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Ausgabe:

1929

Spalte:

357-358

Autor/Hrsg.:

Stelzenberger, Johann

Titel/Untertitel:

Die Mystik des Johannes Gerson 1929

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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357

358

Hiinden zu greifen nur einige für die künftige Erforschung
dieser Dinge wertvolle Einzelnachrichten.

Zweitens, die eigentliche Frage, die uns Langton
als geschichtliche Persönlichkeit aufgibt, ist, wie
man sein Verhalten von der Wahl zum Erzbischof bis
zur Unterwerfung des Königs (1207—13) und seine
Stellung vom Sommer 1213 ab sich zusammenreimen
soll. Erscheint er nicht zuerst als reines Instrument
des päpstlichen Willens, dann als heimlicher und sehr
zäher Widersacher des Papstes bei dessen Versuch, die
englische Kirche sich zu unterwerfen? Die Antwort, die
Pow icke gibt, ist durch die Schilderung des Langtons
der Quaestiones schon vorbereitet. Ihre Durchführung
setzt aber nicht nur reichliche eingestreute allgemeine
Erwägungen über die Geschichte des Kirchenrechts und
über die konkrete Lage in England, sondern auch ein
Eingehen auf die verwickelte Vorgeschichte der Magna
Charta voraus. Dabei kreuzen sich die Tendenz zur
Umweltschilderung und der Wille, Bekanntes möglichst
nicht zu wiederholen, sondern die Forschung durch
neues Material und neue Verknüpfungen zu fördern, in
besonders eigenartiger Weise. Das sachliche Bild der
Vorgänge ist etwa folgendes: König johann hat, als
sein Widerstand zusammenbrach, vor allem auch deshalb
England vom Papste zu Lehen genommen, um im
Papste einen Rückhalt gegen die Barone zu bekommen
(deren Erbitterung durch die finanziellen Folgen des
königlichen Nachgebens in Sachen des Kirchenguts ja ;
noch mehr steigen mußte) und auch bei der Regelung
der kirchlichen Personalfragen mit Hilfe des päpstlichen
Legaten eine möglichst ihm genehme Lösung zu gewinnen
. Lang ton ist Engländer genug, um die
Lehensnahme des Königs zu bedauern, auch selbstverständlich
Anhänger der von Johanns Absolutismus gefährdeten
alten Freiheiten und Rechte der Großen, im
Sinne der Gerechtigkeit und des rechtlichen Herkommens
gegen fürstliche Willkür; gute Ordnung in der
Kirche aber war ihm die Selbständigkeit der Stifte und
Bischöfe gemäß dem kanonischen Recht. So hat er denn
der kirchlichen Politik des Königs, auch im Widerstreit
mit dem ihm auf die Nase gesetzten päpstlichen Legaten
widerstrebt. So hat er die sog. „Unknown Charter"
Heinrichs I. selber (am 25. August 1213 zu St. Paul)
unter die Barone lanciert und ihrem Widerstand
damit die rechtliche Basis gegeben, mehr als jeder
andre für die Magna Charta von 1215 die Voraussetzung
geschaffen. Aber seine Politik war,
alles auf dem Wege friedlichen Ausgleichs, als j
geschickter Mittelsmann zu Ende zu führen. Daß
dieser friedliche Ausgleich unmöglich war, führte dann
1215 seine Katastrophe herbei, seine Suspension durch
den Papst auf Betreiben des Königs. Die von ihm ge-
wünschte Lösung ist dann auf dem andern Wege doch
eingetreten; und er hat nach seiner Rückkehr 1218 noch
für die grundlegende Neuordnung des englischen Kirchenrechts
im Sinne einer Unabhängigkeit vom Könige
und einer Obereinstimmung mit dem Recht der universalen
Kirche, wie es sich 1215 auf dem Laterankonzil
gestaltet hatte, durchführen können (Provinzialkirchen-
versammlung in Osney, April 1222).

Auch bei diesem zweiten Teile des Buchs liegt aber
der Hauptwert in der Stellungnahme zu den Einzelfragen
der Forschung zur Geschichte der Charta und
in der Anschaulichkeit, mit der einzelne Szenen herausgearbeitet
werden.

Die Sympathie des Verf.s für seinen Helden beruht
auf keinem Zufall. Auch im Verf. verbindet sich ein j
(überraschend weitgehender) Sinn für den kirchlichen
Standpunkt Langtons mit nationalenglischem Empfinden.
Göttingen.____E. Hirsch.

Stelzenberger, Dr. Johann: Die Mystik des Johannes
Gerson. Breslau: Müller & Seiffert 1928. (XV, 112 S.) 4°. =
Breslauer Studien z. histor. Theologie, Bd. 10. RM 5—.

Eine auf Anregung Grabmann's entstandne Münchener
Dissertation. Wie es sich von selbst versteht

der wissenschaftlichen Technik nach tadellose Schulung
verratend und für jeden, der über Gersons Theologie arbeiten
will, allein schon durch die bequeme Einweisung
in Quellen und Literatur ein wertvolles Hilfsmittel.

Der erste Hauptteil (S. 10—60) stellt die
Quellen von Gersons Mystik dar. Er ist so gearbeitet
, daß eine genaue Statistik der Zitierungen Gersons
Ausgangspunkt für den Verf. gebildet hat. Bibel, Kirchenväter
(Augustin, Gregor d. Gr., aber auch der
Areopagite erscheint unter dieser Rubrik), Scholastiker
(vor allem Bernhard, die Victorianer, Bonaventura, die
Nominalisten, Seuse, Ruysbrock) werden nach dem daraus
gewonnenen Material vorgeführt. Die Frage, die
den Verf. dabei bewegt, ist die Herkunft der Bilder, der
Termini, der Einteilungen. D. h. nicht Ganzes gegen
Ganzes wird gestellt; sondern die einzelne Beziehung
und Entlehnung festgestellt. Was auf diese Weise
nicht möglich geworden ist, ist 1. eine sichere Einschätzung
der verschiedenen Einflüsse (hier ergeben
sich nur Anhaltspunkte), und 2. ein Vergleich der
inneren Art der Mystik bei (ierson und seinen Vorgängern
. Dafür erhält man eine Stoffsammlung, die
(trotzdem daß die Frage der mittelbaren oder unmittelbaren
Entlehnung Gersons nicht überall sich hat klären
lassen) nicht nur für die Erforschung Gersons nützlich
ist. Ein Sachregister macht sie zudem bequem zugänglich
. Ich habe z. B., als ich der Geschichte einiger
Bilder aus der Theologia deutsch nachging, bei Stelzen-
beiger Nachrichten zusammengestellt gefunden, die mir
das Nachsuchen wesentlich abkürzten. Die wichtigste
Bereicherung der historischen Kenntnis ist, nach dem
Urteil des Verf.s selbst, die Erhellung der Beziehungen
Gersons zu Hugo von Balma (oder auch de Palma),
einem Mann, der vielleicht (die Identität ist noch nicht
bewiesen) 1313 eine Appelation der Pariser Lehrer an
den päpstlichen Stuhl mit unterzeichnet hat und dessen
mystische Schrift De triplici via am bequemsten in den
Opera Bonaventurae Rom 1596 Bd. VII zugänglich ist.
Einzelne Partien aus üerson's De mystica theologia
practica sind aus ihm übernommen, und der von Gerson
versuchte Ausgleich des affektualen und des intellektu-
alen Moments in der Mystik ist bei Balma so stark vorgebildet
, daß Gerson's Eigentümlichkeit nun noch um
einen Grad geringer scheint als bisher.

Der zweite Hauptteil (S. 61 — 101) behandelt
„Systematik und Inhalt der Mystik
Gersons". Er gibt im Wesentlichen eine Analyse von
De mystica theologia speculativa und practica wobei die
historischen Beziehungen soweit sie wesentlich sind,
noch einmal wiederkehren, nur diesmal dem Ziele der
systematischen Erfassung untergeordnet. Diese Analyse
ist geschickt und gewandt, ohne sich doch allzuviel
über den Bericht hinauszuheben. Gefreut hat mich, daß
er der pars VII und VIII der mystica theologia speculativa
, welche die ekstatische Liebe behandeln, soviel
Aufmerksamkeit widmet, und daß er diese Beschreibung
des Höhepunktes der Mystik für das Eigentümlichste und
Persönlichste in dieser Schrift Gersons hält. Das trifft
sich ganz mit meinem Urteile. Gewundert habe ich
mich, daß sich der Verf. so sehr auf die Analyse dieser
bestimmten Schrift beschränkt und gar nicht den Versuch
gemacht hat, Gersons Mystik in das Ganze seiner
Theologie und Frömmigkeit einzuordnen. Da er aber
folgerichtig bleibt und nun überhaupt ein bestimmtes
Gesamturteil, eine Charakteristik dieser Mystik im Verhältnisse
. zu den mancherlei Möglichkeiten mystischer
Frömmigkeit sonst nicht bietet, so ist dagegen nichts
einzuwenden. Er hat sich gewiß nicht das höchste Ziel
gesteckt, das sich ein Darsteller der Mystik Gersons
hätte stecken können; aber er hat an seinem Teile verläßliche
Arbeit geleistet, an der ich nur Kleinigkeiten
auszusetzen, zu der ich allerdings eine eigne Deutung
hinzuzufügen hätte.

Göttinnen. E. Hirsch.