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Ausgabe:

1929 Nr. 17

Spalte:

388-389

Autor/Hrsg.:

Houtin, Albert

Titel/Untertitel:

Courte histoire du célibat ecclésiastique 1929

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 17.

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hellung" nicht möglich ist. Es handelt sich in ihr auch
um kristallklare Wahrheiten, die für alle Geltung haben
wollen.

Bei der Besprechung der 2. durchgesehenen Auflage
des gleichen Vortrages, die erst nach mehr als
30 Jahren erscheinen konnte, soll die Einseitigkeit der
Darstellung Duhms nicht wieder bemängelt werden.
Im Gegenteil, es soll der Freude darüber Ausdruck gegeben
werden, daß wir durch die Neuherausgabe der
Arbeit Duhms noch einmal auf seine zwar einseitige,
aber für das Verständnis lebendiger Religion so ungemein
wichtige Auffassung hingewiesen worden sind.

Religion ist weder subjektive Oberzeugung noch Lehre, sondern ein
geheimnisvoller Verkehr zwischen einem unsichtbaren, höheren Wesen
und den Menschen. Das grundlegende geheimnisvolle Ereignis der
Religion ist die Initiierung dieses Verkehrs durch das höhere Wesen.
Es erscheint besonders begnadeten Menschen und verschwindet wieder.
Damit ist die Verbindung angeknüpft. „Die Menschen, die dieser Erscheinung
gewürdigt wurden, und mit ihnen ihre Nachkommen, dürfen
jenes Wesen von nun an bei seinem Namen rufen, wenn sie seiner
Hilfe bedürfen, und bringen ihm dafür Geschenke: von jetzt an ist
Religion da" (S. 9).

In der Folgezeit lebt das Geheimnis der Religion weiter durch das
Medium der Ekstatiker und Seher. Es sind immer nur wenige Menschen,
mit denen die Gottheit direkt verkehrt. „Für die übrigen Menschen
tritt das Geheimnis nur ausnahmsweise und meist in mittelbarer, stark
abgeschwächter Weise in ihr Leben ein" (S. 12). Im übrigen sind sie
darauf angewiesen, den Begnadeten zu glauben.

Indessen bleibt es auf die Dauer nicht bei diesem Zustand. Das
Geheimnis, dessen einige wenige gewürdigt sind, lockt zu sehr. Schließlich
dringen die Laien in die Welt des Geheimnisses ein. Die Vorherrschaft
der Einzelnen wird durch die Masse abgelöst. „Die letztere
entrinnt freilich darum doch nicht der Bevormundung, ob diese nun
durch namenlose Führer oder durch berühmte Lehrer oder auch durch
ein autoritatives Gesetz oder ein offizielles Dogma ausgeübt wird" (S. 16).

Auch in Israel nahmen zunächst Ekstatiker und Seher eine einzigartige
Stelle in der Religion ein. Das Laientum stand im Hintergrund,
Dann übernahmen Männer die Führung, die ihre entscheidenden Gedanken
ebenfalls ihren persönlichen Begegnungen mit Gott verdanken.
Sie sind es gewesen, „die den Anstois zu der weitaus bedeutendsten,
folgenreichsten Bewegung in unserer Menschengeschichte gegeben haben"
(S. 19).

Auf Grund der Aufzeichnungen, die die Propheten hinterließen,
wurde dann die Religion Israels reformiert und in Gesetz und Lehre
verwandelt. Damit drang auch hier das Laientum vor. Die lebendigen
Träger des Geheimnisses waren abgetreten. Das Feld war den Gelehrten
überlassen, die das Höchste in einer eigentlich unpersönlichen und zeitlosen
Gesetzesbefolgung erblickten. „In seinem wahren Sinne ist daher
das Geheimnis aus dieser Religion fast ganz entwichen" (S. 21). Was
in den Apokalypsen steht ist Geheimniskrämerei, die mit der prophetischen
Verkündigung nichts mehr gemein hat.

Im Christentum lebt das Geheimnis der Religion wieder auf, „unverfälscht
, schöpferisch, das Gericht und das Heil bringend, sichtbar und
greifbar, aber freilich wiederum den Weisen verborgen und nur den
Unmündigen offenbar" (S. 22).

Auch die mittelalterliche Religion hat das Geheimnis als Kern der
Religion, wenn auch materialisiert, d. h. an sinnliche Dinge gebunden,
festgehalten. „Nur in einer Erscheinung blieb eine urreligiöse Form
des Geheimnisses lebendig, nämlich in den sog. Heiligen" (S. 24), deren
Legenden und Akten vom religionswissenschaftlichen Gesichtspunkt aus
wichtiger als viele Teile der äußeren Kirchen- und Dogmengeschichte
sind.

Im Protestantismus lebt das Geheimnis der Religion ebenfalls weiter.
„Es lebt in den Seelen, die die Kraft des Evangeliums in sich aufnehmen
können, es lebt in ihrem Beten, in ihrem Handeln und Leiden
" (S. 28).

„Es ist das dämonische Element, das den Kern und das Leben der
Religion bildet, das sie hervorbringt, neben dem alle Institution, alle
Lehre, alle religiöse Ethik nur als sekundär zu gelten hat, wenn auch
natürlich dies Sekundäre auf die erzeugende Kraft zurückwirkt" (S. 25).
Leipzig.__E. Balla.

Handbuch der Kirchengeschichte für Studierende, hrsg. v.
Gust. Krüger. 2. Tl.: Gerh. Ficker u. Heinr. Hermelink:
Das Mittelalter. 2., neubearb. Aufl. Tübingen : J. C. B. Mohr 1929.
(XI, 303 S.) 4°. RM 12-; Lwd. 14-.

Der 2. Auflage des 1. Teils des Handbuchs (1923)
ist jetzt die 2. Auflage des erstmalig 1912 erschienenen
2. Teils gefolgt. Die Verfasser und die Verteilung der
Arbeit (G. Ficker hat den 1. und 2. Zeitraum, das frühe
und das hohe Mittelalter, Hermelink den 3. Zeitraum,
das späte Mittelalter, übernommen), die Disposition, die

Paragraphen sind dieselben geblieben. Nur in einem
Punkte beklage ich, daß da keine Änderung eingetreten

i ist: wieder ist im Druck zwischen Deutsch und Lateinisch
nicht unterschieden. Bei der Darstellung ist der

1 Grundsatz noch mehr befolgt worden, daß die Hauptteile
alles Wesentliche in lesbarer Form und in gutein

i Zusammenhang darbieten und die Anmerkungen nur
die ergänzenden Einzelheiten und die Quellen und die
Literatur enthalten sollen. Schon hieraus ergibt sich,

! daß sich die Neubearbeitung nicht auf die Ergänzung
der Quellen- und Literaturverzeichnisse und die Revision
der Einzelheiten beschränkt (was aufs sorgfältigste geschehen
ist), sondern es sind auch einige Paragraphen,
wie z. B. die über Scholastik und Mystik, umgestaltet

, und beträchtlich erweitert worden. Trotzdem ist der
Umfang nur von 278 auf 303 Seiten gestiegen. Nur
höchst selten begegnet ein Druckfehler wie S. 202 Z. 2
Franz Döring statt Matthias oder eine nicht ganz richtige
Angabe wie S. 50,4 und 51,3: Ludolf von Sachsen

I vielleicht der Verfasser des Speculum humanae sal-

, vationis, was nach Nik. Paulus Archiv f. elsäss. Kg.

1 2, 208 ff. ausgeschlossen ist. So ist das Buch wieder

i auf die Höhe der Wissenschaft gebracht und eignet sicli
jetzt in gesteigertem Maße nicht nur zum Studium für

i Studenten der Theologie, sondern auch für Studenten
der Geschichte und darüber hinaus zur (wenn auch nicht
cursorischen) Lektüre für alle Theologen und Historiker
der Praxis, die ihre kirchengeschichtlichen Kenntnisse

) und Erkenntnisse wieder auffrischen, erweitern und ver-

i tiefen wollen.

Zwickau LS. O. C1 emen.

Houtin, Albert: Courte histoire du celibat ecclesiastique.

Preface par F. Sartiaux. Paris: Les Editicms Rieder 1929. (269
S.) 8°. = Christianisme, 30. 12 Fr.

Die reiche und mannigfaltige Geschichte des Prie-
stercölibats in der christlichen Kirche hat in diesem
Buche einen sympathischen Bearbeiter gefunden; es ist
:< ein nachgelassenes und nicht ganz vollendetes Werk
; des Modernistenführers Albert Houtin, der als Moder-
; nist zahlreiche Angriffe erfahren hat und ihnen mit ge-
! schichtlichen Argumenten begegnete. So ruft er auch
[ die Geschichte zum Zeugnis auf gegen den Priester-
! cölibat, zeigt den Mangel an historischen Grundlagen,
verkennt keineswegs, wie viel Vorteil die Kirche von
der erzwungenen Ehelosigkeit der Priester gehabt hat,
i ist aber auch nicht blind gegen die Schäden, die ihre
i Folgen gewesen sind. Er will auch nicht polemisieren
■ gegen diese Institution, sondern nur erzählen und auf-
i klären, zeigen, wie es wirklich gewesen ist, weil ja einer
der Hauptschäden der Kirche gewesen ist, daß man ihre
wahre Vergangenheit nicht kannte und vieles unbekannt
• geblieben ist, was des Wissens wert war. Er stellt sich
auch nicht auf den Standpunkt der Gebrüder Theiner, die
ein erschütterndes Bild der Folgen der erzwungenen
Ehelosigkeit gegeben haben, führt allerdings Beispiele
1 reichlich genug an, so aus dem Leben der Päpste usw.,
und da bringt er vieles Unbekannte und wenig Beachtete
; namentlich in französischen Verhältnissen ist
1 der Verf. sehr erfahren; ich möchte da hervorheben
etwa die Ausführungen über die Ehe Bossuets, über die
Ehe der konstitutionellen Priester usw. So anfechtbar
manches erscheinen mag — z. B. 1. Cor. 7,36—38 wird
als Interpolation beurteilt, wie überhaupt das ganze
7. Kapitel des 1. Korintherbriefes nicht ein einziges Wort
enthält, das dem heiligen Paulus gehört, — so wird
doch das Buch zu einer glänzenden Rechtfertigung der
protestantischen Haltung zu der Ehelosigkeit der Priester
; so wenig der Verf. gegen den Priestercölibat polemisieren
will — er selbst ist, soviel ich weiß bis an sein
Ende Priester und ehelos und keusch geblieben —, so
reden doch die von ihm mitgeteilten Tatsachen eine
laute und eindringliche Sprache, die hoffentlich je
länger, je weniger überhört wird. Die letzten Kapitel
sind von dem Herausgeber F. Sartiaux für den Druck
bearbeitet worden. Er gibt auch am Schluß eine Aus-