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Ausgabe:

1929 Nr. 18

Spalte:

424-425

Autor/Hrsg.:

Kierkegaard, Sören

Titel/Untertitel:

Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates 1929

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 18.

424

Procksch ein Thema gewählt, das zwar vom A.T.
ausgeht, aber weit ins N.T. hineinragt: Wiederkehr und
Wiedergeburt. L e i p o 1 d t s Studie über den Sieg des
Christentums über die Religion der alten Welt stellt
eine Erweiterung und Berichtigung seiner 1925 in O.
Harrassowitz' Ephemerides Orientales erschienenen Abhandlung
dar; sie geht tief in die Religionsgeschichte
hinein. Im engeren Sinn neutestamentlich sind also nur
3 Aufsätze. Von ihnen sei der von O e p k e über die
Frage nach dem Ursprung der Kindertaufe hervorgehoben
; er sucht die These, daß das N.T. keine
Kindertaufe kenne, von der Umwelt her, d. i. von Hellenismus
und Judentum aus, zu erschüttern; seine Gedanken
sind sicher sehr beachtlich, ob aber ausschlaggebend
? — Zur historischen Theologie gehören 4 Aufsätze
; der bekannte Katechismusforscher Reu berichtet
über den Gebrauch von Luthers Katechismus in
Gemeinden eines Gebiets, in dem man ihn nicht erwarten
sollte: am Niederrhein; wir begrüßen die sorgfältige
, wertvolle Kleinarbeit. Was Hans L e u b e über
Staatsgesinnung und Staatsgestaltung im deutschen Protestantismus
ausführt, erstreckt sich auf die Zeit von
1600 bis Mitte des 19. Jahrhunderts, von J. V. Andreae
bis Stahl. Endergebnis: „Es ist die Tragik des Protestantismus
, daß Stahl im Staat und in der Kirche so mächtig
geworden ist." W e n t z' Darstellung der lutherischen
Kirche im religiösen Leben Amerikas ist trotz
ihrer ganz historischen Orientierung ein sehr hübscher
Beitrag zur Kirchenkunde. Dem eigenen Fachgebiet des
Gefeierten gehören 9 Aufsätze über dogmatische, 1 über
ein ethisches Thema. Hervorgehoben seien nur 2 Beiträge
zur Christologie. Lauerer greift, Bezzel folgend,
auf den veralteten Terminus der Kondeszendenz Gottes,
der innerweltlichen Herablassung Gottes, zurück. Im
Gegensatz zu K. Barth mit seiner Erneuerung des
Finitum non capax infiniti setzt er sich für die Behandlung
der Kondeszendenz bei der Christologie ein; hierbei
gehe es aufs Zentrum; die Kondeszendenz ist ihm Nerv
und Herzschlag aller Offenbarung und Wirksamkeit
Gottes. Er verknüpft sie eng mit dem Begriff der
dienenden Liebe. Von diesem Gedanken aus durchleuchtet
er dann wichtige praktische Fragen. In ganz
anderer Weise versucht A 11 h a u s eine „Christologie
des Glaubens". Der Ansatz der Zweinaturenlehre ist richtig
; aber eben nur der Ansatz. Für die rechte Christologie
selbst lehnt er Psychologismus ebenso ab wie
Historismus. Sehr interessant ist die freilich nur andeutende
Auseinandersetzung mit anderen modernen
christologischen Versuchen, auch mit der ihm „in wesentlichen
Erkenntnissen so nahestehenden Christologie"
von E. Hirsch. Seine eigene Position bejaht vom Glauben
her stark das Daß der Gegenwart Gottes in
Christus; für das Wie verzichtet er auf metaphysische
Sätze. Damit ist eine Linie verfolgt, die Zukunft hat.
Es zeichnet sich aber auch der Unterschied von der älteren
Theologie deutlich ab. Jörgensen legt die Lehre
von den drei ordines Familie, Obrigkeit und Kirche als
den Ausgangspunkt der lutherischen sozialen Ethik dar.
- Aus den fünf Beiträgen zur Praktischen Theologie
scheinen mir besonders beachtenswert der von Hilbert
über Charisma und Amt; allerdings vermag ich
seinen Ausführungen z. B. über die Ordination, die nicht
bloß ordnungsmäßige Berufung sei, sondern auch Bezeugung
, „daß der in das Amt zu Berufende im Besitz
der dazu erforderlichen Gnadengaben sich befindet", nicht
zuzustimmen. Oeschey bespricht den Hirtenbrief in den
neuen Kirchenverfassungen; Strasser handelt gedankenreich
vom Wesen der lutherischen Kirchenkunst. —
Den Abschluß bildet eine sehr genaue Bibliographie der
Veröffentlichungen von L. Ihmels. — Sammelbände
wie dieser bieten eine Fülle von wertvollen Aufsätzen;
schade, daß, weil sie ihren Platz in Sammelbänden
haben, ihre Nutzung schwierig ist!

Breslau. M. Sc h i a n.

Kierkegaard, Sören: Über den Begriff der Ironie. Mit

ständ. Rucks, auf Sokrates. Deutsch v. Hans Heinrich Schaeder.
München : R. Oldenbourg 1929. (XII, 283 S.) 8°. RM 7.50 ; Lwd. 9.50.
Derselbe: Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf
Sokrates. Übersetzt von Wilh. Kütemeyer. München: Chr. Kaiser

i 1929. (VIII, 369 S.) gr. 8°. RM 8.50; Lwd. 10,50.

Zwei Münchener Verleger bringen gleichzeitig Übersetzungen
von Kierkegaard's Begriff der Ironie heraus.
Es ist das für jedermann, der am Übersetzungsproblem
als historischen und psychologischen arbeitet, lehrreich:

i beide Übersetzungen stimmen vielfach in ganzen Sätzen
wörtlich überein, und dokumentieren so den methodi-

I sehen Grundsatz, daß Übereinstimmungen als solche
bei Übersetzungen für Abhängigkeit gar nichts beweisen.
Um so mehr, als bei den Stichproben hier des Übereinstimmenden
sich weit mehr fand als des Abweichenden.

Der Sinn einer Besprechung müßte in diesem Falle
doch wohl ein Rat sein, welche der beiden Übersetzungen
den Vorzug verdiene. Das ist nun außerordentlich
schwer. Schaeder hat den Vorzug, daß
er den wissenschaftlichen Apparat der Herausgeber der
dänischen Gesamtausgabe mit übersetzt hat; und dieser
Apparat ist fürs Studium der Schrift kaum zu entbehren
. Kütemeyer hat den Vorzug, daß er die
als Leitfaden durch das Ganze einfach mit zur
Sache gehörenden und oft erst den richtigen Sinnakzent
herstellenden Worthervorhebungen Kierkegaards
wiederholt hat, welche Schaeder unbegreiflicherweise
aus ästhetischen Gründen (!) weggelassen hat;

| aber Kütemeyer hat dabei den Fehler begangen, die
zwiefache Art der Hervorhebung (beherrschende Eigennamen
durch Fettdruck, sachlich Betontes durch Sperrung
) auf eine und die gleiche Weise, allein durch
Sperrung auszudrücken; und das gibt nun an einzelnen
Stellen wieder mehr Verwirrung als Erleuchtung. Von

| der neuen Errungenschaft, durch Wiederholung der
Gliederung der Schrift über den Seiten (sogenannte
Seitentitel) dem Leser ein leichtes Zurechtfinden zu ermöglichen
, haben sie beide keinen Gebrauch gemacht;
da ist dann Schaeder etwas in Vorteil, weil der kleinere
Druck und die geringere Seitenzahl, das bessere Inhaltsverzeichnis
und ein gutes Register bei ihm diese Unterlassung
nicht ganz so schmerzlich empfinden läßt. Da-

i für hat Schaeder wieder die Barbarei sich zu schulden

j kommen lassen, diese eine Mischung von Poesie und
Wissenschaft, Musik und Dialektik darstellende Schrift
in Antiqua drucken zu lassen.

Nun die Übersetzungen selbst. Wörtlich sind sie
alle beide; den strengeren Anschluß an die Urschrift
hat wohl Kütemeyer. Und das ist bald Vorzug (ein paar
Ungenauigkeiten Schaeders fallen weg), bald Nachteil
(Schaeder liest sich häufig glatter). Sehr häufig aber ist

i es mir so gegangen, daß ich, vor allem bei Abweichungen,

I über beide den Kopf geschüttelt habe. S.V. XIII 321
sagt Kierkegaard: „Denn unsre Zeit, sie fordert mehr, sie
fordert, wenn nicht hohes, so doch hochtönendes

I Pathos (om ikke hoi, saa dog hoirostet Pathos
), wenn nicht Spekulation, so doch Resultat, wenn
nicht Wahrheit, so doch Überzeugung, wenn nicht Ehrlichkeit
, so doch Beteuerungen ihrer, wenn nicht Empfindung
, so doch Weitläufigkeiten hinsichtlich ihrer".

i Das hochtönende Pathos mit seiner ironischen Schwebung
hat nun beiden Übersetzern Schwierigkeiten gemacht
; Schaeder übersetzt „lautes Pathos", um einen

j Grad zu plump und das Wortspiel vernichtend, Kütemeyer
„hochgestimmtes Pathos", was ein Muster

l für die Fehler ist, die scheinbare Wörtlichkeit zuwege
bringt (hochgestimmt ordnet sich bei uns dem Sinne

I nach zu Stimmung und nicht zu Stimme). Ähnlich steht
es häufig; im Ganzen würde ich danach doch wohl
Schaeder den Vorzug geben, ohne seine Übersetzung damit
überall für gut oder auch nur die bessere erklären
zu wollen. Solche Dinge, daß spidspullete Hatte,
weil spidspullet im bekanntesten Taschenwörterbuch so
umschrieben ist, pedantisch mit „Hüte mit spitzen
Köpfen" wiedergegeben wird, oder daß die Worte Tid