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Ausgabe:

1929 Nr. 14

Spalte:

328

Autor/Hrsg.:

Grotefend, H.

Titel/Untertitel:

Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. 6. Aufl 1929

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 14.

328

Vizepapst erscheinen zu lassen. Die ungemein weite
Verbreitung, welche die beiden Fälschungen durch die
Areopagitica erlangt haben, haben auch diesen Gedanken
weite Verbreitung verschafft. Es ist sehr lehrreich an
der Hand der Untersuchungen von B. diese Verbreitung
kennen zu lernen, wie überhaupt die Fülle des Stoffes,
die B. herbeizieht und mit seinen Gedanken in Zusammenhang
bringt, höchst anerkennenswert ist und weitere
Forschungen anregen wird. Auf diese weiteren Forschungen
muß gewartet werden. Mir scheint, daß die
Resultate B.s sehr anfechtbar sind. Es ist gewiß richtig,
daß wir dank der neueren Forschung manches in den
kirchlichen Gestaltungen und kirchenpolitischen Plänen
jetzt für möglich zu halten gelernt haben, was wir
früher für unmöglich gehalten haben, aber daß wir jetzt
richtiger sehen, muß eben bewiesen werden. B.s Untersuchungen
dienen gewiß dazu, zu diesem Beweise anzuregen
.

Kiel. O. Ficker.

Glunz, Dr. Hans: Die lateinische Vorlage der westsächsischen
Evangelienversion. Leipzig: B. Tauchnitz 1928. (104
S.) gr. 8°. = Beiträge z. engl. Philologie, 9. RM 6 - .

Die Versuche, die Vorlage der westsächsischen
Evangelienversion festzustellen, haben noch zu keinem
anerkannten Ergebnis geführt, da es nicht genügt, den
entsprechenden lateinischen Text in anderen Handschriften
nachzuweisen. Der Verfasser versucht es nun auf
andere Weise, seinem Ziele nahe zu kommen, indem er
die Lesarten der westsächsischen Version in die Geschichte
der Vulgata hineinstellt und so aus der Geschichte
der Vulgata zu verstehen sucht. So wird seine
Arbeit zu einem meinem Verständnis nach sehr beachtenswerten
Beitrag zur Geschichte der Vulgata in der
Zeit von ca. 900 bis ca. 1200, über die wir noch verhältnismäßig
wenig wissen. Die Grundzüge der Geschichte
der Vulgata zeichnet er uns nach den Arbeiten
von S. Berger, Wordsworth und White und Chapman
und verwendet auch das große Werk von v. Soden
über die Schriften des Neuen Testaments. Und so
kommt er zu dem Resultate, daß die Vorlage ihre Entstehung
der Zeit von 880—900 verdankt, der dann die
Übersetzung ca. 1000 gefolgt ist. Der Text der Vorlage
ist im Wesentlichen noch in einem 350 Jahre jüngeren
Werke erhalten, dem Codex W, dem Codex des William
of Haies im British Museum. Er zeigt sehr deutlich
Alkuins Rezension des Evangelientextes, die als die
beste Form der Vulgata eine ungeheure Verbreitung
gefunden hat, in Verbindung mit einem irisch-angelsächsischen
Mischtext. Das wird sehr sorgfältig an der
Hand der schon veröffentlichten Handschriften gezeigt.
Meinem Urteil nach hat der Herr Verf. eine große
Fülle von Material beigebracht, um zu seinem Resultate
zu kommen; das Material kann selbstverständlich von
mir nicht in allen Einzelheiten geprüft werden; es muß
den neutestamentlichen Exegeten überlassen bleiben,
nachzuprüfen, in wie weit es Stich hält. Hier genüge es,
auf die Arbeit hinzuweisen und zu zeigen, wie viel doch
überall noch für den Theologen und den Historiker
zu tun ist. — Die Literatur ist sehr reichlich und gut angegeben
und verwendet. Merkwürdigerweise finde ich
die neueren Arbeiten von H. Quentin über die Geschichte
der Vulgata nicht erwähnt und berücksichtigt.
Kiel. G. Ficker.

Schröfl, Stud.-Prof. Aloys: Der Urdichter des Liedes von der
Nibelunge Nöt und die Lösung der Nibelungen-Frage.

München (Widenmayrstr. 52): Selbstverlag d. Verf. 1927. (352 S.)
gr. 8°.

Diese Untersuchungen bringen den bekannten Bischof
des 10. Jahrhunderts Piligrim von Passau mit
dem Nibelungenlied und der Klage in Verbindung, ja
sie stellen die sensationelle These auf, daß Piligrim der
Dichter des Nibelungenliedes und der Klage gewesen
sei; im Interesse der Christianisierung der Ungarn sei

die Dichtung verfaßt worden. Ebenfalls für die Ungarn
berechnet seien die Fälschungen, die auf Piligrim zurückgeführt
werden, die natürlich nicht für Rom bestimmt
gewesen sein können, weil dort jeder die Fälschung
sofort durchschaut haben würde. Die Fälschungen
leugnet der Verf. nicht, aber sie sind nur Zeugnisse

j für die diplomatische und staatsmännische Gewandtheit
Piligrims und für seine Zielstrebigkeit, die ihm im

I Interesse der Ausbreitung des Christentums eigen war,
und darum verlieren auch die Fälschungen alles Anstößige
. Der Versuch, die Zeit Piligrims zu erhellen
und die große geschichtliche Bedeutung des 10. Jahrhunderts
darzulegen, ist das Anziehende an diesen
Untersuchungen, die gewiß anregend wirken werden.
Vielleicht haben sie das Verdienst, die Frage nach der
Christianisierung der Ungarn wieder einmal aufnehmen

, zu lassen.

Kiel. G. Ficker.

Grotefend, Geh. Archivrat Dr. H.: Taschenbuch der Zeitrechnung
des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Entworfen
von G. 6. Aufl. Hannover: Hahn 192S. (IV, 216 S.) 8°.

geb. RM 8.60.

Im allgemeinen ist das Taschenbuch unverändert geblieben. Ich
habe mit der 4. Aufl. (1915) verglichen. Es deckt sich ziemlich Seite
mit Seite. Im einzelnen aber hat eine sehr genaue und sorgfältige
Durcharbeitung des Tagekalenders S. 30 -110 stattgefunden. Auf S.
102 3 habe ich im ganzen 22 Kleinänderungen, meist Hiuzufügungen
und Verbesserungen, nur eine Streichung, gezählt. Das Buch hat also
an Gehalt und Brauchbarkeit innerhalb des festgehaltenen Gesamtrahmens
gegenüber der vierten Auflage noch gewonnen.

Göttingen. E. Hirsch.

Waldburger, Pfr. A.: Zwingiis Reise nach Marburg zum
j Gespräch mit Luther 1529. Wiederholt und nach den Quellen erzählt
. Mit 35 Bildern im Text, 5 Taf., 5 Ktn. u. c. Wappenscheibe
in Vierfarbendruck. Görlitz (Schles.): Hutten-Verlag - Zürich: Beer 8t
I Co. 1929. (VIII, 75 S.) 4". RM 4-.

Der Versuch W.s, den Weg Zwingiis noch einmal
! zu gehen und ihm in allen Einzelheiten nachzuspüren,
| hat zu einem schönen Erfolge geführt. Wir erhalten
eine lebendige Reisebeschreibung, die im Leser unmittelbares
Nacherleben von Ort und Geschehen wachzurufen
vermag, das durch Kartenskizzen von F. Aeberle und
' Federzeichnungen von H. Ahegg gut unterstützt wird.
Durch das Studium der Orts- und Territorialgeschichte
konnten die einzelnen Wegstrecken und die Rastplätze
wahrscheinlich gemacht werden, sofern sie durch die
Überlieferung gar nicht oder ungenügend gesichert
waren. Wir erfahren vieles über die politische Bedeutung
der besuchten Orte. Sehr nett ist die Aufklärung
! des Namens von St. Goarshausen als „Husen by
Sandgwehr", das Hausen bei der Sandbank im Rheine,
i Sehr scharfsinnig ist die Aufdeckung der Herberge der
Augustiner-Eremiten in Niederbrechen, an die bisher
noch niemand gedacht hatte. In bunter Abwechslung
— manchmal fast etwas zu bunt, so daß die zentralen
: Gedanken, an verschiedenen Punkten nur angedeutet,
■ eher verwischt werden — werden persönliche Dinge der
Reisenden, die politischen Verhältnisse in der Schweiz
und im Reiche und die theologische Hauptfrage vorgeführt
, geschickt aus Briefstellen und Zitaten aus Schriften
der Beteiligten Gespräche rekonstruiert.

Im Ganzen wird gut die politische Notwendigkeit einer Vereinigung
aller Protestanten dargetan, vor allem auf die Bedrohung durch Oesterreich
aufmerksam gemacht. Dabei wäre doch sehr dankbar gewesen,
i diesen ganzen Komplex bei der Schilderung des Aufenthaltes in Strali-
j bürg abzurollen. Aus Zwingiis Brief Nr. 921, der leider gerade in diesem
Zusammenhang zu wenig herangezogen wird, geht doch hervor,
i welch enorme Bedeutung Straßburg für Zwingiis politisches Denken hatte;
hier wurde er in ein zentrales Nachrichten-Bureau eingeführt und recht
eigentlich erst in alle Fäden der europäischen Politik eingeweiht, jedenfalls
durch Sturm, den er als alten Bekannten von Kappel her begrüßte.
Hier liegen ja auch die Keime der antihabsburgischen Koalition, der
I Plan einer Verbindung mit Venedig. Daraus hätte sich eine sehr wir-
! kungsvolle Scene gestalten lassen. So hätte auch bei der bewußt
i ganz kurzen Aufzählung der Vorgänge in Marburg die Erwähnung der
I politischen Besprechungen, die vor der Ankunft der Lutheraner statt-