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Ausgabe:

1929 Nr. 1

Spalte:

16-17

Autor/Hrsg.:

Scheler, Max

Titel/Untertitel:

Die Formen des Wissens und der Bildung 1929

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 1.



Subjekts fordert, beruht es auf einem Mißverständnis,
Kant zu widerlegen, um sein eigenes Ergebnis zu
sichern. Die Annahme eines realen Substrats der Bewußtseinsinhalte
eines Einzelsubjektes ist nicht, wie der
Verf. meint, schon Metaphysik, sondern Sache der empirischen
Psychologie. Denn die so erschlossene Seelensubstanz
ist empirisch, genau so wie das aus seinen
Sinnenwirkungen erkennbare, wenn auch noch nicht direkter
sinnlicher Wahrnehmung zugängliche Atom.
Man kann dieses Resultat auch als erkenntnistheoretischer
Idealist vertreten, wenn auch der Verf. meint, es
nur aufrechterhalten zu können dadurch, daß er den erkenntnistheoretischen
Idealismus bekämpft. Erst mit der
Seele, die der Glaube in seinen Aussagen zum Gegenstand
hat, transzendiere ich alle empirische Erfahrung
und deshalb kann ich über ihr Wesen und Schicksal vom
Boden der Wissenschaft aus nichts ausmachen, auch
nicht einer Metaphysik, die sich auf Induktionsschlüssen
aus empirischem Material aufbaut.
Heidelberg. Robert W i n k I e r.

Newe, Dr. phil. Heinrich: Die religiöse Gotteserkenntnis und
ihr Verhältnis zur metaphysischen bei Max Scheler. Untersucht
unter besonderer Berücksichtigung der historischen wie inetho-
disch-erkenntnistheoretischen Grundlagen. Würz bürg: C. J. Becker
1928. (VIII, 154 S.) gr. 8°. = Abhandlungen z. Philos. u. Psycho!, d.
Religion, H. 16/17. RM 3.30.

Von den bereits erschienenen Darstellungen der Religionsphilosophie
Schelers von katholischer Seite (Gey-
ser, J.: Augustin und die phänomenologische Religionsphilosophie
der Gegenwart, 1923, Przywara, E.: Religionsbegründung
, 1923, Geyser, J.: Max Schelers Phänomenologie
der Religion, 1924, vergl. meine Besprechungen
in Th. Ltztg. 1924, 20, 1925, 2 und in
Philos. Monatshefte 1926, 3/4) konzentriert sich die
vorliegende, wie schon ihr Titel zum Ausdruck bringt,
noch mehr auf die Frage nach dem Verhältnis der religiösen
Gotteserkenntnis zur metaphysischen. Mit sachlichem
Recht, da Scheler selbst das Ganze der Religionsphilosophie
unter dem Gesichtswinkel dieser Frage angesehen
hat. Durch Aufdeckung ihrer historischen
Grundlagen und Entwicklung ihrer methodisch- erkenntnistheoretischen
Voraussetzungen ergänzt der Verf. zum
Teil seine Vorgänger.

Als Meinung Schelers wird richtig und mit anerkennenswerter
Klarheit herausgearbeitet: Die natürliche
religiöse Gotteserkenntnis vergewissert sich Gottes aufgrund
intentionalen Wertfühlens unmittelbar, unabhängig
von einem vermeintlichen metaphysischen Wissen
um Gott. Es gibt keine selbständige metaphysische
Gotteserkenntnis, die auf mittelbarem Wege von Weltgegebenheiten
aus auf Gott schließen könnte. Es kann
sie gar nicht geben, weil begriffliche Gotteserkenntnis,
in deren Form die metaphysische auftreten müßte, den
an Gott Interesse nehmenden Akten erst folgt. Sie ist
ohne Voraussetzung einer religiösen Anschauung nicht
möglich. Der religiöse Wertbereich ist nur zugänglich
durch das religiöse Erleben. Und deshalb ist es ausgeschlossen
, daß der Mensch, erst nachdem er auf dem
metaphysischen Wege Gott erkannt hat, in ein religiöses
Verhältnis zu dem erkannten Gott tritt. Der Verf. hat
mit Geyser gegen Przywara recht, wenn er Scheler mit
dieser natürlichen Gotteserkenntnis nicht nur das
Wesen (Sosein), sondern auch die Existenz Gottes (Dasein
) erfassen läßt. Zwischen Scheler und der Scholastik
gibt es dann nicht den Kompromiß, den Przywara
will, daß sich Scheler bloß phänomenologisch mit dem
Sinngehalt des religiösen Bewußtseinsaktes befasse, aber
daneben einer scholastischen Metaphysik der Religion
zu dem Erweis des logischen Rechtsgrundes des phänomenologisch
Erschauten Platz lasse. Der Verf. sieht
auch darin richtig, daß Scheler, trotzdem er auf der
einen Seite die Priorität der religiösen Gotteserkenntnis
vor der metaphysischen aufs schärfste vertritt, auf der
anderen Seite doch wieder der metaphysischen Intention
für die religiöse Gotteserkenntnis eine Bedeutung gewinnen
lasse, die die erste Behauptung gefährde. Auch
die Metaphysik kommt zu einer Erkenntnis der Formalattribute
Gottes, eine Näherbestimmung nach seinen
positiven Attributen ist abhängig von der metaphysischen
Natur- und Seelenerkenntnis. Am religiösen Gotterkennen
ist darnach auch ein rationales Moment mitbeteiligt
. Es ist derselbe Gott, der in der Religion und
in der Metaphysik intendiert wird. Also: — und das ist
hier offenbar die Tendenz, unter deren Einfluß der Verf.
die Darstellung gestaltet —- Man muß der Metaphysik
von vornherein mehr einräumen, als es Scheler tut.
So wendet sich denn auch hier der Verf. einer
„inneren Kritik" zu, die aber ihrer Bezeichnung zuwiderunter
dem Druck der im voraus gewissen Annahme
steht: Die natürliche Gotteserkenntnis ist keine
selbständige und unmittelbare Erkenntnisart, sondern
[ nur eine andere Form der metaphysischen. Es ist interessant
, wie der katholische Verf. zum Beleg hierfür die
Ergebnisse der religionspsychologischen Untersuchungen
j von Girgensohn heranzieht. „Gedanken gelten dann als
Gefühle, wenn der Bewußtseinsgrad ein geringer ist."
Damit wäre die emotional bedingte, metaphysikfreie, unmittelbare
Gotteserkenntnis ein undifferenziertes, logisch
ungeklärtes, gefühlsbcstimmtes Denken, das sich vom
diskursiven, klar bewußten der Metaphysik nur gra-
: duell unterscheidet. Damit ist die Bahn frei für die
j katholische Auffassung, daß man Religion nicht besitzen
j kann, ohne vorher eine metaphysische Gotteserkenntnis
I vollzogen zu haben. Religion besteht in der emotio-
I nalen und voluntativen Bezogenheit des Menschen auf
1 das erkannte Göttliche.

Es ginge über die Aufgabe einer Besprechung der
vorliegenden Schrift hinaus, demgegenüber die Berechtigung
der entgegengesetzten evangelischen Auffassung
zu vertreten, die bewußt auf eine metaphysische Fundierung
der Religion verzichtet, weil für sie die Frage nach
einem „logischen Rechtsgrund" des religiösen Wahr-
heitsanspruchs letztlich absurd ist. Aber darauf muß,
hingewiesen werden, daß die Spannung in der Scheler-
schen Bestimmung des Verhältnisses von religiösem und
metaphysischen Gotterkennen (1. Unabhängigkeit des
religiösen vom metaphysischen Gotterkennen, 2. teilweise
Abhängigkeit von ihm), der Gesamtintention seines
Schaffens viel entsprechender, nicht, wie der Verf.
will, zugunsten der zweiten, sondern zugunsten der
ersten These gelöst werden muß. Daß es bei Scheler
nicht dazu gekommen ist, liegt wohl daran, daß er seine
natürlich-religiöse Gotteserkenntnis zwischen die übernatürliche
der Offenbarung und die metaphysische ge-
I stellt und sie nicht, wie ihm sein Gedankengang des
öfteren nahelegte (der Verf. kommt S. 98 u. S. 114 auf
solche Stellen zu sprechen) mit der übernatürlichen
gegen die metaphysische zu einer Einheit zusammen-
j nahm. Dann wäre er gegen die katholische Auffassung
! absolut im Recht. So aber bleibt das Schwanken, das
zu der Kritik, wie sie auch der Verf. übt, den Anlaß gibt.
Heidelberg. Robert Winkler.

Scheler, Max: Die Formen des Wissens und der Bildung.

Bonn : F. Cohen 1926. (48 S.) gr. 8". RM 2.50.

Die kleine Schrift ist der Versuch Schelers, von
seiner Phänomenologie aus dem Problem der Pädagogik
nahe zu treten. Dabei muß allerdings im Auge behalten
werden, daß der Gottesgedanke Schelers hier eine starke
j Wendung erfährt. Gott erscheint als das die Spannun-
j gen von Geist und Drang, von Wesen und Dasein, von
Geist und Macht umfassende Prinzip, das in der Weltgeschichte
die Entspannung dieses Gegensatzes erstrebt,
bis am Ende der geistig-persönliche Gott steht. „Der
allweise, allgütige und allmächtige Gott des Theismus
steht uns am Ende des göttlichen Werdeprozesses —
nicht am Anfang des Weltprozesses; er bedeutet ein
ideales Ziel, das nur in dem Maße erreicht wird, als
die Welt (die uns werdender Organismus, nicht Mechanismus
ist) der vollkommene Leib Gottes wird."