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Ausgabe:

1929 Nr. 18

Spalte:

419-421

Autor/Hrsg.:

Hilpisch, Stephanus

Titel/Untertitel:

Geschichte des benediktinischen Mönchtums 1929

Rezensent:

Lempp, Eduard

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 18.

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denselben überblicken, so stoßen wir schließlich auf
dieselbe Ursache wie bei den Verfassungskämpfen in
den Mendikantenorden. Die vom h. Benedikt aufgestellte
Regel galt nicht nur als eine Richtlinie, die für ihre Zeit
maßgebend sein sollte, sondern als ein Heiligtum, auf
das jeder Abt und jeder Mönch sich verpflichtet fühlte
und dessen wörtliche und strenge Befolgung als Gradmesser
für das Ansehen, die Heiligkeit, den Ruhm eines
Klosters angesehen wurde. Andererseits drängte die
rauhe Wirklichkeit, die wechselnden Zeitanschauungen,
die wirtschaftlichen Verhältnisse mancher Klöster, die
Kämpfe des Papsttums, das Vorbild neuerer Orden unwiderstehlich
zum Zusammenschluß, der doch in der
heiligen Regel nicht vorgesehen war, ja der in der Regel
stark betonten Selbständigkeit des Klosters zu widersprechen
schien. Nun konnte ja der Papst vermöge seiner
Schlüsselgewalt durch Anordnungen und Dispense
helfen, und das geschah auch hier oft und reichlich, aber
die Gewissen der auf die h. Regel Verpflichteten fühlten
sich doch immer wieder beunruhigt, und das gab
den in diesem Buch geschilderten Entwicklungen und
Verfassungskämpfen den Stachel.
Stuttgart. _Ed. Lempp.

Hilpisch, Dr. Stephanus: Geschichte des benediktinischen

Mönchtums. In ihren Grundzügen dargest. Mit 17 Bildern auf
10 Taf. Freiburg i. Br.: Herder & Co. 1029. (X, 433 S.) gr. 8°.

RM 11 — ; I.wd. 13.50.
Nach ausführlicher und gründlicher Darlegung der
Entstehung und der Besonderheiten des vorbenediktini-
schen morgenländischen und des abendländischen
Mönchtums wird zunächst die Geschichte Benedikts,
der Gründung von Monte Cassino und der Ausbreitung
seiner Regel geschildert. Benedikt hat keinen Mönchsorden
gestiftet, sondern ein Kloster und hat diesem
Kloster seine berühmte Regel gegeben, die die Wurzel
des ganzen Benediktinertums geworden ist. Mit der
Zeit haben andere Klöster diese Regel angenommen, daneben
gab es aber noch genug Klöster im Abendland,
die nach ihrer nationalen Eigenart (Iren, Spanier, Germanen
) sich unterscheiden und besondere Regeln hatten,
von denen die des Colurnban die bekannteste und ver-
breitetste war. Allmählich wurden aber, besonders durch
Bonifatius, die benediktinische Regel, als die römische,
zur herrschenden, ja zur alleingeltenden, sodaß nun der
Begriff „Mönch" identisch wurde mit dem Begriff „Benediktiner
" (S. 112 f.). Die Verstrickung mit dem germanischen
Staat führte zum Verfall, aus dem dann Cluny
das Mönchtum zu glänzender Höhe und führender
Machtstellung emporhob. Und nun werden all die Reformversuche
und Reformkongregationen geschildert, die
sich im Lauf der Jahrhunderte folgten, in fast monoton
klingenden Wellen, die immer wieder zur Blüte hinauf
und in den Verfall hinabführten; man möchte dem Antonius
de Berga (t 1452) zustimmen, der sagte: er habe
von erfahrenen und gereiften Vätern gehört, eine reguläre
Observanz bleibe nicht länger als 100 Jahre bestehen
; denn es sei gar schwierig, lange an harten
Dingen festzuhalten (S. 252). Die Blütezeiten führt H.
gewiß mit Recht nicht sowohl auf die strikte Beobachtung
der Regel, sondern auf die bedeutenden Männer zurück
, die dem Orden geschenkt wurden, die Zeiten des
Verfalls in der Hauptsache auf äußere Ursachen (Feudalismus
, Kriege, Seuchen, Eingriffe der Staatsgewalt und
dergl.), doch wird die eigene Verschuldung der Ordensglieder
und ihrer Führer, bis hinauf zu den Päpsten
nicht verschwiegen, wenn auch wohl nicht genügend
hervorgehoben. Zuletzt wird mit verständlichem Hochgefühl
die glänzende Restauration des Ordens seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts geschildert, die 1893
durch die von Leo XIII. herbeigeführte Konföderation
aller Benediktinischen Kongregationen gekrönt wird.
Eine Aufzählung der heute bestehenden Kongregationen
und ihrer Klöster nebst einem guten Register erhöhen
die Brauchbarkeit des mit großem Gelehrtenfleiß und
umfassender Quellenkenntnis geschriebenen Buches.

Mit Recht weist das Vorwort auf die Schwierigkeiten
hin, die diesem „ersten Versuch" einer Geschichte

> des benediktinischen Mönchtums entgegenstanden. Diese

, bestehen nicht nur in dem durch das hohe Alter und die
weite Ausbreitung bedingten Umfang, sondern hauptsächlich
in der Eigenart der Benediktinischen Ver-

i fassung, „die dem Einzelkloster die volle Selbständigkeit
wahrt und die zur Folge hat, daß die Geschichte
des Benediktinertums in allergrößtem Ausmaß Geschichte
seiner Klöster ist". Ist nun H. dieser Schwierigkeiten
Herr geworden? Ich erlaube mir einige Fragen
. Man möchte aus einem solchen Buch doch eine
klare Antwort haben auf die Frage: was ist nun das Eigentümliche
und Gemeinsame des Benediktinischen
Mönchtums? Natürlich nicht etwa die Kleidung der
schwarzen Mönche. Mit erfreulicher Entschiedenheit er-

i klärt der Verfasser: „Wenn die Regel das Hausgesetz
bleibt, dann sind alle andern Fragen belanglos: Kleidung
, Nahrung, Tonsur, Beschäftigung" (S. 389). Also
ists das Halten an seiner Regel, was den Benediktiner
macht. Aber nun erhebt sich die Frage: ist das Halten

1 am Buchstaben oder am Geist der Regel das Entscheidende
? Alle die vielen Reformversuche begannen mit

j dem Ruf: zurück zur Regel! Aber soviel Reformen, so
vielerlei Auslegungen und Ausgestaltungen der Regel.
Warum werden in diesem Buch die Cluniazenser in
ihrer ganzen Geschichte als Benediktiner gerechnet, die
Zisterzienser dagegen höchstens in ihrem Anfang? Seit
wann und warum gehören letztere nicht mehr zu den
Benediktinern, während noch Gregor XVI. „ein Sohn
des heiligen Benedikt aus dem Kamaldulenserorden" genannt
wird (S. 371)? Noch 1243 hat der Papst die
Klarissen zur Regel Benedikts neben ihrer eigenen Regel
verpflichtet, um ihren Orden als einen approbierten zu
erweisen (Potthast 11175). Da noch erscheint die Regel
Benedikts einfach als die für alle Mönche und Nonnen
geltende Normalregel. Was ist dann das Besondere, das
Entscheidende, das die Benediktiner von andern Unterscheidende
in der Regel Benedikts? Aus dem vorliegenden
Buch ist an vielen Orten etwa herauszulesen, daß
die Diskretion, das Maßhalten, dann die ausgedehnte Liturgie
und endlich die Selbständigkeit der Abteien als

, das Besondere angesehen wird, aber zu verschiedenen
Zeiten wurde von hervorragenden Benediktinern gerade
nicht das Maßhalten, sondern harte Kasteiung als das
Auszeichnende des Benediktiners angesehen. Auch das
votum de stabilitate ist in verschiedenen Klöstern und
Kongregationen so verschieden gedeutet, z. T. fast weggedeutet
worden, daß man es nicht als das Besondere
im Benediktinischen Mönchtum ansehen kann. Der von
H. überaus gerühmte Gueranger sieht die Kontemplation
als das Besondere des Benediktiners an: „Der Mönch

! hat erwählt die mühevolle Ruhe des Klosters, um bei
Gott zu wohnen; der Mönch hat im Kloster zu leben,
Gott zu dienen in Schweigen, in der Feier des heiligen
Offiziums, Arbeit, Gehorsam, Abtötung und Beständig-

j keit. Deshalb lehnte er (Gueranger) jeden Aktivismus
ab" (S. 372), aber fast zu gleicher Zeit ging der eben
so hoch gerühmte Wimmer mit einigen Brüdern nach
Nordamerika, übernahm dort Seelsorgestationen und

' gründete ein Priesterseminar. „Die Tätigkeit Wimmers
umfaßte die gesamte Seelsorge für die Deutschen in der

! Diözese Pittsburg und zwei Nachbardiözesen" (S. 375)
und die Schweizer Benediktiner befassen sich hauptsäch-

■ lieh mit Indianermission (S. 376). Das ist doch Aktivismus
! Auch die Beschäftigung mit der Wissenschaft ist
zwar in manchen Benediktinerklöstern und Kongregationen
(besonders bei den Maurinern) der hohe Ruhm des
Ordens, aber nicht nur sind zu andern Zeiten die Bene-

; diktiner in dieser Hinsicht von den Bettelorden und
Jesuiten ganz in den Schatten gestellt worden, sondern
manche Benediktiner und Kongregationen haben die Beschäftigung
mit der Wissenschaft grundsätzlich abgelehnt
oder jedenfalls zurückgestellt (vergl. z. B. S. 198.
218 u. sonst). Und weiter die Kunstbauten, welche die