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Ausgabe:

1929 Nr. 19

Spalte:

442-446

Autor/Hrsg.:

Reu, J. Mich.

Titel/Untertitel:

D. Martin Luthers Kleiner Katechismus. Die Geschichte seiner Entstehung, seiner Verbreitung und seines Gebrauchs 1929

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 19.

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hat, an Fr. Heiler (12). Er wiederholt (S. 150)
Luthers Gedanken, „daß die Gerechtigkeit nicht durch
den Menschen in eigner Tat erworben wird (iustitia
activa), sondern ihm geschenkt wird durch Gottes un-
»gründliche Gnade (iustitia passiva)" und macht dazu
folgende Anmerkung:

„Doch ist Luthers eigene Behauptung, daß die für den Durchbruch
seines Rechtfertigungsglaubens entscheidende Stelle Rom. 1,17 vor ihm ■
stets im Sinne der iustitia activa verstanden worden sei (Erl. otp. lat. vor.
I. 15 ff), falsch. H. Denifle hat in verdienstvoller Weise gezeigt, daß
kein einziger christlicher Lehrer seit dem Ambrosiaster die paulinische
Stelle anders als im Sinne der Rechtfertigungsgnade verstanden hat.
Quellenbelege zu Luther und Luthertum: Die abendländischen Schriftausleger
bis Luther über iustitia Dei (Rom. 1,17) und iustificatio, Mainz 1905.

Was zeigt eine solche Anmerkung dem Kundigen?
Erstens, daß Heiler die Lutherstelle, die er meint
(Erl. opp. var. arg. I 22) gar nicht, oder nicht mit der
schuldigen Aufmerksamkeit gelesen hat. Sonst würde i
er wohl gemerkt haben, daß Luther nicht von unsrer ■
aktiven Gerechtigkeit spricht, sondern von der iustitia
formalis seu activa quadeusestiustusetpecca- i
tores iniustosque punit. Zweitens, daß Heiler
außer Denifle keinen theologischen Forscher für J
diese Frage zu Rate gezogen hat. Sonst würde er |
wissen, daß die Beziehung der fraglichen Aussage Lu- !
thers auf die Exegeten statt auf die Systematiker längst
als Fechterkniff Denifle's erkannt ist, und daß selbst
die Exegeten über eine Zwiespältigkeit, die dem Begriff
der vergeltenden Gerechtigkeit dennoch das letzte Wort
läßt, nicht hinausgekommen sind.

Es wäre zu wünschen, daß auch die Literatur dieser
Art sich den wissenschaftlichen Ansprüchen auf Ge- ;
nauigkeit beugte. Das würde die Auseinandersetzung
fruchtbarer machen. Wie gern würde man in solchem
Bande gründlichen historisch unterbauten Unter- i
suchungen über Luthers Kirchenbegriff begegnen, oder '
auch über seine Stellung zum Papsttum, oder zu der
mittelalterlichen Theologie. Da ist überall für redliche
Forschungsarbeit noch Raum. Statt dessen wird vielfach
über bekannte Dinge aus zufälligen Stimmungen und
Eindrücken hingeredet; manchmal geistreich und besonnen
, manchmal töricht und verworren, manchmal
originell, manchmal konventionell und uralte, von an- '
dem Mitarbeitern nicht geteilte Irrtümer aufwärmend j
(z. B. über Luthers angebliche Not, das Keuschheitsgelübde
zu erfüllen, seine angebliche Unkenntnis des Thomas
und dergl.).

Freilich, das Ziel, das der am stärksten hervor- |
tretenden Gruppe unter den Mitarbeitern vorschwebt,
verträgt sich mit rückhaltloser wissenschaftlicher Klarheit
nicht. Es soll eine Versöhnung zwischen der i
Papstkirche und den reformatorischen Kirchen dadurch j
zustande kommen, daß in der ersteren Luther mit seinen
Charismen fruchtbar wird, geliebt wird als Prophet und
Verkünder der göttlichen Gnade, in den zweiten man
sich von Luthers Einseitigkeiten und Irrtümern trennt 1
und so wieder den inneren Anschluß an das große
Ganze katholischer Frömmigkeit gewinnt. Die nähere
Bestimmung des Bildes schwankt dabei. Einige denken
dabei nur an ein brüderliches Sichvertragen der verschiedenen
Kirchen im Geiste; andre (darunter, soviel ich
sehe, alle Katholiken) an eine endliche Rückkehr der j
evangelischen Christen unter die vielleicht aus Luther
bereicherte Papstkirche. Man kann sich nur wundern,
daß ernste Männer an solche Träume ihre Zeit ver- j
schwenden und ganz vergessen, daß zwischen Papstkirche
und reformatorischen Kirchen nicht die Frage der
Fülle und des Reichtums, sondern die der Wahrheit !
Gottes steht. Aber freilich, im Element einer nebelhaften
Unklarheit, die zu schreiben vermag von der „wundersam
klaren und gewaltigen Rechtfertigungslehre des
Tridentinums, die wohl im einzelnen Luthers Einseitigkeiten
an der Hand des ganzen neuen Testaments und !
der Vätertradition korrigiert, die aber doch seiner
[Luthers!!] innersten Erfahrung einen lapidaren katholischen
Ausdruck verleiht" (S. 258), ist vieles möglich.
Soviel zeigt gerade diese Probe: die Kosten der dieser
Gruppe von Mitarbeitern vorschwebenden Versöhnung
hätte das reformatorische Evangelium zu bezahlen; da
die Papstkirche ihr offizielles Dogma niemals korrigieren
wird, steht die Frage nach der Wiedervereinigung
ja so, daß alles diesem offiziellen Dogma Widersprechende
vom reformatorischen Evangelium geopfert
werden muß als nicht wesentlich. Die Zumutung resp.
die Selbstentäußerung, die in solchem Unterfangen liegt,
hat mir ins Gedächtnis gerufen, was Luther in seinem'
Briefe vom 26. August 1530 an Spalatin (Enders Nr.
1763) geschrieben hat über das mirificum opus concor-
dandi Papae et Lutheri.

Nicht alle auf die Gegenwartsfrage eingehenden
Beiträge fallen aber unter diese Kritik. Es ist noch eine
andre Gruppe von Mitarbeitern da, charakteristisch vertreten
z. B. durch N. Söderblom (4). Er löst in seinem
überaus klugen und feinsinnigen kurzem Votum von vier
Seiten mit sicherem Griff die Frage nach dem ökumenischen
Charakter Luthers von der Frage nach dem
künftigen Verhältnis der reformatorischen Kirche zur
Papstkirche völlig los und zeigt, daß in Luther's Begriff
von wahrer geistlicher Christenheit, als der vom
heiligen Geist im Glauben an das lautere Evangelium gehaltenen
Gottesgemeinde, die von jeder partikularen und
äußeren Kirche unterschieden ist, die wahre Ökumenizi-
tät schon längst verwirklicht ist. Er deutet auch an, daß
diese wahre Ökumenizität von jeder Allianz- und Kompromißgesinnung
unterschieden ist und ihren Kern hat in der
Gewißheit, auch in andern äußern Kirchen gebe es wahrhaft
dem Evangelium gläubige Glieder der einen Christenheit
. Um der Umgebung willen, in der der Aufsatz
steht, hätte man vielleicht diese Andeutungen (ebenso
die einiger andrer Mitarbeiter) sich noch entschiedener
und rückhaltloser gewünscht, es schärfer ausgesprochen
gewünscht, daß Luthers heiliger Zorn wider die falsche
Lehre der Papstkirche in dieser seiner wahren Ökumenizität
eingeschlossen sei. Aber daß das Söderblom's
Meinung ist, kann schließlich jeder zwischen den Zeilen
lesen.

Die Una saneta im Sinne Luthers ist trotz der
streitenden Kirchen schon da als verborgene Wirklichkeit
, durch die dem lauteren Evangelium in jeder Kirche
trotz alles Irrtums und aller Verführung gläubige
schaffende Macht des heiligen Geistes. Diese Una saneta
sichtbar herausstellen wollen durch Erstickung des Zeugnisses
für das reformatorische Evangelium wider die
ihm widersprechenden, in Irrlehre und falschen Dienst
gefallenen nicht-evangelischen Kirchen, heißt Einheit
wollen ohne Wahrheit. Es heißt zudem, das einzige Werk
gefährden, das uns im Äußern möglich ist, den engen
Bruderbund aller wahrhaft evangelischen Kirchen. Der
Streit zwischen der Papstkirche und dem reformatorischen
Evangelium wird im 20. Jahrhundert sich nicht
abmildern, sondern verschärfen. Von uns bestanden
kann er nur werden, wenn wir erkennen, daß alle wahrhaft
evangelischen Kirchen im Geiste zusammen gehören
und bei aller Freiheit und Selbständigkeit der einzelnen
Glieder sich als eine Gemeinschaft wissen dürfen, die
an Weltweite, oder, um es mit dem Fremdwort zu
sagen: an Katholizität, der Papstkirche ebenbürtig ist.
Göttinnen. E. Hirsch.

Reu, Prof. D. J. Mich.: D. Martin Luthers Kleiner Katechismus
. Die Gesch. seiner Entstehung, seiner Verbreitung und seines
Gebrauchs. Eine Festgabe zu seinem vierhundertjährigen Jubiläum
Mit 13 Illustr. München: Chr. Kaiser 1929. (X, 377 S.) gr. 8".

RM 10.50; geb. 12.50.

Es ist eigen, daß das Buch, das uns vom 400jähri-
gen Jubiläum des KL Katechismus D. Mart. Luthers erzählt
und die Erinnerung daran festhalten wird in
Amerika geschrieben ist, von Professor D. Mich. Reu,
den wir längst als Sammler und Herausgeber der
„Quellen zur Geschichte des kirchlichen Unterrichts in
der evangelischen Kirche Deutschlands im 16. Jahr-