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Ausgabe:

1929 Nr. 17

Spalte:

395-396

Autor/Hrsg.:

Binns, Leonhard Elliott

Titel/Untertitel:

The Evangelical Movement in the English Church 1929

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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395

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 17.

396

Zeitschriften erschienen sind, die in Deutschland nur
schwer zu haben sind, hier vereinigt und bequem zugänglich
gemacht worden sind, wird jeder Freund der
mittelalterlichen Geschichte begrüßen. Sie sind Zeugnisse
einer ausgebreiteten Gelehrsamkeit, namentlich in
englischen Quellen, von deren Reichtum die Verfasserin
Kunde gibt und die längst noch nicht genügend durchforscht
und erschöpft sind. Es handelt sich meist um
Mönchs (Kloster) geschichte und Wirtschaftsgeschichte.
Nicht weniger als 6 Artikel beschäftigen sich mit Clunv
und den englischen Cluniacenserklöstern, entsprechend
der Bedeutung, die die Cluniacensische Bewegung für
das englische Mönchtum gehabt hat; vorbereitende Arbeiten
für ein größeres Werk über die englische Provinz
des Cluniacenser-Ordens, so: The relation of Clunv
to some other Movements of Monastic Reform aus dem
Journal of Theological Studies, oder Life at Clunv in
the Eleventh Century aus der Church Quarterly Review;
The Papal Schism of 1378 and the English Province of
the Order of Clunv aus der English Historical Review;
The English Province of the Order of Clunv in the fift-
eenth Century aus den Transactions der Royal Historical
Society u. a. 4 weitere Essais sind Studien, herausgewachsen
aus der Beschäftigung mit dem Register des
Erzbischofs von Canterbury (1294—1313) Robert Win-
chelsey, das die Verfasserin für die Canterbury and York
Society herauszugeben beabsichtigt. Von den übrigen
Artikeln, die noch nicht erwähnt sind, nenne ich noch:
The intellectual Influence of English Monasticism bet-
ween the tenth and the twelfth Centimes, p. 146—187;
The order of Grandmont and its houses in England p.
209—246. Einzelklöster* behandeln: The Monasterv of
Battie, p. 188—208, The Finance of Malton Priorv,
1244—1257 p. 247—270. Für das Finanzwesen ist
wichtig The Taxation of Pope Nicholas IV, p. 271—301.
Mehr lokales Interesse hat An Interdict on Dover, 1298.
1299 p. 324—329, ohne doch die größeren Gesichtspunkte
vermissen zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich gerade
die wichtigeren Artikel genannt habe, jedenfalls sind
alle hier vereinigten 16 Artikel Zeugnisse einer ausgebreiteten
Gelehrsamkeit, die sich besonders gern auch
des archäologischen Materials annimmt und durch treffliche
Illustrationen unterstützt wird. Ein ausführliches
sorgfältiges Namenregister zeigt den Reichtum des Inhalts
. Die Ausstattung ist ausgezeichnet.
Kiel. O. F ick er.

B i n n s, Vicar Leonard Elliott, D. D.: The Evangelical Movement
in the English Church. London: Methuen & Co. 1928. (XV,
171 S.) 8°. = The Faiths. 5 sh.

Ob die evangelikale Bewegung in der anglikanischen
Kirche noch eine Zukunft hat, ob sie das reformatorische
Evangelium zu erneuern die Kraft hat, das
ist eine uns in Deutschland mit berührende Frage. Von
der Antwort auf sie hangt es ja ab, wieweit noch ein
Band wirklicher Glaubensgemeinsamkeit deutsche und
anglikanische Christen in der Zukunft verbinden wird.
So wird man die hier angezeigte Selbstdarstellung der
evangelikalen Bewegung in der Sammlung 'The Faiths,
Varieties of Christian Expression' mit Aufmerksamkeit
lesen, obwohl sie als für weitere Kreise bestimmt wissenschaftlich
nichts Neues bietet, auch nicht bieten will.
Diese Aufmerksamkeit wird sich nicht so sehr auf die
geschichtlichen Kapitel richten, als vielmehr auf die
Darstellung der jüngsten Vergangenheit (V. The latest
period), die zusammenfassende Charakteristik der Bewegung
(VI. Characteristics of Evangelicalism. VII.
Fundamental doctrines. VIII. The church and the mini-
stry. IX. The sacraments) und die Entwicklung des Zukunftsprogramms
(X. The future of Evangelicalism).

Dem Verf. schwebt ein neues Bild des Evangelikaiismus
vor. Er steht innerlich sehr nahe dem „Angl i-
can Evangelical Group Movement", das bis
1907 in seinen Wurzeln zurückgehend Juni 1 9 23 auf
der Konferenz zu C o 1 e s h i 11 an die Öffentlichkeit getreten
ist. Aus dem Programm der Bewegung setze
ich folgende Sätze her:

The Movement is an association of clergv of the Church of England
, who, sharing In the common experienee and bellen) of the Evangelical
School, seek by means of group study and fellowship to tnter-
prete diese in relation to modern life and thought, and to contribute
thereby to the enrichineut of the Church and the World. . . We believe
that a great source of strength to the Church in evangelical movements
of the past has been their claim to interprete principles in the light of
current thought. . . We desire that our Evangelical experienee, thus
continuously reinterpreted by means of our fellowship of prayer and
study, may be shared as widely as possible by the people of our gene-
radon.

So wie Verf. die Erneuerung des Evangelikaiismus
wünscht und interpretiert (es wird nicht genau deutlich,
ob er in allen Punkten die neue Bewegung charakteristisch
vertritt), soll vom alten Evangelikaiismus erhalten
bleiben die Stellung der ganzen Frömmigkeit und
der ganzen Arbeit unter den Gedanken der vom heiligen
Geist gewirkten persönlichen Erfahrung, sowie
die Sammlung aller Kräfte auf das Ziel, die Menschen
zu gewinnen. Mit entschlossenem Ernst soll dabei herausgearbeitet
werden der anglikanische Charakter
der Bewegung. Das zeigt sich vor allem in einer (das
gewöhnliche ungeheuerliche Mißverständnis zeigenden)
Preisgabe der Lehre von der unsichtbaren Kirche, der
Aneignung der anglikanischen Auffassung des Amtes,
aber als einer Wahrung der Überlieferung als einer
Sicherung der geschichtlichen Kontinuität der Kirche
(unter Ausschluß von sacerdotal priesthood), in einer
neuen Hervorkehrung der Sakramente (unter Ausschluß
des ex opere operato und Betonung des Gedankens
kirchlicher Gemeinschaft). Ebenso aber liegt ihm am
Herzen die Modernisierung des Evangelikaiismus
durch Aufnahme der berechtigten Elemente aus (kirchlich
-theologischem) Liberalismus und Sozialismus und
durch eine „Verschönerung" des kirchlichen Kultus.
Was den Liberalismus anlaugt, ist sein Hauptanliegen,
daß man prinzipielle Rechtgläubigkeit vereinen kann
mit einer Vereinfachung des Dogmas auf das für die
geistliche Erfahrung Wichtige, und daß man das Ja
zur Auktorität der Bibel verbinden kann mit Bibelkritik,
ja mit Preisgabe einzelner alttestamentlicher Partien als
religiös wertlos. Als Idealfigur für den erneuerten Evan-
gelikalismus erscheint ihm Erasmus. Der Sinn aller
dieser Forderungen wird aber erst klar, wenn man beachtet
, daß sie Richtlinien für die Arbeit gerade des
Pfarrers sein sollen. An der Arbeit des Pfarrers in
seiner Gemeinde hangt nach ihm die Entscheidung jeder
kirchlichen Zukunftsfrage.

Was mir an dem Ganzen aufgefallen ist, ist e i n-
mal, wie wenig grundsätzlich, wie sehr praktisch jede
einzelne Frage behandelt ist. Die Lehre von der Trini-
tät wird z. B. empfohlen, indem zwischen dem Bekenntnis
zu einer living society in Gott und der Arbeit für die
society of nations im Völkerbund eine Parallele gezogen
wird (S. 99). Bei der Lehre von der Rechtfertigung
wird die Frage, ob allein aus dem Glauben,
oder aus dem in Werken sich offenbarenden Glauben
(was für eine Fragestellung ist das schon!) beiseitegeschoben
. Die Lehre des Verf.'s von den Sakramenten
ganz zu verstehen ist mir nicht gelungen; sie scheint
mir auf den Empfang einer geheimnisvollen Geistmitteilung
unter der Bedingung lebendigen Glaubens hinauszulaufen
, obwohl sich nicht jedes Wort des Verf.'s
damit vereinigen läßt. Zweitens ist mir aufgefallen
(und das ist vielleicht auch der Grund für das Verschwimmende
in den grundsätzlichen Fragen), daß viele
I der Punkte des Erneuerungsprogramms eine faktische
Annäherung an den Anglikatholizismus in sich schließen,
kein einziger aber von einem neuen lebendigen Erfassen
des reformatorischen Christentums zeugt. Dem steht
freilich gegenüber eine große bewundernde Liebe und
Pietät gegenüber den Vätern des Altevangelikalismus,
einschließlich Wesley und Whitefield.
Göttinnen. _ _E. Hirsch.