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Ausgabe:

1929 Nr. 1

Spalte:

349-350

Autor/Hrsg.:

Meifort, Joachim

Titel/Untertitel:

Der Platonismus bei Clemens Alexandrinus 1929

Rezensent:

Koch, Hugo

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Seite 1

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34!»

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 15/16.

350

Meifort, Joachim: Der Piatonismus bei Clemens Alexandn-
nus. Tübingen: J. C. B. Mohr 1928. (III, 93 S.) gr. S". = Heidelberger
Abhdlgn. z. Philos. u. ihrer Gesch., 17. RM4.40; in Subskr. 4—.

Der alexandrinische Clemens wurde im Jahre 1748
von Papst Benedikt XIV. aus der Zahl der Heiligen gestrichen
, weil in seiner Gesamtanschauung neben dem
Piatonismus die christlich-kirchliche Lehre nicht genügend
gewahrt erschien. In der vorliegenden Untersuchung
'tritt Meifort umgekehrt von der philosophischen
Seite an ihn heran mit der Frage: Wie bleiben
hier die genuinen Motive der antiken Philosophie wirksam
?" Und er kommt zum Ergebnis, daß bei Clemens
nicht etwa ein christlich abgewandelter Piatonismus vorliegt
, sondern eine grundsätzlich neue Art des Denkens,
die"allerdings durch die religiöse Stimmung des Hellenismus
bereits angebahnt war und dort dann im Neupla-
tonismus ihren bezeichnendsten Ausdruck fand. Das
zeigt er in tiefgründigen und scharfsinnigen Darlegungen
an der Art und Weise, wie die Lehren von den
zwei Welten, von Leib und Seele, von menschlichem
Selbstgefühl und göttlicher Hilfe, von Gott, von der
„Angleichung an Gott", von der Offenbarung in der
Geschichte, von Wissen und Glauben bei Plato einerseits
und bei Clemens anderseits gefaßt sind. Bei Plato
ist die höhere Welt der vorprü, der Ideen, methodisches
Prinzip seiner Erkenntnislehre, bei Clemens Grundlage
einer religiösen Weltbetrachtung. In der platonischen
Sündenlehre ist der Grundtrieb philosophischer Erkenntnisdrang
, bei Clemens religiöses Erlösungsbedürfnis mit
dem Ziele der .,Erkenntnis Gottes". Den platonischen
Weisen erfüllt „das Pathos der Autarkie", den Christen
das Gefühl „schlechthinniger Abhängigkeit", und bei
Clemens finden sich beide Gedankenreihen unausgeglichen
nebeneinander, ohne daß er den grundlegenden
Gegensatz zwischen beiden Denkweisen in seiner ganzen
Schärfe empfunden hätte. Auch die „göttliche Fügung"
(freia fiolgn) bei Plato hat nicht den Sinn, den Clemens
darin findet, sondern stellt ein durchaus untergeordnetes
Motiv dar. Was den üottesbegriff betrifft, so
ist seine Christlichkeit bei Clemens in doppelter Hinsicht
„griechisch modifiziert": einmal in „intellektualistischer
Weise" durch Betonung der richtigen Einsicht und Bevorzugung
der yväoig iheov vor der otätrßUt aidviog,
sodann von der hellenistischen Mystik her durch den
Aufstieg zur Gottesschau. Bei Plato aber „erscheint das
Göttliche, die Idee des Guten, als höchstes Seins- und
Wertprinzip im Endpunkt seines dialektischen Aufstiegs;
einen religiösen Glauben im Sinne einer .irrationalen'
unmittelbaren Beziehung des Gläubigen zu Gott kennt
der Philosoph nicht". Piatons Dialektik ist nicht Theologie
. Ein Wesensmerkmal seines Gottesbegriffes ist
die Abstraktheit, und alle Aussagen über Gottes Wirken
liegen für Piaton jenseits des Wissensgebietes, sind also
als Mvthos zu werten und nicht als Wahrheit. Das gilt
namentlich auch vom platonischen Schöpfungsbericht
Tim. 28 c. Die bfiolwoig #e(p y.ard övvarbv (Theaet.
17bb.), auf die Clemens sich so gerne beruft und die in
der hellenistischen Zeit Ausdruck der religiösen ürund-
stimmung geworden ist, bedeutet bei Plato nicht eine
Vorstufe zur mvstischen Vereinigung des Menschen mit
der Gottheit, oder zur seligen Ruhe in Gott, sondern die
Aufgabe, weiterzustreben zum höchsten Ideal vollkommener
Vereinigung von Einsicht und Gerechtigkeit,
das ihm als sein Gott vorschwebt. Eine Offenbarung in
der Geschichte kennt Plato nicht und kann er nicht
kennen, weil sie notwendig in der Form der aio&yoig
geschehen müßte und damit nicht einen höheren, sondern
einen geringeren Gewißheitsgrad ergeben würde.
Ebenso ist eine Überordnung des Glaubens über das
Wissen mit Piatons Philosophie unvereinbar. „Die Stockwerke
im platonischen und christlichen Denken passen
der Höhenlage nach nicht ineinander".

So zerstört M. mit unbarmherziger Hand den schönen
Traum, den Clemens und nach ihm Origenes und
nach diesem die großen Kappadozier einst geträumt.

„Genuiner Piatonismus und Christentum sind hinsichtlich
des Grundprinzips ihrer Denkweise nicht innerlich
verwandt". Clemens konnte den Plato nicht brauchen,
wie er wirklich war, sondern er hat ihn christlich umgedeutet
, wie ihn auch der werdende Neuplatonismus nach
seiner eigenen Grundstimmung umdeutete. Daß dabei
der christliche Gedanke doch vielfach zu kurz kam, hat
auch M. beobachtet, und dies hätte da und dort noch
mehr betont werden dürfen. So spricht Clemens wohl

i von einem „Ziehen" (öÄ/.jj) des Vaters zum Vater, aber
diese göttliche Gnade besteht im Grunde doch bloß in

1 einer didaoy.aUa, und der Vater „zieht", den, der „rein"
lebt (S. 33 f.), während der Gott Christi gerade die

: Sünder ruft und sich der Sünder annimmt, woran bekanntlich
Celsus Anstoß genommen hat und ein echter
Grieche Anstoß nehmen mußte. So bekommt der arme
Clemens von den Theologen das Zeugnis eines guten
Platonikers, von philosophischer Seite das eines guten
Christen und Theologen, wie einmal einen Gymnasialdirektor
die Philologen für einen guten Mathematiker,
die Mathematiker für einen guten Philologen hielten.
Aber dem damaligen Christentum, das sich schon bei
den Apologeten eine intellektualistische Färbung hatte
gefallen lassen müssen, hat er doch durch die Anbahnung
eines Einklangs von Wissen und Glauben unschätzbare
Dienste geleistet.
München. Hugo Koch.

Frick, Ffr. Lic. theol. Robert: Die Geschichte des Reich-Gottes-
Gedankens in der alten Kirche bis zu Origenes und Augustin
. Gietten: A. Töpelmann 1928. (VIII, 155 S.) gr. 8°. =
Beihefte z. Zeitschr. f. d. neutestamentl. Wissensch., b. RM 8.50.

Hatte August Freiherr v. G a 11 in seiner ßaoileia
%ov ütov (Heidelberg 1926) „eine religionsgeschieht-

1 liehe Studie zur vorkirchlichen Eschatologie" vorgelegt,

I worin er die Hoffnung des nachexilischen Judentums
auf eine Königsherrschaft Gottes nach vorausgegange-

; nein Weltgericht aus parsistischen Einflüssen zu erklären
sucht, so zeichnet Frick die Entwicklung des
Reich-Gottes-Gedankens und damit der Eschatologie in
der alten Kirche bis Origenes im Osten und Augustin im

! Westen. Ausgehend von dem Reich-üottes-Begriff Jesu
nach den synoptischen Evangelien mit seiner Spannung

! zwischen Erwartung und Besitz, Leidenschaft und Ruhe,
Selbstentscheidung und Gottestat und seinem Gipfelpunkt
im Gottesbegriff, findet Fr. im übrigen N. T. ein

I Zurücktreten dieses Begriffes und eine Beschränkung auf

; die eschatologischen Vorstellungen, wobei aber der Inhalt
der Reichsbotschaft Jesu in neuen Formen, wie
diy.aioauvr/ ö>«oi) bei Paulus u. 'Ciorj bei Johannes, gewahrt
bleibt. Verrät sich schon in dieser Betonung des
Gottesbegriffs Jesu der Schüler Karl Holls, so bleibt

; er dieser Grundauffassung bei der Darstellung der wei-

; teren Entwicklung treu, indem er die Frage nach den
Auswirkungen der Predigt Jesu vom Gottesreiche ineins-
setzt mit der Frage nach der Entwicklung des Gottesgedankens
. Der Begriff des Gottesreiches bleibt von
Anfang an auf die Eschatologie beschränkt und da im
Gottesbegriff der Vatergedanke und der Gedanke der
schaffenden Persönlichkeit hinter der Überweltlichkeit
und Unnahbarkeit Gottes zurücktritt, so beschäftigt man

' sich mehr mit dem Lose des Einzelnen als mit der
Vollendung der Gottesherrschaft, an deren Stelle bei
den sog. apostolischen Vätern Begriffe wie Cwvalaivcog,

i d&avaOla, d(p&aQOia, also übernatürliche wesenhafte Beziehungen
zwischen Gott und Menschennatur, Mystik
und Moralismus treten. Bei den Apologeten fehlt das
„Reich Gottes", mit Ausnahme des für Juden bestimmten
Dialogs mit Tryphon, fast ganz. Die Gnosis hat

: als Ziel des Strebens das Aufgehen aller Einzelbildungen
in dem einen großen All-Leben und Urgrund

' des Seins vor Augen. Für Marcion ist das Reich Gottes

! „Christus ipse". Der Montanismus bezeichnet einen
Rückschritt in die Gesetzlichkeit, die er mit ekstatischer
Prophetie verbindet. Diesen Erscheinungen gegenüber