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Ausgabe:

1929 Nr. 20

Spalte:

463-464

Autor/Hrsg.:

Braßloff, Stephan

Titel/Untertitel:

Die Rechtsfrage im preußischen Mischehenstreit 1929

Rezensent:

Eberlein, Hellmut

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 20.

464

Einwirkungen stattfanden, z. B. bei den Hugenotten- I
kriegen und dem niederländischen Aufstand, solche Zusammenhänge
besonders betont.

Ein weiterer Vorzug des Werkes ist die geschickte
Auswahl des Wichtigsten. Hierdurch unterscheidet es
sich zunächst vorteilhaft von Fueters Buch über das
Staatensystem der Reformationszeit, welches ganz nach
persönlicher Willkür die Dinge breiter oder kürzer be-
handelt oder auch völlig übergeht. Aber auch vor der
ja freilich viel ausführlicheren Darstellung Mor. Ritters
hat es den Verzicht auf eine Menge Einzelheiten voraus,
die an sich wohl in eine erschöpfende Geschichte der
Gegenreformation gehören, aber den Gesamtüberblick
erschweren würden. Namentlich hat Platzhoff ausführliche
Inhaltsangaben einzelner wichtiger Verträge z. B.
des westfälischen Friedens vermieden, sondern sich mit
einer summarischen Würdigung begnügt. Die beigefügten
Quellen- und Literaturangaben ermöglichen es ja 1
auch dem Benutzer leicht, solche fehlende Detailbeschreibungen
sich anderweit zu verschaffen.

Alles in Allem ist also Platzhoffs Buch eine vor-
treffliche Leistung, welche sowohl dem gereiften Leser
manche wertvolle Anregung bietet als auch dem Examenskandidaten
auf knappem Räume die nötigen Kenntnisse
vermittelt.
Freiburg i. Br. Gustav Wolf. ;

Braßloff, Prof. Dr. Stephan: Die Rechtsfrage im preußischen
Mischehenstreit. Wien: M. Perles 1929. (II, 56 S.) gr. 8°. RM 2.50. I

Die vorliegende Abhandlung umfaßt zwei Teile. |
Der erste stellt — man darf wohl sagen im Anschluß
an: Pohl, Zur Geschichte des Mischehenrechtes in j
Preußen, Berlin 1920 — rein historisch die geschichtliche
Entwicklung vom Allgemeinen Landrecht 1796 bis
zum Jahre 1918 dar. Das Allgemeine Landrecht hat
sich im Eherecht grundsätzlich auf den protestantischen
Standpunkt gestellt, so auch Ehen zwischen verschiedenen
christlichen Konfessionen ohne weiteres zugelassen.
Für die religiöse Kindererziehung in Mischehen wurde
vom Landrecht der Grundsatz proklamiert: die Söhne 1
nach der Konfession des Vaters, die Mädchen nach der
der Mutter! Aber schon 1803 bestimmte eine königliche
Verfügung, daß die sämtlichen Kinder nach der Religion
des Vaters zu erziehen seien. Im Osten der Monarchie
wurde diese Verfügung ohne jede Schwierigkeit, auch von
katholischer Seite, anerkannt; die römische Kirche forderte
damals im Osten noch keinerlei Garantieerklärung |
über die Kindererziehung bei der Trauung. Auf Schwie- j
rigkeiten stieß die Verfügung erst, als sie im Jahre 1825
auf die westlichen, überwiegend katholischen Gebiete J
Preußens ausgedehnt wurde. Hier hatte bisher das kanonische
Recht, einschließlich der geforderten Garantieerklärung
, Geltung gehabt. Der katholische Klerus übte !
zuerst passive Resistenz, es kam zu staatlich-kirchlichen |
Verhandlungen, bei denen die Kirche anfangs dem
Staate — zwar nicht grundsätzlich, aber in der praktischen
Auslegung — entgegenkam (bis 1834); schließlich
aber endete der Streit mit einem vollen Sieg der i
Kirche, dadurch daß einmal der Diözesanbischof, nicht
die Regierung, über die Rechtmäßigkeit einer verweigerten
kirchlichen Trauung — und eine andere gab es damals
nicht! — allein zu entscheiden hatte, weiter aber
auch dadurch, daß das bisher nur im preußischen Westen
bestehende kanonische Recht nun auch auf den Osten
übertragen wurde (1837, 1841). Druck erzeugt Gegen- i
druck. Jetzt fühlte sich der in der Mehrzahl befindliche
evangelische Teil der Bevölkerung verletzt, zumal durch
besondere verletzende Formen der Garantieerklärung.
Diesem evangel. Unwillen gab Friedrich Wilhelm IV.
durch seine Kabinettsordre vom 7. Juli 1853 Ausdruck;
nach derselben wurde jedem Offizier, der sich solch
einer entwürdigenden Garantieerklärung unterzog, die
Ausstoßung aus der Armee angedroht. Diese Verfügung
setzte sich ohne Widerstand durch, bis im Jahre 1894,
also lange nach Einführung des Zivilstandsgesetzes, in

Parlament und Presse scharf gegen sie vorgegangen
wurde. Sie wurde für die Offiziere aufrecht erhalten,
aber für die Unteroffiziere außer Kraft erklärt, eine vom
religiösen Standpunkt aus gewiß merkwürdige Inkonsequenz
, die bis zum Ende der preußischen Monarchie bestehen
blieb.

Der zweite Teil der Broschüre beschäftigt sich sodann
mit der formellen und sachlichen Rechtsgiltigkeit
dieser königl. Kabinettsordre von 1853. Eingehend werden
die Gründe, die man von evangelischer wie katholischer
Seite dafür und dagegen vorgebracht hat, erörtert
. Braßloff entscheidet sich folgendermaßen: 1.
Formell ist diese Kabinettsordre nicht rechtsgiltig gewesen
; denn es fehlte die Gegenzeichnung durch einen
verantwortlichen Minister. Der Kriegsminister hat allerdings
von ihr gewußt und sie gebilligt. 2. Die von der
preußischen Verfassung 1850 garantierte Glaubens- und
Gewissensfreiheit ist durch sie nicht verletzt worden;
denn grade als Mittel und Versuch, um diese Freiheit
den Offizieren zu erhalten, ist die königliche Verordnung
zu beurteilen. Befremdlich bleibt freilich 3., warum dieselbe
nur einem Teile der Bevölkerung, den Offizieren,
die Gewissensfreiheit nachdrücklich gewährt; dadurch
entsteht der Eindruck der Rechtsungleichheit und der
Rechtsunsicherheit. Eine beide Teile befriedigende
Rechtslösung ist bis 1918 nicht erfolgt.

Man muß dem Verfasser es lassen, daß er sich
müht, in dieser vielumstrittenen religiös und rechtlich
sehr schwierigen und heiklen Angelegenheit nach allen
Seiten hin gerecht zu sein. Er zeigt die objektiven Tatbestände
, er geht auf beiderseitige Gründe und Gegengründe
ein, er müht sich auch, die verschiedenen religiösen
Standpunkte zu verstehen und zu würdigen. Daß
man nicht von allen seinen Darlegungen überzeugt ist,
liegt im Stoff. Der Satz: „Ursprünglich waren Ehen
zwischen Christen und Angehörigen anderer Glaubensbekenntnisse
weder vom Staat noch von der Kirche
direkt verboten" (S. 4), ist in dieser Form nicht haltbar
(cf. 1. Korinther 7,39; Cyprian, de lapsis 6; Synode
von Elvira, canon 15). Sehr bestreiten würde ich auch
die Auffassung auf S. 7, daß die evangelische Kirche
„aus Oppositionsstellung" zur Katholischen Kirche und
deren Anschauung eine liberalere Eheauffassung vertrete
und die Gefahren einer Mischehe nicht so hoch
einschätze. Recht beachtenswert erscheinen mir die Bedenken
protestantischer Juristen gegen die „obligatorische
Zivilehe" (S. 13), Bedenken die sich im religiösneutralen
Staate seit 1918 steigern. Aber das alles sind
Einzelheiten. Dagegen vermisse ich etwas Wesentliches.
Braßloff spricht öfters von den Rechtsprinzipien des
modernen Staates; es erhebt sich die grundsätzliche
Frage: Woher hat und nimmt der Staat seine Rechtsprinzipien
, und wie verhalten diese sich zu den Rechtsprinzipien
der beiden christlichen Kirchen? Der ganze
Fragenkomplex des Mischehenstreites läßt sich nicht
beantworten, wenn man nicht zuvor die grundlegenden
Fragen über das Problem eines „christlichen Staates",
wie es der preußische sein wollte, über Staat und Kirche,
über das prinzipielle Verhältnis beider zur Ehe und zu
einander klargestellt hat. Gewiß lassen sich diese Prinzipien
in einer Broschüre nur skizzenartig geben; für
den zweiten Teil aber sind sie grundlegend und mußten
ihm vorangestellt werden. Je nach diesen Prinzipien
richtet sich die Antwort.

Kupferberg. Lic. Eber lei n.

Die religiöse und sittliche Lage der Industrie-Massen und
ihre kirchliche Erfassung. Wochen d. Friedens, Haus- u. Kapellen
-Mission. Vorträge u. Predigt-Material. Hrsg. im Auftr. e.
Seelsorger-Konferenz v. Dr. K o n er m a n n. Münster i. W.: Regens-
bergsche Buchh. 1928. (227 S.) 8°. RM 4.50.

Auch die katholische Kirche leidet unter der Entfremdung
weiter Massen (das Vorwort spricht von
„Millionen-Massen") von Kirche und Religion. „Die
zunehmende Entfremdung von der Kirche steht im um-