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Ausgabe:

1929 Nr. 17

Spalte:

405-406

Autor/Hrsg.:

Leuba, James H.

Titel/Untertitel:

Die Psychologie der religiösen Mystik 1929

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 17. 40t5

gens — nebenbei bemerkt — mit den katholischen Kri- seinen Fragen und Interessen durchweg im Peripheri-
tikern Ottos (Oeyser, Schmidt) zusammentrifft. Nun sehen verbleibt und die psychologische Analyse nirgends
hat aber Otto ausdrücklich zwischen Gefühl = Emotion, zu einer im engeren Sinne religionspsvchologischen,
auf das diese Bedenken selbstverständlich zutreffen, und durch die Intention auf das spezifisch Religiöse geleite-
Gefühl ^intuitiver Erkenntnis, auf das sie nicht zutreffen, ten, weiden läßt. Die neueren Versuche, die in dieser
unterschieden und den letzten Sprachgebrauch ange- letztgenannten Richtung liegen — wie u. a. diejenigen
wandt. Das ist sein gutes Recht und kann nicht mit der von Söderblom oder Heiler oder der vom Unterzeichne-
Bemerkung abgetan werden, das sei „gegen den wissen- ten in der Auseinandersetzung mit diesen gegebene —
schaftlichen Sprachgebrauch". Vielmehr hätte hier das bleiben unberücksichtigt. In dieser Hinsicht ist L.'s Beganze
Problem der Beziehung zwischen ßio$ und Äöyoc, handlung der Mystik genau so primitiv und an der
das Troeltsch bereits gesehen hatte, und das Problem Oberfläche haftend, wie die zu Grunde liegende, oben
der Möglichkeit intuitiver Erkenntnis erörtert werden skizzierte religionswissenschaftliche Gesamtposition mit
müssen. Das hätte dann folgerichtig zur Auseinander- ihrer Unterscheidung der 2 Grundtypen des religiösen
setzuno- mit der modernen Phänomenologie und auf die Verhältnisses, dem objektiv-kaufmännisch-geschäftsmäßi-
Frage nach der von Wobbermin so einleuchtend erhell- gen und dem subjektiv-mystischen. In Wirklichkeit han-
ten psvehologischen und logischen Struktur des religi- delt es sich hier nicht um die beiden Grundtypen der
Ösen Bewußtseins geführt. Nur von hier aus, niemals Religion, sondern um zwei Nuancen der Magie als des
aber von der Systematik des strengen Kantianisn.us aus, Versuchs von Menschen, sich aus eigenen Kräften des
kann Otto wirklich verstanden werden. Für diese Heils zu bemächtigen.

neueste Wendung in Philosophie und Theologie hat Die Größe, die religionspsychologisch betrachtet,

Feigel kein Verständnis, in ihr sieht er nur Kriegs- und rechtmäßig allein den Namen Religion verdient, die —

Nachkriegspsychose. m der Terminologie Schleiermachers zu reden — die

So gewiß Ottos Buch nicht das letzte Wort zur Anerkennung der schlechthinnigen Abhängigkeit zur

Sache is? und in methodischer Hinsicht wie im sach- Voraussetzung hat und demgemäß in der reformato-

lichen Ergebnis nicht mehr zum Neuesten gehört, so ge- rischen Rechtfertigungslehre ihre reinste Ausprägung
wiß führt doch Feigels Buch trotz alles Scharfsinns der 1 erhält, wird durch den psychologistischen Ansatz Leubas

Kritik und aller Klarheit der Darstellung hinter Otto im Voraus ausgeschlossen.

zurück. Indirekt beweist Feigel nur das eine, daß wir Göttinnen. G. Wobbermin.

nicht bei Kant stehen bleiben dürfen, wenn wir der | -_-

gegenwärtig aufgebrochenen theologischen Probleme Schreiner, Helmuth: Zur Neugestaltung der Ehe. Berlin-
Herr werden wollen. Spandau: Buchh. d. Ev. Johannesstiftes 1929. (37 S.) gr. S°. RM1-.
Düsseldorf. K. Kesselei. Diese Studie ist in dem Frontkampf um das Problem
der Ehe entstanden. Sie trägt darum die männ-

Leuba, Prof. James 11. : Die Psychologie der religiösen Mystik. liehen Züge des Kämpfers, der die Wirklichkeit illu-

Berechtigte Übersetzung von Erika Pf oh l-Hamburg. München: J. F. sionslos sieht, aber sich trotz dieser und gegen diese der

Bergmann 1927. (X, 260 S.) 4°. = Grenzfragen d. Nerven- u. Seelen- unbedingten Anforderung der Wahrheit stellt. Der

lebens, h. 128 130. RM 16.50. , Kampf_ und Bekenntnischarakter der Schrift hat nichts

Der Verfasser beginnt mit einer kurzen, aber für die j zu tun mit veralteten Formen einer Apologetik, die sich

nachfolgenden Kapitel grundlegenden Ausführung über auf eine sturmsichere Zitadelle zurückzieht, sondern

das Verhältnis der Begriffe Mystik und Religion zu einander
. Er unterscheidet nämlich 2 Haupttypen religiöser
Beziehung, einen „objektiven" und einen „subjektiven".
Jener bestehe in objektiven, kaufmännischen Geschäften

läßt sich in tiefer Sachkenntnis mit dem Gegner ein.
Der erste Teil setzt sich mit den Einwänden gegen die
Ehe auseinander. Von zwei Seiten ergeht die Kritik an
der Ehe: seit gestern und ehegestern von einem selbsti-

mit Gott, der andere — der mystische Typ — in einer gen Individualismus, der jede überindividuelle Norm

Vereinigung mit Gott oder sogar in einem Aufgehen in gebung der Ehe ablehnt; seit dem Krieg von ernsteren

die göttliche Substanz. j Gruppen, die aus bevölkerungspolitischen Gründen ihr

Auf dieser Grundlage bauen sich nun die Einzel- Nein zur Einehe sprechen. Der Individualismus ist

Untersuchungen des Verfassers auf. Er behandelt zu- selbst nicht einheitlich in seinem Angriff, einheitlich ist

nächst die mystischen Ekstasen der Primitiven, die mit ! „ur der Kampf gegen die Unbedingtheit der Liebesge-

phvsischen Mitteln herbeigeführt werden, um dann bei • meinschaft. „Die Seele der Geschlechtsgemeinschaft ist

den höheren Formen, speziell denen der christlichen das Glück." Den anderen Gruppen ist es um Rasse und

Mvstik, die Kontinuität mit jenen niederen aufzuzeigen i Volkstum zu tun. Ihre Frage ist die, ob heute noch

und um weiter mit den religiösen Ekstasen in ihrer Ge- ; durch die Einehe Quantität und Qualität der Rasse

samtheit die nicht-religiosen, d. h. solche von Dichtern, i sichergestellt werden kann. Der Verf. zeigt, wie durch

Epileptikern u. a., zu vergleichen. Aus diesem Vergleich die geforderte normierte Einschränkung der Geburten

ergibt sich dem Verfasser, daß sich in allen diesen Er- die Rasse nicht, wie irrig vorausgesetzt, gehoben wird

scheinungen die gleichen Merkmale finden und daß es sondern entartet. Die Herrschaft der Minderwertigen

also zwischen religiösen und nicht-religiosen Ekstasen j tritt an die Stelle der Höherwertigen. Die Postulate der

keinen anderen Unterschied gibt als den der verschie- biologisch-bevölkerungs-politischen Auffassung der Ehe

denen Deutung. Dabei wird dann nachdrucklich betont, I drängen zu einem Entweder-Oder. Entweder ist der

daß die Deutung selbst den Charakter der Erlebnisse sinn der Ehe die Fortpflanzung; dann muß die Beseiti-

beeinflusse. Sein Gesamtresultat faßt L. selbst dahin zu- j gung der Einehe gefordert werden oder dies ist ihr

sammen, daß für den Psychologen, der innerhalb des Sinn nicht, dann bedarf die biologische Forderung einer

Bezirks der Wissenschaft (N. B.: im Sinne des positi
vistischen Wissenschaftsbegriffs) bleibe, die religiöse
Mystik eine Offenbarung nicht Gottes, sondern des
Menschen sei. „Wer das Tiefste, das im Menschen ist,
die verborgenen Kräfte, die ihn antreiben, erkennen will,
sollte sich zur Erforschung der Mystik wenden".

Der Wert des Buches beruht auf dem Reichtum
des religionsgeschichtlichen Materials und der Schärfe

Revision im Ansatz. Praktisch hat der Kampf von beiden
Seiten eine Befürwortung der erleichterten Ehescheidung
und der Aufhebung des § 218 eingebracht
sowie die verschiedenen Reformvorschläge der „Zeit"-
und Kameradschaftsehe, die beide eine besondere Form
der Geschlechtsgemeinschaft neben der heute giltigen
Monogamie anstreben. Das Ergebnis der Auseinandersetzung
faßt der Autor dahin zusammen, daß die beiden

der psychologischen Zergliederung der behandelten Phä- Formen der Kritik an der Einehe, die kollektiv-rassen-

nomene. Für das Verständnis des Wesens der Mystik
selbst bietet das Buch wenig Förderung, da es infolge
seiner positivistisch-psychologistischen Einstellung mit

utilitaristische und die individualistische, von falschen
Voraussetzungen aus Wesen und Wahrheit der Ehe verfehlen
. Davon handelt der folgende 2. Abschnitt.