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Ausgabe:

1929

Spalte:

308-311

Autor/Hrsg.:

Ritschl, Otto

Titel/Untertitel:

Theologische Briefe an Martin Rade 1929

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologische Literaturzeilung 1929 Nr. 13.

308

Kirchliches Handbuch für das katholische Deutschland. Begründet
v. Hermann A. Krose. In Verbinde, m. Heinrich Auer,
Wilhelm B ö h 1 e r , Nikolaus H i 11 i n g u. a. hrsg. v. d. amtl. Zentralstelle
f. kirchl. Statistik d. kathol. Deutschlands Köln. 15. Bd.:
1927- 192S. Freiburg i. Br.: Herder & Co. 1928. (XX, 422 S. m.
e. Anh.) gr. 8°. Lwd. RM 12-.

Dieses rühmlich bekannte Buch ist das, was es
sein will: ein Orientierungswerk über das derzeitige
religiös-kulturelle und kirchliche Leben der deutschen
Katholiken, auf Grund amtlichen Materials, ohne Polemik
. Für wissenschaftliche Beschäftigung mit dem deutschen
Katholizismus der Gegenwart ist es unentbehrlich.
Auch in diesem Jahrgang gibt der Kanonist Hilling eine
beachtliche Auslese aus der kirchenrechtlichen Gesetzgebung
und Rechtsprechung. So weist er hin auf die
Warnung vor der Teilnahme an der hochkirchlichen Bewegung
und auf das Verbot, daß Katholiken sich an
akatholischen Kongressen zur Vereinigung der Kirchen
beteiligen. — Nach der Berechnung von Väth S. J.
steht unter deutscher Missionsleitung ein Gebiet von
rund 7 Millionen qkm Umfang, das bei einer Gesamtbevölkerung
von 88 Millionen 971 932 Katholiken zählt,
von denen aber nur 420 000 Katholiken das Ergebnis
der neueren Missionsarbeit sind (S. 83). Interessant ist
auch die erneute Feststellung, daß die deutsche Mission
viele im Kriege verlorene aussichtsreiche Gebiete nicht
zurückerhalten hat und ihr dafür unentwickelte und
schwierige überwiesen worden sind. Für die Beurteilung
des Anteils des deutschen Katholizismus an der kath.
Heidenmission ist die internationale Zusammensetzung
des Personals der einzelnen Gesellschaften von Wichtigkeit
, nach Väth ist die Zahl der Deutschen in ausländischen
Genossenschaften weit größer als die der Ausländer
in deutschen (S. 84). — Der Abschnitt „Konfession
und Unterrichtswesen" von Böhler führt in die
jetzt aktuellen Schulfragen ein. — Raumschwierigkeiten
haben bei der Behandlung des unermeßlichen Stoffes,
der in der karitativen und sozialen Tätigkeit der Katholiken
vorliegt, zu Beschränkungen geführt. Aber dafür
wird hier zum ersten Male über das katholische Auslanddeutschtum
ein Bericht erstattet, der auf besonderes
Interesse rechnen kann, weil das einschlägige Material
schwer erreichbar ist. — Als „Kernstück des Handbuches
bringt der Begründer und erste Herausgeber des Handbuches
in der VII. Abteilung die gesamte deutsche Konfessionsstatistik
in der vollen Auswertung der derzeitigen
Ergebnisse der Konfessionszählung vom 16. Juni
1925" (Vorwort VII). — Die Statistik der Orden und
Kongregationen im Deutschen Reich ergibt folgendes
Bild: Es gab im Jahre 1927 578 Niederlassungen männlicher
Ordensgenossenschaften (1926: 559) mit 11042
Ordensmitgliedern (1926: 10 458) neben 6670 Niederlassungen
weiblicher Ordensgenossenschaften (1926:
6619) mit 72 941 Ordensschwestern (1926: 73 880) und
6449 Novizinnen (1926: 6069). — Die kirchliche Statistik
für 1926 stellt fest, daß 7583 Übertritte zur katholischen
Kirche stattfanden neben 43 316 Austritten, bei
3204 Rücktritten zur katholischen Kirche. — Aus der
Statistik der kirchlichen Handlungen sei wenigstens hervorgehoben
, daß 1926 im Deutschen Reich mit dem
Saargebiet 12 332 456 Katholiken (Gesamtzahl in
Deutschland: 20 758 125) die Osterbeichte abgelegt
haben (S. 421).
Göttingen. Carl Mirbt.

Lutgert, Wilhelm: Reich Gottes und Weltgeschichte. Vorträge
. Gütersloh: C. Bertelsmann 1928. (VIII, 252 S.) gr. 8°.

RM 8—; geb. 10—.

Der Verfasser verbindet in dieser Festgabe, die er der sächsischen
Missionskonferenz in Halle zu ihrer 50. Tagung gewidmet hat, eine
stattliche Reihe Vorträge älteren und jüngeren Datums unter dem
Gesamtthema: Reich Gottes und Weltgeschichte. Die Idee einer
christlichen Philosophie der Geschichte, die den Autor auch in seinen
Untersuchungen über die Religion des deutschen Idealismus bewegt hat,
soll in diesen Aufsätzen von verschiedenen konkreten Einzelproblemen
aus beleuchtet werden. Voran stehen Abhandlungen über die Mission:
Mission und Geschichtsphilosophie, Mission und Nation, das reformatorische
Evangelium und die Mission, Mission und Propaganda;
Mission und Reich Gottes. Eine zweite Gruppe fragt nach dem Sinn
| der Geschichte von neutestamentlichen Fragen und von zeitgeschicht-
: liehen Problemen her: Jesus als Jude, der Antichrist, das Wesen der
I Mystik, der Monismus als Religion, Optimismus und Pessimismus.
I Eine dritte Reihe schlägt die vielverhandelten Themata an: Ethik der
; Ehe und die sexuelle Pädagogik. Ihnen folgen historisch-systematische
Darlegungen und Vorarbeiten zur Religion des deutschen Idealismus:
Gesetz und Freiheit, die deutsche Reformation und Deutschlands
| Gegenwart; die Wirkung des Krieges auf Religion und Wcltanschau-
i ung; der christliche Sozialismus im 19. Jahrh.

Die Fülle der behandelten Themata läßt mich von einer Darstellung
ihres Inhaltes und einer Kritik im Einzelnen absehen. Ein
doppeltes aber mochte ich positiv hervorheben. In der Sammlung re-
j flektiert sich das Forschen und Fragen eines theologischen Lehrers
über fast zwei Jahrzehnte hin, die durch einen gewaltigen Bruch der
Geschichte gekennzeichnet sind. Die Vorträge werden so von selbst
ein höchst anregender Beitrag zur Theologiegeschichle. Damit verbindet
sich grade für den, der über manches Problem historisch und
systematisch anders denkt und grundsätzlich die mystische Frömmigkeit
nicht als Korrelat des geschichtlichen Christentums anzuerkennen
vermag, abgesehen von einer oft bestechenden Gabe der Formulierung
die zweite erfreuliche Tatsache, wie der systematische Theologe seinen
Dienst nicht neben die konkreten Fragen der Kirche, sondern in sie
hineinstellt und fragend, forschend, behauptend und widersprechend
diese Fragen auf das eine Thema: Reich Gottes sammelt.

Berlin-Friedenau. Th. Heckel.

| Ritsch 1, Otto Theologische Briefe an Martin Rade. Mit e.

Anhang: Die evangelischen Bekenntnisschriften und ihr kirchlicher
Gegenwartswert. Gotha: I.. Klotz 1928. (YTII, 112 S.) 8°. —
Bücherei d. Christlichen Welt. RM 3.60.

Veranlaßt sind diese 48 Briefe, deren 33 erste in
[ der Christlichen Welt erschienen, durch Rades Glau-
I benslehre. R. gibt hier aber nicht eine fortlaufende
Auseinandersetzung mit Rades Gedanken, benutzt vielmehr
die Gelegenheit der Aussprache mit Rade, um zu
„einigen der zur Zeit brennendsten Fragen" Stellung
zu nehmen.

Zuerst, was Ziel und Aufgabe der dogmatischen
I Arbeit ist und wie sie sich demgemäß zu gestalten hat.
I Da ist es gewiß durchaus zeitgemäß, wenn R. gegen
einen prophetischen Betrieb der dogmatischen Arbeit
(wobei sich die Grenze zwischen ihr und der Glauben
i weckenden Verkündigung verwischt) ihr die der Verkün-
j digung rep. denen, welche in der Kirche den amtlichen
' Beruf der Verkündigung haben, dienende besondere
Aufgabe zuweist, „in einer nüchternen, kaltblütigen,
sachlichen und scharfen Entwicklung der die religiöse
Gedankenwelt des Christentums tragenden und regeln-
' den Ideen und Begriffe und in deren umsichtiger, im
Wesentlichen möglichst vollständiger und innerlich zusammenhängender
Zusammenfassung" zu klärender
Durchdenkung und kritisch sichtender Durcharbeitung
| des geistigen Erbes der kirchlichen Vergangenheit An-
I regung und Wegweisung zu geben. Von da aus ergibt
I sich ihr wesentlich lehrhafter Charakter, wie auch die
Forderung, „daß jede Dogmatik, die für voll genommen
! werden soll, in der Gestalt eines Systems darzubieten
I ist" (26). Es ist aber vielleicht derselbe Gegensatz
I gegen eine prophetisch auftretende Dogmatik, der ein
bestimmendes Moment dogmatischer Gedankenarbeit bei
R. nicht genügend zu seinem Recht kommen läßt. R.
wendet sich sehr bestimmt gegen Rades Satz, der Glau-
; benslehrer habe sein Evangeliumsverständnis zu bieten
mit dem Anspruch, das sei nun das der Gemeinde.
I Sofern Rade das dahin versteht, daß er in seiner Glaubenslehre
, was heute in der evangelischen Christenheit
als Glaubenslehre lebt und gilt, zur Aussprache zu
bringen versucht und — so ist seine Zuversicht — es
auch zur Aussprache gebracht habe, hat R. ihm gegenüber
gewiß Recht, wenn er darauf hinweist, daß Rade
sich mit dieser Zuversicht täuscht; die dabei vorausgesetzte
irgendwie unmittelbar vorhandene und für jedermann
widerspruchslos darstellbare Einheit des Evangeliumsverständnisses
ist sicher eine „begriffsrealistische
j Fiktion" (16). Lösen wir aber, was Rade über jenen
Anspruch einer Glaubenslehre sagt, aus der Verbindung