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Ausgabe:

1929

Spalte:

453-454

Autor/Hrsg.:

Müller, Ludwig Martin

Titel/Untertitel:

Die glaubenspsychologische Orientierung der Theologie bei Ludwig Ihmels 1929

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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nung hat von der Fülle der vorhandenen Quellen, wer
die Mannigfaltigkeit der Beziehungen, in denen Zinzen-
dorf gestanden hat, kennt, wird sich nicht darüber wundern
, daß die Zinzendorfforschung noch nicht zu einer
wirklich umfassenden geistesgeschichtlichen Behandlung
Zinzendorfs gelangt ist. Um so dankbarer muß
man sein, in der Arbeit Erbes, einer Leipziger Doktordissertation
, für einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben
Zinzendorfs einen Schritt in der angegebnen Richtung
getan zu sehen. Erbe stellt Zinzendorf in den Kreis
hinein, in den er von Natur gehört, den Kreis der pietistischen
frommen Adligen des 18. Jahrhunderts und
betrachtet ihn von dort aus. Auch auf dem durch das
Thema beschränkten Gebiet hat er sich einer fast unübersehbaren
Menge archivalischen Materials gegenüber
gesehen. Den in gediegener archivalischer Arbeit gewonnenen
Stoff hat Erbe mit einer nicht geringen Gestaltungsgabe
zu einem lebendigen Bild geformt. Man
lese nur die Charakterisierung des Köstritzer Vierundzwanzigsten
Grafen Reuß oder die Christian Emsts
von Saalfeld. Diese Charakterisierungen zeugen von
einem lebendigen Verständnis des hallischen Pietismus,
den er dadurch zu verdeutlichen sucht, daß er ihn in verschiedenen
Personen und Typen darstellt. Dadurch tritt
auch die Unterschiedenheit Zinzendorfs vom hallischen
Pietismus klar zutage und das Neue, das Zinzendorf
diesem gegenüber bringt.

Weil Erbe durch seine Behandlungsart manches
Neue für die Betrachtung Zinzendorfs bringt, findet man
sich gern damit ab, daß Zinzendorfs Charakterisierung
nicht vollständig ist und nur beiläufig gegeben wird.
Erbe hat hier einen bewußten Verzicht geleistet und hat
auch bei der Lage der Zinzendorfforschung ein Recht
dazu gehabt. Um Einzelheiten wollen wir nicht rechten,
es soll aber Folgendes erwähnt werden. Zinzendorfs
Religion wird als Gefühlsreligion gekennzeichnet. Das
ist zum mindesten mißverständlich. Zinzendorf ist immer
sehr mißtrauisch gegen Gefühlsreligion gewesen, und
Gefühl ist für ihn nicht die von Verstand und Willen
unterschiedene Provinz des Seelenlebens, sondern es ist
zusammen mit Herz und Empfindung ein dem Intellektualismus
entgegengestelltes Erkenntnisprinzip. Weiß
man das, weiß man von Zinzendorfs Angst vor der
Heuchelei und von seiner straffen religiösen Disziplin,
dann mag der Ausdruck Gefühlsreligion für seine Frömmigkeit
richtig sein. — Das Wort: Meine Parochie ist
die Welt, ist in dieser Form nicht von Zinzendorf. Wohl
sagt Zinzendorf einmal, daß des Propheten Arbeitsgebiet
die ganze Welt sei, und er mag dabei auch an sich und
die Arbeit seiner Gemeine gedacht haben; aber es ist
doch wohl zu beachten, daß sich Zinzendorf nie als
Propheten oder Apostel gefühlt oder Propheten- und
Apostelrechte in Anspruch genommen hat.

Diese kleinen Unebenheiten beeinträchtigen den
Wert der Arbeit Erbes für die Erforschung Zinzendorfs
und des Pietismus nicht, vielmehr kann man sagen, daß
sie das Ziel, das sie sich gesteckt hatte, vollständig erreicht
hat, eine Materialsammlung für eine Systematik
des Pietismus zu bieten.

_ Herrnhut.___Bettermann.

Müller, Lic. Ludwig Martin: Die glaubenspsychologische
Orientierung der Theologie bei Ludwig Ihmels. Die Theologie
Ihmels' in ihrem Zusammenhang m. d. Erlanger Schule. Leipzig
: J. C. Hinrichs 1929. (IV, 175 S.) gr. 8°. RM 11.25.
In der theologischen Lage der Gegenwart sind
Schriften wie die vorliegende von besonderem Werte.
Gegenüber der Neigung, theologiegeschichtlich die Bedeutung
Schleiermachers herabzusetzen und systematisch
die subjektive Seite des Christentums in Frage zu
stellen, ist es wichtig, wenn die unaufgebbare Bedeutung
des Schleiermacherschen religionspsychologischen Ansatzes
und das unleugbare Recht der christlichen Erfahrung
nachdrücklich betont werden. Das tut der Verfasser
durch eine kritische Beleuchtung der Theologie
von Ihmels, deren methodische Bedeutung er in der

glaubenspsychologischen Orientierung sieht. Was diese
bei Ihmels bedeutet und wieweit sie von ihm folgerichtig
durchgeführt wird, ist Inhalt der Schrift.

Ihmels ist Schüler Franks und verleugnet seine
Herkunft nicht. Er findet das spezifisch Christlich-Religiöse
in der Glaubenserfahrung des Christen. Während
aber Frank infolge seines erkenntnistheoretischen Ansatzes
Sinneserfahrung und Glaubenserfahrung voreilig
parallelisierte und die religiöse Erfahrung des Christen
im Sinne empirischer Psychologie verstand, betont
Ihmels mit allem Nachdruck die besondere Eigen-
[ art der religiösen Erfahrung und bewegt sich damit
auf die von Wobbermin vertretene religionspsvcholo-
gische Methode zu. Allerdings will auch Ihmels nicht
über empirische Psychologie hinausgehen und hat in
der Kritik an Wobbermins Standpunkt die Frage er-
' hoben, ob es wirklich eine andere als empirische Re-
i ligionspsychologie geben könne. Es ist demgegenüber
das besondere Verdienst der vorliegenden Schrift, daß
j sie aus Ihmels Theologie und aus seinen Predigten überzeugend
deutlich macht, wie Ihmels mit seiner glaubenspsychologischen
Betrachtung tatsächlich das Gebiet
der empirischen Psychologie überschreitet und da-
j mit die Erlanger Theologie überwindet. „Ihmels theologischer
Ansatz bedeutet die Überwindung und das Ende
der Erlanger Theologie".

In der Durchführung ist aber Ihmels dann seinem
Ansatz nicht treu geblieben und hat in die Dogmatik Gedanken
hineingenommen, die nicht Entfaltung der christ-
' liehen Glaubensüberzeugung sind, sondern von außen an
' den Christen herantreten und seine Erfahrung meistern
wollen. Müller zeigt das sehr eindringlich an Ihmels' Stellung
zur Bibel und zur Auferstehung, durch die das „Korrelatverhältnis
von Glaube und Offenbarung" aufgehoben
! wird. Anstelle der Verbalinspiration tritt bei Ihmels eine
Personalinspiration, durch die die Bibel den Schranken
j der Subjektivität entnommen ist und den Menschen
über seine persönliche Glaubensgewißheit hinaus bindet
, woran auch Ihmels Berufung auf die persönliche
Entwicklung und auf die Bedeutung der Gemeinde
nichts ändern kann. Bei der Auferstehung betont Ihmels
die „Gewalt" der „Geschichtstatsache" des leeren Gra-
i bes, die Freund und Feind überzeugen soll — die Feinde
[ Jesu allerdings nicht überzeugt hat. So wird eine objektive
Norm aufgerichtet, die außerhalb der Korrelation
1 von Glaube und Offenbarung steht. Damit aber wider-
| spricht Ihmels seinen eigenen Voraussetzungen und
j bricht die Linie ab, die er in seinem Ansatz verheißungsvoll
aufgenommen hatte. Wie sie ansatz- und sachgemäß
weiterzuführen ist, zeigt die Theologie Wobbermins, an
der Müller orientiert ist.
Düsseldorf. Kurt Kessel er.

Bartmann, Päpstl. Hausprälat Prof. Dr. Bernhard: Lehrbuch der
Dogmatik. 1. u. 2. (Schluli-)Bd. 7., verb. Aufl. Freibunr i ßr ■
Herder & Co. 1928 u. 1929. (XII, 448 u. IX, 514 S.) gr. 8°. =

Theologische Bibliothek. I: RM 11—; Lwd. 13__

II: RM 13—! Lwd! 15-!
Bartmann's Dogmatik hat sich bei katholischen Theologen solcher
Beliebtheit zu erfreuen, dali sie als das am meisten gebrauchte Lehrbuch
anzusehen ist. Offenbar erfreut sie sich besonderer üunst seitens
der kirchlichen Oberbehörde. Darauf weist wohl auch hin, dal! der
Verf., Prof. der Theologie in Paderborn, päpstlicher Hausprälat geworden
ist. Der Charakter des Buches hat sich in der 7. Aufl. nicht geändert
(Vgl. Th. L. Ztg. 1912 Sp. 759L; 1919 Sp. 182). B. sagt S.V:
„Durchgehends war mein Bestreben darauf gerichtet, den Spuren des
Aquinaten zu folgen und auch dort, wo es nicht geradezu notwendig
war, ihm das Wort zur Erklärung oder zur Bestätigung zu geben. Auch
j abgesehen von der kirchlichen Empfehlung reizte dazu seine Klarheit
I und seine unerreichte Kunst, mit wenig Worten alles zu sagen, was
j zur Sache notwendig gehört." Die neueste Literatur ist gewissenhaft
i verarbeitet. Der Umfang ist trotzdem derselbe geblieben, denn in den
Auseinandersetzungen mit früherer Literatur ist Überflüssiges weggefallen
. Das Buch gibt eine gute Darstellung dessen, was als kirchlich
approbierte, empfohlene und im Ganzen auch wirklich eingewurzelte
katholische Lehre zu gelten hat.

Basel- J. Wendland.