Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1929 Nr. 17

Spalte:

403-405

Autor/Hrsg.:

Feigel, Friedrich Karl

Titel/Untertitel:

„Das Heilige“. Kritische Abhandlung über Rudolf Ottos gleichnamiges Buch 1929

Rezensent:

Kesseler, Kurt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

403

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 17.

404

hat z. B. bewiesen, daß die Existenzdialektik bei Kierkegaard gekreuzt
wird durch eine andere Gedankenreihe, wo das Paradox das Dogma
vom Gottmenschen ist. Hirsch und ich sind darin mit Bohlin einig.
Anstatt nun diese Meinung wissenschaftlich zu widerlegen, indem er die
Beweisstellen entkräftet, widerlegt H. D. die Anschauung — durch die
Existenzdialektik, als ob sie entscheiden könnte, ob Kierkegaard dann
und wann seinem besseren Selbst untreu gewesen ist! Gegen mich erlaubt
sich der Verf. zu meinen, daß ich, weil ich innerhalb der Kirche
stehe, mich deshalb Kierkegaards Forderungen entziehen will, — diese
Behauptung wird aufgestellt, ohne daß der Verf. mein Kierkegaard buch
zu Ende gelesen hat! Und dann werde ich getadelt, weil ich Kierkegaard
, der als Prophet auftritt, kritisieren will. Aber H. D. kritisiert
ihn selbst. „Die asketischen Forderungen hängen damit zusammen, daß
Kierkegaard sich selbst nicht auf der Höhe des Glaubens halten konnte
(327)." „Sehen wir ab von allen offensichtlichen Entgleisungen in
Kierkegaards Angriff. . . (331)". Ist das nicht kritisieren? Oder gilt
hier die Regel: quod licet Jovi, non licet bovi ? Oder darf man nur
in hingeworfenen Sätzen kritisieren?

Was mir in dieser Sache von Wichtigkeit ist, ist
dieses, zu zeigen, daß das Studium von Kierkegaards
Leben nötig ist, wenn das Studium der Existenzdialektik
nicht auf Irrwege kommen soll. Das Fruchtbare ist
eine innige Verbindung der beiden Richtungen des Studiums
. Und ein Studium der Person Kierkegaards ist
auch möglich. Allerdings kann man das Geheimnis in
Kierkegaards Leben nicht erraten. Aber ich möchte
Hermann Diem, der ja augenscheinlich dänisch kann
(s. seine Behandlung von „de omnibus est dubitandum")
empfehlen, P. A. Heibergs großes Buch über Kierkegaards
religiöse Entwickelung zu lesen, und dann, wenn
es ihm möglich ist, nochmals zu schreiben: „Die Möglichkeit
, die Einheit in der Person Kierkegaards zu
suchen, der alle Schriften geschrieben hat und deshalb
ihre Anschauungen in seiner Person vereinigen müßte,
scheidet aus, weil diese Person für die Forschung nicht
zugänglich ist"!

Kopenhagen. E.Geismar.

Feigel, Oberstud.-Dir. Lic. Dr. Friedrich K.: „Das Heilige".
Kritische Abhandle, über Rudolf Ottos gleichnamiges Buch. Von
d. Teylerschen Gesellschaft gekrönte Preisschrift. Haarlem: De Erven
F. Bohn 1929. (V, 135 S.) gr. 8°.

Feigels Buch ist mehr als eine kritische Auseinandersetzung
mit Ottos gleichnamigem Werk über das
Heilige. Es ist eine durchgreifende Absage an jede
Theologie, die auf irrationalem Wege das Geltungs- und
das Wahrheitsproblem lösen will. Auch der Gegner,
der grundsätzlich auf der Seite Ottos steht, wird nicht
verkennen dürfen, daß hier ein Angriff von so entscheidender
Bedeutung vorliegt, daß der Theologe nicht
ohne ernste Auseinandersetzung an ihm vorübergehen
kann. Es sind vornehmlich drei kritische Einwendungen,
die Feigel erhebt: 1. unklare, widerspruchsvolle Begriffsbestimmung
und Ungründlichkeit der Darstellung; 2.
Verkennung der rationalen Begleitmomente der Religion
und vor allem 3. Verwischung der Grenzen zwischen
Religionspsychologie und Religionsphilosophie.

Was das erste angeht, so dürfte es Feigel gelungen
sein, durch eine Reihe von Beispielen zu belegen, daß
Otto recht oft Klarheit und Eindeutigkeit der Begriffsbestimmung
vermissen läßt. Feigel hat allerdings dabei
nicht berücksichtigt, daß in einer neu aufstrebenden Betrachtungsweise
und bei einem neu gesehenen Gegenstand
Eindeutigkeit und Klarheit der Begriffe nicht so
leicht erreichbar ist wie in einer durch Jahrzehnte
herausgearbeiteten Systematik wie dem strengen Kantia-
nismus. Auch wird damit zu rechnen sein, daß einem
„numinosen" Gegenstande gegenüber nicht die gleiche
strenge Systematik möglich ist wie einem „rationalen"
Gegenstande. Tiefer als diese Kritik der Terminologie
greift Feigels Nachweis, daß Otto innerlich Kant viel
ferner steht, als er selber annimmt und als seine dem
Kantianismus entlehnte Terminologie vermuten läßt. Es
ist ja aber auch der bedeutsame Wahrheitsgehalt des
Ottoschen Buches von anderer, Otto nahestehender
Seite unter Herauslösung aus der Kantischen Terminologie
vertreten worden. Am durchgreifendsten dürfte

Feigels nicht unberechtigte Beobachtung sein, daß bei
Otto das „Natürliche" und das „Numinose" nicht scharf
unterschieden sind, daß alle Versuche Ottos, das „Numinose
" gegen das „ganz andere", gegen das bloß Humane
abzugrenzen, immer wieder durch unklare Grenzverwischung
, wie z. B. in Ottos Apriorilehre, gestört
sind.

Die Bedeutung und Fruchtbarkeit der religionspsychologischen
Analysen Ottos werden von Feigel
1 unumwunden anerkannt. „Ottos Fähigkeit zu religionspsychologischer
Einfühlung und kongenialer Darstellung
des religiösen Phänomens und gerade auch des
religiösen Ur-Phänomens ist über unsere Kritik er-
' haben." Aber auch hier macht Feigel eine Reihe von
Einwendungen, die, wenn nicht zutreffend, doch jedenfalls
beachtlich sind. Ebenso wie Wobbermin stellt
Feigel Ottos Interpretation der Schleiermacherschen Gefühlstheorie
in Frage. Er bezweifelt ferner die wesent-
liehe Unterschiedenheit des „numinosen" und des „natürlichen
" Gefühls. Vor allem aber sieht er — und hier
' liegt der grundsätzliche Unterschied von Ottos und Feigels
Religions-Phänomenologie — in den rationalen,
j d. h. den theoretischen und sittlichen Begleitmomenten
i des religiösen Gefühls wesensmäßige Bestandteile, nicht
! später hinzutretende Komplexionen. Mit der Ablehnung
der Ottoschen Interpretation Schleiermachers scheint mir
; Feigel im Recht zu sein, mit den anderen Einwänden
nicht. Es ist aber doch beachtlich, wenn er angesichts
der Ottoschen Unterscheidung von numinosem und natürlichem
Gefühl auf die von der Psychoanalyse behaupteten
Zusammenhänge zwischen religiösem und
sexuellem Gefühl hinweist, die eine Auseinandersetzung
erfordert hätten. Ebenso bedeutsam sind Feigels Bedenken
gegen Ottos scharfe Trennung der religiösen
und der sittlichen Sphäre, die sich mit der Kritik
Wobbermins an Otto begegnet. Wenn dann aber Feigel
noch über Wobbermin hinausgeht und auch sogar „bestimmte
Moralanschauungen" der religiösen Sphäre zurechnet
, weil auch in ihnen das absolut Gebietende erlebt
wird, so zeigt das nur die ganze Schwere des Problems
, das nicht so leicht mit einer Bejahung des wesensmäßigen
Zusammenhanges von Religion und Sittlichkeit
gelöst werden kann.

Das entscheidende Bedenken Feigels gegen Ottos
Buch über das Heilige richtet sich darauf, daß bei Otto
Psychologie und Philosophie durcheinander gehen und
deshalb der religiöse Gegenstand nicht erreicht werden
könne. „Die Genialität des Verständnisses für den reli-
i giösen (Uog verführt Otto, die Religionspsychologie
! flugs als Religionsphilosophie auszugeben, ohne den
! Übergang von ftiog zum ^<>yog, vom religiösen Subjekt
zum religiösen Objekt als eine [lerdßaoig eig ölAÄo ytvog
I unter dem Gesichtspunkt der Giltigkeitsfrage einer
strengen Prüfung unterworfen zu haben." Ottos Ver-
, such, das Heilige als komplexe Kategorie a priori zu
erweisen, mußte daher mißlingen. Diese vermeintliche
Kategorie leistet nicht, was sie soll, und führt nicht
über den menschlichen Kreis hinaus. So wirft der Idealist
Feigel Otto genau dasselbe vor, was ihm seine
antiidealistischen Kritiker entgegengehalten haben, daß
: er das Göttliche vermenschliche. „Otto sucht die Gott-
! heit, aber er findet nur den Menschen". Daran kann
auch die Geltendmachung der Divination nichts ändern,
denn diese unterwirft sich nicht allen Kriterien der Erkenntnis
und ist daher keine Erkenntnis des Gegen-
j Standes. Darum vermag sie auch nicht, wie Otto fälsch-
j lieh glaubt, die Absolutheit des Christentums zu begründen
. Feigel urteilt hier als strenger Kantianer, ohne
auf die durch die neue philosophische und theologische
Wendung, die gerade Ottos Buch mit vorbereitet hat,
grundsätzlich und systematisch einzugehen. Er beruft
sich einfach auf die Anschauungen der Marburger
Schule und setzt diktatorisch fest: „Das Gefühl ist kein
Organ der Objekterfassung oder Objektgeltung, das
Gefühl hat nur ein Subjekt, kein Objekt"; worin er übri-