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Ausgabe:

1929

Spalte:

20-22

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Heinrich

Titel/Untertitel:

Konfirmation und Kirche 1929

Rezensent:

Macholz, Waldemar

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1!»

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 1.

20

gegen sie als tätig sein sollende faßt er in die Vorschrift
: „Öffne die Anlagen deiner Seele in den Stunden
der Berufung" (S. 61) und in die Wunschform: „Möchte
meine Seele rein und damit würdig ihres großen Vermögens
, das Gute in Ich-Form zu schauen ,sein'" (S.
62). Natürlich entgeht es ihm nicht, daß diese Formeln
inhaltlich leer sind; aber er kommt nicht auf den
Gedanken, daß er, um zu einer Inhaltsethik zu gelangen,
einen andern Weg hätte einschlagen müssen.

Auf seinem Wege kommt er aus Abstraktionen
auch dann nicht heraus, wenn er die Pflichten gegen
Andere zu umschreiben sucht. Der „Andere" ist ihm
„jeder beliebige Andere", sodaß „die Gesamtheit der
Andern kurz als ,Alle' bezeichnet werden kann" (S. 63).
Dieser „Andere" ist eben auch eine Abstraktion, da Menschen
doch nur in durch Blut und Sprache zusammengehaltenen
Gemeinschaften leben können. Driesch vermag
daher die „Völker" als ethnische Ganzheiten nicht
positiv zu werten und läßt es unentschieden, ob sie sein
sollten (S. 97). Die Morallehre hat sich nach ihm
nicht mit ihnen, sondern mit dem Staat zu befassen als
der Form, in der Menschengemeinschaften höchster Art
handeln. Zum Wesen des Staates gehört, daß er im
Singular existieren sollte; denn die Menschheit ist eine.
„Der letzte Zweck des Staates ist seine Aufhebung"
(S. 98). Driesch ist also Anarchist im Sinne Tolstois.
Merkwürdigerweise wendet er auf die Staaten in ihrer
nicht sein sollenden Vielheit den Begriff der „Entschuldigung
" nicht an, den er z. B. bei dem Geschlechtsakt,
bei dem Tötungsverbot, bei der Geburtenregelung einführt
. Er bedeutet „zwar nicht gut, aber weniger nicht-
gut als das Gegenteil". Dieser Begriff ist höchst bedenklich
, zumal in einer Ethik, die ohnehin auf einer
hypothetischen Grundlage aufgebaut ist. Entschuldigt
wird die Befriedigung des Geschlechtstriebes bei verhinderter
Fortpflanzung, wenn er etwa einen Menschen
von höchsten geistigen Anlagen hindern würde, diese zu
Zeiten der Berufung auszubilden, wobei Dr. indes die
Hoffnung hegt, „daß die Physiologie Mittel findet", die
ohne gesundheitliche Schädigungen „den sexuellen Trieb
beliebig zu sistieren gestatten" (S. 67). Entschuldigt
wird die Tötung außer im Falle der Notwehr als Euthanasie
, wenn sie an einem unheilbar Kranken mit dessen
Einwilligung vom Arzt vorgenommen wird, in diesem
Falle auch als Selbsttötung, der übrigens die passive
Aufopferung des Lebens zur Rettung eines „anderen
Lebens von Anlagewert" gleichgesetzt wird (S. 79), sowie
als Vernichtung keimenden Lebens zur Geburtenregelung
(„Es ist immer noch besser, wenn der Ungeborene
vernichtet wird, als wenn später die Geborenen
einander bewußt töten" S. 95). Nicht entschuldigt wird
die Todesstrafe (S. 78), die körperliche Züchtigung in
der Erziehung (S. 81), die Tötung von Feinden im
Kriege, außer wenn es sich um Abwehr des Einbruchs
wilder Horden in ein wohl geordnetes staatliches Gemeinwesen
handelt (S. 117). Mit dem Krieg zugleich
wird die allgemeine Wehrpflicht verurteilt (S. 129). Dabei
gesteht Dr. ein, daß es seine Hoffnung beim Ausbruch
des großen Krieges gewesen sei, es möchten im
letzten Augenblick in allen Ländern edle Jünglinge in
ganz großer Zahl, durch Verweigerung des Kriegsdienstes
die furchtbare Sünde unmöglich machen (S.
131). Wenn er damals nicht dazu aufgefordert hat, so
hinderte ihn daran wohl die Scheu vor dem „Patriotismus
" der Völker, den er als ein höchst gefährliches „Gewohnheitsgefühl
" brandmarkt (S. 31. 133 ff.), wie ihm
denn auch die Ehre des Staates, für die der Patriot sein
Leben einsetzt, ein Phantom ist. Für den Biologen ist
das Leben eben der Güter höchstes. Weil es bei der
deutschen Revolution von „Amtswegen" geschont wurde
, ist diese nach Dr. „die am wenigsten unmoralische
von allen Revolutionen" (S. 114). Allerdings stimmt
damit sehr wenig sein Urteil über China, wo bekanntlich
Menschenleben außerordentlich gering geachtet werden
und grausamste Todesstrafen an der Tagesordnung sind:

„Der Staat ist schwach und voll Wirren, und es läuft
doch das ganze Leben in vortrefflicher Ordnung ab wegen
der Höhe der sittlichen Grundauffassung im Rahmen
der Familien" (S. 146). Das ist wohl nur eine Erwiderung
der Höflichkeit, die Dr. von den Chinesen,
unter denen er den ersten Entwurf seines Buches
schrieb, erfahren hat.

Die obigen Zitate werden genügen, um zu zeigen,
daß es sich bei Dr. um die Umwertung moralischer
Werte handelt, die wenigstens für die protestantische
Ethik festzustehen schienen. Als Mittel dazu betrachtet

! Dr. die „echte Aufklärung", über die er manches sagt,
was angesichts des heute herrschenden Kultus des
Irrationalen beherzigt zu werden verdient. Wenn er aber

! als ihr Ziel Religion hinstellt, so meint er damit nicht
eine der bestehenden positiven Religionen, sondern konfessionslose
Religiosität d. i. das Bewußtsein des Menschen
, daß ihm sein wissendes Mitfühlen „gegeben ist

j von dem Großen und Höchsten, in dessen Mitte er nur

! ein Punkt ist" (S. 194). Dieser Religiosität widerspricht
nicht die katholische Kirchenlehre und die Lehre
Buddhas wegen ihrer Ökumenizität im Gegensatz zu den

j protestantischen Partikularkirchen (S. 198). Wie unfruchtbar
kann doch auch die Begegnung mit einem
großen Geiste sein, wenn ihm die historische Bildung
fehlt!

Osnabrück. Ernst Rolffs.

Rendtorff, Heinrich: Konfirmation und Kirche. Dresden: <:.
L Unvelenk 102S. (55 S.) S". =» Kirche U. Oegenw., Praktisch-tlieolog.
Untersuchen., 2. RM 2- .

Die hervorragende Gabe Heinrich Rendtorffs, die
j Debatte durch scharfe Herausstellung des Wesentlichen,
i durch klärende Antithesen und Übersichten zu fördern,
| macht die Lesung seiner Schrift über Konfirmation und
Kirche zu einer Freude für jeden, der mit den Fragen
| des von ihm behandelten Gebietes vertraut ist. Und wer
I wollte nicht die vorwärtsdrängende Energie dankbar be-
! grüßen, die den Verf. nach kurzer Erörterung der Weckrufe
Erich Stanges, Schreiners, Schaffts erklären heißt,
die Anklage Wicherns bestehe noch heute zu Recht, die
j Kirche arbeite mit ihrer Konfirmationspraxis an ihrem
eignen Untergange? Es ist auch gut, daß die Klage
gerade jetzt wieder laut wird: wie wenig haben die Ar-
I beiten Walter Casparis, Diehls, Rietschels, Franz Rend-
I torffs gefruchtet! Wie wenig hat man Franz Rendtorffs
Hinweis auf die katechetische Konfirmation als den
Ausweg aus der Konfirmationsnot genützt! Denn Rendtorff
hat wahrlich Anlaß, mit Scham und Trauer der
| Bereitwilligkeit zu gedenken, die in den Liturgischen
Blättern den verschiedenartigsten Nachfragen ein zusagendes
Angebot macht, so daß das Allerlei von litur-
! gischen Lösungsversuchen hinsichtlich der Konfirma-
i tionsfeier ebensoviel Widerstreit wie Fragwürdigkeit
| offenbart. Endlich müssen klare evangelische Normen
durchdringen. R. verweist auf das sächsische Kges. vom
i 31. Dez. 1924 und auf Erich Stanges Bemühungen, im
Anschluß an die Konfirmation konzentrische Kreise
innerhalb der Volkskirche herauszubilden, um zu erhärten
, daß die verantwortliche praktisch-theologische
Theorie zu einem Vorstoß verpflichtet sei. Lehrreich
gerade in seiner Beschränkung auf die Hauptsachen ist
der geschichtliche Überblick. Dem Sakrament der Firmung
, das die unkatechetische Kirche des Mittelalters,
die nur zur Beichtfähigkeit erziehn will, ausbildet, tritt
! die Reformation entgegen. Sie will „anhaltende Er-
; Ziehungsarbeit, deren einziges Mittel das Wort Gottes
ist, deren Ziel der persönliche Glaube, deren Stoff das
ganze Menschenleben". Die neue ev. Konfirmation entsteht
, wo zwei Linien sich treffen: „das Bedürfnis,
einerseits die kirchliche Jugendunterweisung zu einem
feierlichen Abschluß zu bringen", andererseits die Abendmahlsbereitschaft
einmalig für kommende Fälle festzustellen
. Als Zeugen dieser katechetisch-seelsorgerlichen
Konfirmation werden Sätze aus der reformatio Witte-