drei Bücher. Das erste (3—171)
behandelt die „Voraussetzungen" der eigentich
christologischen Arbeit. Die theologische Christuslehre
muß um den scharfen Gegensatz zwischen der Offen-
barungslehre des Mystikers, Idealisten, Neuplatonikers
und dem biblischen Öffenbarungsgedanken wissen: dort

I ist die Offenbarung ein zeitlos Allgemeines, grundsätzlich
Unmittelbares; hier, im christlichen Glauben,
herrscht zwar nicht Leugnung der allgemeinen Offenbarung
— Natur- und Geschichtsleben sind „voller
Hinweise auf Gott", 211 A. 1 —, aber Erkenntnis ihrer
„Gebrochenheit", Betonung der versöhnenden Offenbarung
in ihrer strengen Einmaligkeit und Mittelbarkeit,

| d. h. Gebundenheit an den Mittler (Kap. 1). Die moderne
Theologie verwischt diesen scharfen Gegensatz,
wie vor allem an Schleiermacher und Ritsehl und der
durch sie bestimmten „modernen Christusauffassung"
gezeigt wird (Kap. 2 u. 3). Und doch ist der Gegensatz
unaufhebbar. Denn hinter dem „modernen" Offen-

. barungsgedanken steht „die Behauptung der Kontinuität
der menschlichen Existenz mit dem Göttlichen oder
Absoluten" (Kap. 4), während das christliche Verständnis
der Offenbarung der Erkenntnis der Sünde und
Schuld, d. h. des immanent-unheilbaren Risses zwischen
Gott und Menschheit entspricht (Kap. 5). Mit einem
sehr eingehenden Kapitel über den „Christusglauben
und die historische Forschung", das die mit dem Olau-
bensinteresse an dem äußeren einmaligen Geschichtsfaktum
gegebene Problematik zu klären und zu lösen
versucht, schließen die „Voraussetzungen" ab (Kap. 6).