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Ausgabe:

1929 Nr. 1

Spalte:

347-348

Autor/Hrsg.:

Windisch, Hans

Titel/Untertitel:

Der Sinn der Bergpredigt 1929

Rezensent:

Büchsel, Friedrich

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347

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 15/16.

348

Verf. sich die Sache etwas zu leicht gemacht zu haben,
wenn er z. B. aus dem Richterbuche alle Stellen, die von
Jerubbaal handeln, unter Berufung auf das Vorkommen
dieses Namens in [. Sam. 12, 11 einfach der N-Quelle
zuweist. — II. Sam. 1, 1—16 macht durchaus den Eindruck
einer in sich geschlossenen Episode: David erfährt
Sauls Tod in einer entstellten Meldung. Es heißt doch
wohl zuviel herausgelesen, wenn Wiener vv. 6—10 und
vv. 13—16 im Hinblick auf I. Sam. 15 und 28, 17
streicht und urteilt: „In view of the hatred of Amalek
this ending is designed to poison Saul's memorv" (S.
17; vgl. dagegen etwa Kittels Erklärung). — Aufs
Ganze der Untersuchung gesehen, möchte ich mein Urteil
dahin zusammenfassen, daß man einmal die Anwendung
literaturgeschichtlicher Maßstäbe vermißt; erwünscht
wäre eine Untersuchung über Aufbau, Stil und
Gedankenwelt der einzelnen Schriftstellerpersönlichkeit
gewesen, wodurch die Analyse besser hätte unterbaut
werden können. Zum anderen ist besonders schmerzlich
die äußerst sparsame Heranziehung von einschlägiger
Spezialliteratur. Gerade weil Verf. vielfach von der
herrschenden Ansicht abweicht, sollte man eine eingehende
Auseinandersetzung etwa (um nur Einiges zu
erwähnen) mit Rost (Die Überlieferung von der Thronnachfolge
Davids 1926) und den Arbeiten von Wiese
(1926) und vor allem Eißfeldt (1925) über die Quellen
des Richterbuches unbedingt erwarten. So fehlt den
Ausführungen Wieners oft die nötige Überzeugungskraft
. Aber wenn der Beweis für die Hauptthese mir
auch nicht erbracht zu sein erscheint, soll gleichwohl
dankbar anerkannt werden, daß Wieners scharfsinnige
Untersuchung reich ist an guten Einzelbeobachtungen
und manche treffliche Textkorrektur bietet.

Berlin-Frohnau. Curt Kühl.

Windisch, Prof. D. Dr. Hans: Der Sinn der Bergpredigt.

Ein Beitrag zum Problem der richtigen Exegese. Leipzig: J. C.
Hinrichs 1Q29. (VIII, 176 S.) gr. 8°. ~ Untersuchungen z. N. T.,
H. 16. RM 9.60; geb. 12—.

Zwei Probleme verbindet W.: das der theologischen
(nicht der pneumatischen) Exegese und das der Bergpredigt
, ihres Sinnes und ihrer Geltung. An einem
Hauptstück der n.t. Überlieferung erörtert er das Hauptproblem
der exegetischen Methode. Zweifellos eine
glückliche Kombination.

Sein Verständnis der B. P. entwickelt W. in kritischer
Auseinandersetzung mit den tvpischen Auffassungen
derselben. Er bespricht J. Weiß, W. Herrmann
und als seine Nachfolger Hartmann, Dibelius, Bultmann,
dann Stange, Runestam, Kittel. Er stellt fest, die B. P. ist
als Ganzes eschatologisch orientierte Gerichts- und
Heilspredigt, aber zugleich radikalisierte Weisheitslehre.
Ihre Forderungen sind wörtlich zu nehmen und für
Jesus durchaus erfüllbar; auch ihre Radikalismen sind
folgerichtig und sachgemäß. Mit der paul. Erlösungslehre
läßt sich die B. P. nicht verbinden. Ihr Christus ist
Weltenrichter, Weisheitsverkfmder, aber nicht Erlöser
von Gesetz und Sünde (S. S—112).

Der theologischen Exegese gibt W. die Aufgabe,
den religiösen Gehalt des N. T.s herauszuarbeiten und
den Menschen der Gegenwart nahezubringen. Sie soll
von der historisch-wissenschaftlichen Exegese streng geschieden
bleiben und die Ergebnisse dieser respektieren
(S. 112—129). Als theologische Exegese der B. P.
gibt W. eine Ergänzung derselben aus einem Gotteskind-
schafts- und Vergebungsglauben, der an das Evangelium
Jesu angelehnt ist, aber zur Verkündigung des Paulus in
Gegensatz steht. In seiner Stellung zu den einzelnen
Forderungen der B. P. erklärt er, Herrmann und Dibelius
sehr nahe zu stehen (S. 155). Nur lehnt er es
ausdrücklich ab, das Gebot zu erfüllen, wie Jesus es
gemeint hat. Er versteht Jesus als den Mittler im Sinne
Schleiermachers und W. Herrmanns: als den Mann von
absoluter üottergriffenheit, der auch uns in die Nähe
Gottes versetzt (S. 129—172).

Der durch Barth geschaffenen Lage der n. t. Wissenschaft
steht W. also bei allem Eingehn auf sie kritisch
gegenüber. Den Abstand zwischen N. T. und
Gegenwart kehrt er immer wieder hervor. Er lehnt
nicht nur Paulus ab, sondern sagt auch von Jesus: Niemand
kann heute seinen Weg ganz gehen (S. 21). An
der Klarheit in dieser Beziehung liegt W. viel. Deshalb
nimmt er auch die Bergpredigt weithin nur historisch.
Deshalb trennt er auch historische und theologische
Exegese.

Gegen diese Trennung, aber schon gegen W.'s
Begriff „historische Exegese" erwachsen schwerwiegende
Bedenken. Eine historische Exegese, die nur der
Religionswissenschaft, aber nicht der "Theologie angehört
(S. 114), die die Religion nur als geschichtliche
Gegebenheit, nicht als persönlichen Besitz kennt, die
deshalb beständig abstrahieren muß von der Wirklichkeit
Gottes und der Gottbezogenheit des Menschen, kann
das N. T. nicht ausreichend erfassen. Denn der letzte
Sinn all dessen, was im N.T. gesagt ist, ist: den Leser
vor die genannten Wirklichkeiten in ihrer ganzen Furchtbarkeit
und Seligkeit zu stellen. Eine nachträgliche
„theologische" Beleuchtung nur religionswissenschaftlich
gewonnener Ergebnisse vermag die genannten Wirklichkeiten
nicht mehr voll zur Geltung zu bringen. Dadurch
daß auch in der theologischen Exegese grund-
leglich gemacht wird und bleibt die religionswissen-
schaftliche Exegese, die den Menschen nur in seiner
Bezogenheit auf sich selbst und seine geschichtliche
Welt, nicht in der auf Gott kennt, ist es der theologischen
Exegese unmöglich geworden, die Tiefe der Trennung
zwischen Gott und Mensch, des Absoluten des
Gegensatzes zwischen beiden, die völlige Unfähigkeit
des Menschen zur üottesgemeinschaft von sich aus zu
gelangen u. a. in. zu erfassen. Für die theologische Exegese
ist ja grundlegend eine Betrachtungsweise, die die
Religion ausschließlich als Erzeugnis des Menschen
und seines Geisteslebens betrachtet. Ich lasse offen, ob
Windisch diese Konsequenz aus seinen Prämissen will,
aber abgewehrt hat er sie nicht. M. E. ist sie unentrinnbar
. Seine theologische Exegese ist ein rein subjektiver
Ausgleich zwischen einer religionslosen und einer religiösen
Stellung zum N. T.

Dem entspricht W.s Erklärung der B. P. Soviel
Feines und Richtiges sie bringt, so treffend ihre Kritik
vielfach ist: die historische Exegese W.s erfaßt das Le-

' bendigste in ihr nicht, und ihre theologische Ergänzung
vermag es nicht nachträglich hinzuzufügen. W. zeigt

, nicht, daß die B. P. eine Auslegung des a. t. Gesetzes
ist, die den Rahmen der Gesetzlichkeit sprengt, weil sie
vollkommene Liebe nach Gottes Vorbild fordert. Den
Gesichtspunkt, daß ihre Forderungen nur in der Frei-

, heit, die zur vollkommenen Liebe gehört, verstanden und
befolgt werden können, erreicht die historische Exegese

| nicht; und die theologische kennt dje Freiheit nur als

! etwas, das W. von sich aus, als Emanzipation von den
Worten Jesu, diesen hinzufügt. Daß servitia libera der
entscheidende Gesichtspunkt der B. P. ist, läßt sich eben

j nur geschichtlich nicht erkennen, und wenn es
einmal im Ansatz der Erklärung nicht enthalten ist,
nicht nachträglich hinzufügen. Entsprechendes gilt für
die Frage nach der Erfüllbarkeit der B. P. Die von W.

; S. 75 f. gegebene Erklärung zu Mk. 10, 23—27 trifft den

| entscheidenden Punkt nicht, daß die Frage schließlich

I für alle Menschen, nicht nur die Reichen gestellt (v. 26:
rtg dvvarai aaw^r/vcn ;) und doppelt beantwortet wird : bei
den Menschen unmöglich, bei Gott möglich. D. h. j e d e
Errettung ist ein Wunder Gottes. Gewiß hat Jesus in
der B. P. keine Lehre von der natürlichen Unfähigkeit
des Menschen zum Guten vorgetragen (übrigens erst
recht nicht das Gegenteil). Aber hier, wo er einmal die

i Frage nach der Möglichkeit der Errettung des Men-

1 sehen beantwortet, sieht er sie für jeden n u r im Wunder
Gottes begründet. Der Jesus der Synoptiker steht

; hier unleugbar auf der Seite des Paulus.

| Rostock. F. B ü c h s e 1.