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Ausgabe:

1929 Nr. 1

Spalte:

343-345

Autor/Hrsg.:

Kaerst, Julius

Titel/Untertitel:

Geschichte des Hellenismus. Bd. I, 3. Aufl. u. Bd. II, 2. Aufl 1929

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 15/16.

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ist, das in dem nötigen Ausmaß von den nichtzionistischen
jüdischen Kreisen a fonds perdu zu erhalten notwendig
immer schwieriger werden muß.

Oöttingen. J. Hempel.

Kaerst, Julius: Geschichte des Hellenismus. Bd. I, 3. Aufl.
u. Bd. II, 2. Aufl. Leipzig: B. G. Teubner 1927 u. 1926. (XII, 580
u. XII, 409 S.) £T. S°. I: RM 24 -; geb. 26-; I

II: RM 18 ; geb. 20 .

Julius Kaersts „Geschichte des Hellenismus" ist j
das nicht mehr häufige Beispiel eines Werkes, dem die
Arbeit eines ganzen Gelehrtenlebens mit seltener Treue
gedient hat. Sein erster Band, dessen dritte Auflage hier
anzuzeigen ist, reicht bis in die Jugend des Verf.s zu- j
rück; der zweite entstammt der Mitte seines Lebens;
der dritte, dessen Erscheinen angekündigt wird, verspricht
nicht nur die Darstellung dieses Zeitalters, sondern
auch die Lebensarbeit seines Darstellers zu krönen. |
Es ist nicht ohne Wichtigkeit für die sachliche Beur-
teilung dieses Werkes zu wissen, wie sehr ihm durch
Jahrzehnte des Wandels der Forschung sein Verfasser |
unwandelbar verbunden geblieben ist. Es ist ihm wider- |
fahren, auf diesem Gange gescholten viel und viel gelobt
zu sein, und hat dennoch die Eigenart seiner Darstellung
in allen Verbesserungen treu bewahrt; und j
wenn die Summe aller persönlichen Forschung sich
immer wieder diesem einen Werk zuwandte, so sind damit
auch die ungeheuren Schwierigkeiten angedeutet,
mit denen seit Droysens großem Wurf jede Schilderung
dieser Periode zu kämpfen hat. Es ist denn
auch nicht zufällig, daß diese Geschichte des Hellenismus
in unserer Zeit bisher die einzige große Gesamt- j
darstellung geblieben ist.

Es ist bekannt, wodurch es sachlich J. Kaerst vor
allem möglich geworden ist, dieses Werk zu beginnen und j
durchzuführen; es ist die strenge Bestimmung des „Wesens
des Hellenismus". „Hellenismus" ist chronolo-
gisch und sachlich die Periode, in der „das Griechentum
sich in der Welt verbreitet". Der Prozeß dieser j
Hellenisierung der Oikumene hat also einen unaufheb-
baren Ausgangspunkt; es ist die klassische Welt der j
antiken Polis, der Verkörperung „des sittlichen Staatsgedankens
, die den griechischen Staat dauernd zu einer j
unvergeßlichen Erscheinung in der Geschichte menschlicher
Kulturentwicklung gemacht hat". Wie diese Po- |
Iis, „bedingt durch große, weltumgestaltende Ereignisse
", ihre nationale Grundlage preisgibt und zu einer j
Kultur der Oikumene sich entfaltet, das ist das wahre
Thema einer Geschichte des Hellenismus. Nicht also
sind in ihr die vorderorientalischen Völker und Elemente [
bestimmend; in den Zügen, die das Wesen dieses Helle- i
nismus und sein Zeitalter bezeichnen, um es mit den j
von Kaerst gelegentlich benutzten Schlagwörtern zu j
sagen, in seinem Individualismus, seinem Rationalismus
und Universalismus waltet klar genug das hellenische
Element vor. Der Ausgangspunkt der griechischen Polis 1
enthält aber noch ein zweites Motiv in sich: So sehr j
sich die Darstellung bemüht, mit dem „Wesen des Hellenismus
" auch die ganze Fülle seiner Erscheinungen zu
erfassen und zu einer Geschichte seiner Kultur im umfassenden
Sinne zu werden, so streng vermeidet sie es j
auch, in eine Geschichte der Ideen und geistigen Motive '
sich aufzulösen; diese Kulturgeschichte ist nur möglich
durch den Begriff und die Tatsache der griechischen
Polis. So bildet denn auch in aller Verbreiterung über
Kontinente der Staatsgedanke das feste Rückgrat der '
Schilderung, und eine Geschichte des Hellenismus ist
und bleibt politische oder Polis-Geschichte.

Durch diese Grundauffassung ist dem Werk ein
klarer Aufbau und eine übersichtliche Gliederung ge- ,
sichert. Aus dem Gedanken der hellenischen Polis, den
das erste „Buch" erörtert, aus der Tatsache des make-
donischen Königtumes, von dem das zweite erzählt, ent-
faltet sich zunächst die große Bildung des hellenistischen
Weltreiches unter Alexander dem Großen. In der

umfassenden Darstellung seines Werkes und seiner Gestalt
, die fast die Hälfte des ersten Bandes einnimmt,
gipfelt mit klarem Sinn die Schilderung dieser ersten
und größten Periode des „Hellenismus". Alle tragenden
Gedanken scheinen nur wie von seiner Gestalt abgelesen
. Sein Werk ist ein weltumspannendes Reich;
es befreit den hellenistischen Gedanken des „Universalismus
" zu geschichtlicher Wirklichkeit. Dieses Reich
besteht als der mächtigste Exponent hellenistischer Kultur
; es trägt ihren „Rationalismus" in die Weiten und
Tiefen des religiös gebundenen vorderorientalischen
Denkens. Sein Gründer ist von allein Zauber genialer
Einzigkeit umwittert; er verkörpert in göttlich verehrtem
Beispiel die Macht hellenistischen „Individualismus
". Und wie Werk und Gestalt Alexanders in aller
Vielfältigkeit der Betätigungen immer auf den Gedanken des
politischen Reiches bezogen sind, so bleibt in dieser
Darstellung des gesamten Hellenismus „der sittliche
Staatsgedanke" die Einheit, in der alle Mannigfaltigkeit
kultureller Erscheinungen sich zusammenfaßt.

Schildert der erste Band das Werden des Hellenismus
in seinem jähen Aufschwung zu sichtbarer politischer
Höhe, so trägt der zweite Band, der die Geschichte
etwa bis zur Wende des dritten Jahrhunderts
umfaßt, den ausdrücklichen Untertitel: Das Wesen des
Hellenismus; es ist sehr bezeichnend, aber durchaus folgerichtig
, daß in diesem dritten Jahrhundert, welches in
fremden Ländern die Macht hellenistischer Kultur wie
in voll entfalteter Blüte zeigt, dieses „Wesen" sich am
klarsten offenbart. Auch hier ruht die Darstellung auf
dem sicheren Grunde der politischen Geschichte, in der
die hellenistischen Diadochenreiche entstehen, und wird
durch eine Betrachtung des „hellenistischen Staates" abgeschlossen
; zwischen diesen beiden Abschnitten, die
Tatsache und Begriff der neuen Staatengebilde umreißen
, steht, über zwei Drittel des Bandes füllend, eine
Untersuchung des „Wesens" der hellenistischen Kultur.
In dieser eigentlichen Mitte des Werkes liegt der Nachdruck
auf der geistigen und religiösen Bildung, ihrer
inneren Gegensätzlichkeit und ihrem Drange nach Universalität
; von ihren sozialen und wirtschaftlichen Untergründen
ist nur in einer ganz knappen Skizze gesprochen
. In die geistige Freiheit und Allgemeinheit dieser
Bildung, die mit tiefem Recht als die lebendigste und
bedeutsamste, im strengen Sinne weltgeschichtliche d. h.
weltgestaltende und -erfüllende Macht des Hellenismus
in den Vordergrund gerückt ist, fügt sich auch „die
Religion der hellenistischen Frühzeit" ein, eine Religion,
die die fruchtbare Bindung an die Gemeinschaft der
Polis verloren hat und sie in der Weite der Welt, der
Höhe des Thrones und der Heimlichkeit des religiösen
Vereins von neuem sucht. Hier treten denn auch die
Religionen des vorderen Orients deutlicher in den Gesichtskreis
ein; sie sind vielleicht schärfer nach ihren
weit zurückliegenden Ursprüngen charakterisiert, als es
in der alles verschmelzenden Gegenwart dieses Jahrhunderts
möglich ist. Daß auch in ihnen ein analoger Prozeß
der Entfaltung zum Universalismus wirksam sein
soll wie in der „hellenistischen Religion", ist vollends
nicht unbedenklich und wird kaum dem tiefen In-sich-be-
harren dieser orientalischen Religionen, denen zudem
seit Jahrhunderten ein universaler Zug eigen ist, ganz
gerecht. Die Darstellung schließt mit einem Kapitel, in
dem J. Kaerst auf wenige Seiten seine Auffassung des
„allgemeinen geschichtlichen Charakters der hellenistischen
Kultur" zusammendrängt. In ihm finden sich
auch einige bedeutsame Hinweise auf „eine aus dem
orientalischen Boden aufsteigende Bewegung, die in wesentlichen
Beziehungen eine innere Wandlung der hellenistischen
Kultur bedingt". Es ist die „Orientalisierung
des Hellenischen"; sie fällt in die Jahrhunderte bis zur
römischen Kaiserzeit einschließlich, deren Darstellung
dem dritten Bande vorbehalten ist. Aber diese Hinweise
geben Anlaß zu einigen kurzen allgemeinen Bemerkungen
.