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Ausgabe:

1929 Nr. 19

Spalte:

437-438

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament in den Paulinischen Briefen und in den Paulinischen Gemeinden 1929

Rezensent:

Bauernfeind, Otto

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437

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 19.

438

Die Arbeit zeugt von einer umfassenden Kenntnis
und sicheren Beherrschung des weitschichtigen Materials
. Vor allem verdient der methodische Grundgedanke
Noths Anerkennung, da nur von ihm aus sich eine ganze
Keine von Problemen der hebräischen Onomatologie
lösen lassen. Aus dem reichen Inhalte mag nur auf die
Ausführungen im 3. Kapitel der Prolegomena über
Schichten innerhalb der semitischen Namengebung hingewiesen
werden. Hier sucht Noth an der Hand der
Untersuchung der grammatischen Struktur der Eigennamen
in den einzelnen semitischen Dialekten Licht zu
bringen in die ethnologischen Schichten des Semiten-
tums"; er kommt zu dem Ergebnis — dem man nur zustimmen
kann —, daß der Kern des israelitischen Volkes
nicht kanaanaisch war, sondern (proto)aramäisch und
erst in Kanaan selbst viele kanaanäische Elemente in
sich aufgenommen habe. Protoaramäisch nennt Noth die
Semitenschicht, die zu selbständigen Staatenbildungen
vom Anfang des ersten vorchristlichen Jahrtausends ab
in den aramäischen Reichen Nordsyriens gelangt. Die
Westsemiten der Hainmurabizeit, für die Theo Bauer
die Bezeichnung „Ostkanaanäer" geprägt hat, heißen
bei Noth „Ostprotoaramäer". Den Beweis der ka-
naanäischen Herkunft dieser Gruppe sieht er nicht als '
erbracht an. Zu dieser nicht leicht zu entscheidenden
Frage ist jetzt noch zu vergleichen Theo Bauer „Eine
Überprüfung der ,Amoriter'-Frage", Zeitschrift für Assy-
riologie N. F. IV S. 145—170.
Hiddensee. Arnold Gustavs.

von Harnack, Adolf: Das Alte Testament in den Paulinischen
Briefen und in den Paulinischen Gemeinden.

(S.-Abdr. aus Sitzungsberichte d. Preull. Akad. d. Wissensch. Sitzung
d. philos.-histor. Kl. v. 19. April 1928, 12.) Berlin: W. de Gruyter
cV. Co. in Komm. (S. 124—141.) 4°. RM 2—.

Es handelt sich um die Frage: Hat Paulus seinen
Gemeinden das A. T. als Haupterbauungsbuch „in die !
Hand gegeben, die stetige Lektüre angeordnet und seine
Kinder gleich anfangs und fort und fort aus dem A. T. I
gespeist?" (S. 124). Die Antwort darf nicht ohne
weiteres denjenigen Briefen entnommen werden, die es
insbesondere mit der Abgrenzung des Judaismus gegen
das Christentum zu tun haben (Köm., 1. u. 2. Kor.,
Gal.), in diesen Briefen mußte Paulus seine Gegner
mit ihren eignen Waffen schlagen und diese Ausnahme-
situation entsprach nicht der normalen Missionspraxis, j
Sie ist vielmehr aus den übrigen, aus den kleinen Briefen
zu entnehmen (1. u. 2. Thess., Col., Philm., Eph.,
Phil.). L'nd diese Briefe zeigen — trotz ihres zeitlichen
Abstandes von einander — übereinstimmend, daß Paulus
von ausdrücklicher Berufung auf die „Schrift" oder j
ein „es steht geschrieben" ganz absieht, ja daß er durch- i
weg" so schreibt, als gäbe es für die Leser kein A. T.! j
Daß Paulus für seine eigene Person in der Schrift lebt,
das steht natürlich auch hier fest, aber er läßt nirgends
den Wunsch erkennen, daß auch seine Gemeinden darin
leben sollten. Die anfangs gestellte Frage ist demnach !
verneinend zu beantworten, „der Apostel hat seinen
Gemeinden und den Heiden das A. T. nicht einfach
als das Erbauungsbuch in die Hand gegeben, er hat
sie nicht aus der „Schrift" von Anfang an und weiterhin
gespeist und ist in bezug auf das, was das A. T. ihm
selbst und in heilsgeschichtlicher Würdigung bedeutete,
sehr zurückhaltend gewesen" (S. 128).

Eine Missionsstimmung, für die Schriftbeweis und
Berufung auf die Schrift dahinten bleiben, ist bei Paulus
wirklich in weit höherem Grade maßgebend gewesen,
als man sich bisher klar gemacht hat. Regelmäßige
Schriftlesung wird es in diesen Gemeinden wohl nicht
gegeben haben. Ein „Zufall" ist die Übereinstimmung
der kleinen Briefe mit einander keinesfalls. Diese interessante
und wichtige Tatsache hat von Harnack — wenigstens
für den, der ihm in der Beurteilung der Echtheitsfragen
nahe steht — einwandfrei bewiesen. Indessen
wie steht es mit der Abgrenzung dieser Missionsstimmung
gegen die der „großen" Briefe? Wenn z. B.
in Korinth „manche Fragen und Irrtümer den Rekurs
auf die „Schrift" nahe legten" und die „geistlich-ungeistlichen
Spekulationen der Gemeinde durch eine wahrhaft
geistliche Schriftbetrachtung zurückgewiesen werden
konnten" (S. 134), so ist doch damit zu rechnen,
daß ähnliche Situationen auch sonst stetig — nicht nur
ausnahmsweise und nicht nur durch Judaisten veranlaßt
— vorkamen und daß eine den Korintherbriefen
entsprechende Abwehr — auch als vorbeugende Abwehr
— von vornherein nahe lag. Daß die Schriftauswertung
der großen Briefe deren Lesern weithin neu
gewesen sei (S. 130. 133 f.) und daß sie bisher nur
ganz, summarisch, etwa „im ersten Teil einer einzigen
Missionspredigt" (S. 137) von Schöpfung, Sündenfall
usw. gehört hätten, scheint mir recht unsicher zu
sein. Ich glaube, man darf die Abgrenzung nicht als
Scheidung von Regel und Ausnahme vollziehen, man
wird sich mit der Feststellung eines Nebeneinander bescheiden
müssen. Zur Schrift wird Paulus gegriffen haben
, so oft er sich davon eine besondere Wirkung versprach
, nicht nur in Ausnahmefällen. Aber er verzichtete
auf Schrift und Schriftbeweis, wenn er auf andere Weise
weiter zu kommen glaubte, die Anlässe dafür können
sehr verschiedenartig gewesen sein, sie dürfen schwerlich
auf eine Art grundsätzlicher Zurückhaltung als
Generalnenner gebracht werden. Daß in der Seele des
Schreibers von R 9,3 ff. die Bindung an die Schrift nur
ein persönlichstes Anliegen gewesen sei, ohne direkten
organischen Zusammenhang mit dem Hauptlebenswerk
— für diese kühne Annahme scheint mir das Beweismaterial
(hauptsächlich doch argumenta e silentio) nicht
stark genug zu sein,
z. Zt. Kiel. Otto Bauernfeind.

Frick, Prof. D. Dr.: Wissenschaftliches und pneumatisches
Verständnis der Bibel. Tübingen: J.C.B. Mohr 1927. (36 S.)
gr. 8". = Sammlung gemeinverständl. Vorträge u. Schriften, 124.

RM 1.50; in Subskr. 1.20.
Dieser anregende Vortrag gehört mit zu der
Diskussion über die „pneumatische Exegese". Wenn
sich auch die Ankündigung der Schrift durch eine Reihe
von Ursachen zu meinem lebhaften Bedauern sehr verzögert
hat, so möchte ich doch den gegenwärtigen Augenblick
nicht für zu spät oder weniger geeignet ansehen
als unmittelbar nach dem Erscheinen. Damals war
die leidenschaftliche Anteilnahme an dem ürundproblem
der Schriftauslegung durch den Römerbrief von Karl
Barth allgemein wach. Die Aufrüttelung der Geister erzeugte
ein scharfes Für und Wider. Die Probleme der
Hermeneutik wurden neu angefaßt. Eine Reihe vortrefflicher
Studien geschichtlicher Art erschienen und immer
noch arbeiten die Männer, denen die Exegese auf dem
Lehrstuhl anvertraut ist, an der Auf gäbe. Ich möchte mich
auch gerne irren, aber ich glaube wahrzunehmen, daß
das Pathos, mit dein die Theologen unter dem Katheder
und im Amt in jenem Zeitpunkt sich mit den Fragen abrangen
, heute stark ermäßigt ist, ohne daß ich wiederum
glaubte, es sei an Stelle des Pathos überall die ebenso
ernsthafte Besinnung getreten. Darum eben halte ich
die späte Ankündigung der Schrift für nicht zu spät.
Mein Wunsch ist, daß die Abhandlung, die mit klaren
systematischen Linien, oft überraschenden Ausblicken
und großem pädagogischen Geschick das Problem entfaltet
, das Nachdenken der jungen Theologenschaft über
diese immer aktuelle Frage wachrufe.

Eingangs beseitigt der Verf. eine Reihe einseitiger
Fragestellungen, die von der wissenschaftlichen oder
pneumatischen Exegese her das Problem zu falschen
Alternativen weitertreiben (den reinen Historismus die
falsche Geschichtslosigkeit, den grundsätzlichen religiösen
Individualismus). Demgegenüber weist das Thema
auf eine zwiefältige Not hin, die mit der Sache gegeben
ist. Das Zusammentreffen zweier Umstände
macht jene aus. „Einerseits sind wir durch unsere prote-