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Ausgabe:

1929

Spalte:

7-8

Autor/Hrsg.:

Léon, Achille

Titel/Untertitel:

Saint François d‘Assise et son oeuvre 1929

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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tur hat er richtig erkannt, wie ihren amoralischen
Charakter, der sie diesseits von gut und böse stellt.
Die Dezentralisation der Zivilisation und der Güterordnung
ist wesentliches Element des christlichen Gemeinschaftslebens
. Die gewaltige Lebenskraft des Christenrums
in seiner Synthese von Kultur und Zivilisation
tritt im Gegensatz zur Antike am hellsten zu Tage in
der Würdigung der Arbeit, insbesondere der körperlichen
. Diese ist nicht Folge des Sündenfalls, sondern
ihre Bedeutung liegt in der sittlichen Freiheit. Mit der
Majestät Gottes trug Augustin in das soziale Leben ein
neues Glaubenselement, ohne das kein Staat sich behaupten
kann. Die Vorstellung der Alten, daß der
Mensch selbst Schöpfer seines höchsten Gutes sei, weist
er als superbia und Wurzel alles Übels mit Entschiedenheit
ab. Ihr steht die christliche humilitas gegenüber, die
aber den Menschenwert nicht herabsetzt, sondern erhöht
durch die Aufnahme überirdischer und daher unbegrenzter
Kräfte. Auf der Synthese des göttlichen Kulturprinzips
und der irdischen Funktion der Zivilisation
beruht Augustins Ethik. Er ist der Schöpfer jenes
Faustischen Menschen, der nach äußerer Hilfe überirdischer
Mächte suchend der Glückseligkeit in dieser oder
einer andern Welt nachstrebt.

Dies sind, zumeist mit den eigenen Worten des
Verf. wiedergegeben, die leitenden Gedanken dieser ge-
haltvollen Abhandlung. Sie ist belehrend und anregend
auch da, wo Zweifel an der Richtigkeit der Fassung
auftauchen oder anderslautende Stellen entgegengehalten
werden könnten. Augustins Gedankenwelt ist nicht ein-
heitlich, und er beurteilt nicht selten dieselbe Sache verschieden
je nach der Seite, von der er an sie herantritt.

Daß das Christentum „sich von seinem ersten Anbeginn in das
Gewand des Staates kleidete" (S. 113), bedarf doch der Einschränkung
. Das Urchristentum mit seiner „pneumatischen Anarchie",
wie man jenen Zustand schon bezeichnet hat, und seiner gespannten
Enderwartung, von der v. S. selbst wiederholt spricht, hat sicher noch
kein Staatsgewand getragen. Erst seitdem es Kirche, katholische
Kirche wurde, griff es nach dieser Hülle, und je mehr die Ender- i
Wartung an Spannung nachließ, desto größerer Wert wurde auf dieses
Gewand gelegt und desto näher kamen sich innerlich Staat und Kirche. |
Bei der Stellung Augustins zur Eschatologie (S. 117 A. 1) hätte auf |
den Einfluß des von ihm geschätzten Ticonius verwiesen werden !
dürfen. Ebenso wäre bei der Aufgabe, die Augustin dem Staate hinsichtlich
der wahren Gottesverehrung zuweist (S. 129ff.), ein Hinweis
darauf am Platze gewesen, daß die christlichen Theologen wie |
Tertullian vor Tisch, d. h. vor dem konstantinischen Umschwung,
anders lehrten und die Religion für Privatsache erklärten, die dm
Staat überhaupt nichts angehe. Die Brücke von der Auffassung Augustins
zur mittelalterlichen Gestaltung der Dinge liegt eben darin,
daß „den Befehl Gottes die Kirche mitteilt" (S. 130, A. 4).

München. Hugo Koch.

Leon, R. P. Achille. O. F. M.: Saint Francois d'Assise et son

Oeuvre. Histoire de TOrdre des Freres - Mineurs des origines ä
nos jours. Paris: P. l.ethielleux 1928. (391 S.) 8°. = Bibliotheque
d'etudes franciscaines.

Der Haupttitel kann leicht irre führen; der Untertitel
gibt das Richtige. Es handelt sich um eine Ge^
schichte der Franziskaner von Beginn des Ordens an
und derer, die seit Leos X. Eingreifen in die Geschichte
des Ordens 1517 als der Hauptzweig, besser gesagt als
der eigentliche Träger der franziskanischen Gedanken
angesehen worden sind. Der 2. und 3. Orden, die Kon-
ventualen seit 1517, die Kapuziner seit 1525 werden
nicht berücksichtigt, oder doch nur so weit, so weit sie
mit jenem Hauptzweig in Verbindung gestanden haben.
Der Verf. will auch nicht eine vollständige Geschichte
der so verstandenen Franziskaner geben, sondern mehr
Gesamtüberblicke, um das französische Publikum in das
Verständnis des Ordens einzuführen. Die Haltung des
Buches ist durchaus französisch, der Patriotismus, der
an den Franziskanern gerühmt wird, ist durchaus ein
französischer Patriotismus. Ich kann auch nicht finden,
daß der Verf. Recht hat, wenn er sagt, er gebe nur Gesamtüberblicke
; denn er bringt eine solche Fülle von
Einzelheiten, er nennt so viele Namen, daß mitunter der

Überblick über das Große Ganze verloren zu gehen
scheint. Was die Franziskaner alles geleistet haben auf
dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst, der Predigt,
der Menschenliebe, und besonders ausführlich und eingehend
, auf dem Gebiete der Missionen wird mit beredten
Worten zur Darstellung gebracht, und so bietet
das Buch ein lebendiges Zeugnis für das, was die Opferwilligkeit
im Namen des Stifters alles fertig gebracht
hat. Man wird auch gern die Abschnitte über Organisation
und Verfassung des Ordens lesen und sich über
den Geist der katholischen Frömmigkeit, wie er jetzt im
Orden lebt, belehren lassen. Insofern ist das Buch nützlich
und lehrreich. Die scharf antiprotestantische Haltung
muß man allerdings mit in Kauf nehmen. Eine andere
Frage freilich ist, ob die Entwickelung, wie sie der
Orden genommen hat und wie sie hier dargelegt wird,
in jeder Beziehung dem Sinne des Stifters entspricht.
Und da machen sich erhebliche Zweifel bemerkbar.
Wenn man die Ausführungen des Verfassers vergleicht
mit den Worten des Testaments des hl. Franz, so wird
man finden, daß der Verf. zu schnell das Testament im
Sinne der Kurie gedeutet und darum jedenfalls kein zuverlässiges
Bild der wirklichen Geschichte des Ordens
gegeben hat. Aber für die Kenntnis des Geistes, wie er
jetzt im Orden herrscht und als echt franziskanisch angesehen
wird, der Ausbreitung des Ordens, seiner Arbeit
in allen Weltteilen usw., kann das Buch sehr gute
Dienste leisten. — Leider fehlen alle Literaturangaben;
nur bei der Aufzählung der franziskanischen Schriftsteller
wird manches hierher Gehörige genannt.
Kiel. G. Ficker.

de Flore, Joachim: L'£vangile eternel. Premiere traduetion
francaise precedee d'une Biographie par Emmanuel Aegertcr.
2 Teile. Paris: F. Rieder 1928. (245 S.) S". = l.es textes du
Christianisme, III. 40 fr

Durch die bekannte Doppelung der Geschehnisse
hat es sich gefügt, daß gleichzeitig ein Deutscher und
ein Franzose sich mit dem Leben und den Werken des
berühmten Abtes Joachim von Fiore beschäftigten. Aber
während der Deutsche, Herbert Grundmann, gelehrte
Untersuchungen über die Lehre Joachims, ihre Quellen
und ihr Fortleben anstellt, (Studien über Joachim von
Floris 1927), erzählt der Franzose Aegerter, seines Zeichens
nicht Forscher, sondern Dichter, im I.Bande seiner
Veröffentlichung mit glänzender Darstellungsgabe und
blühender Kraft der Einbildung und Einfühlung, fast
im Stile eines Romans, den Lebensgang und die Schicksale
seines Helden von der Wiege bis zum Grabe und
übers Grab hinaus. Wir sehen den jungen Notarssohn
mit seinen langen blonden Locken am üppigen Hofe
König Rogers IL von Sizilien, begleiten ihn auf seiner
Reise in den Osten, nach Konstantinopel und dem Heiligen
Lande, lesen von seinem Eintritt in das Cister-
zienserkloster von Sambacina, seiner Wanderpredigt als
einer Art „geistlicher Boheme", seiner Lehrzeit im
Kloster Corazzo, seiner Tätigkeit als Abt daselbst, seiner
Flucht, um den Obliegenheiten und der Verantwortung
eines Vorstehers zu entgehen, seiner Rückkehr unter
dein drohenden Kirchenbann, seiner emsigen Beschäftigung
mit dem Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit,
mit den geheimnisvollen Zusammenhängen des Alten
und des Neuen Testamentes und dem sich ihm lüftenden
Schleier der Geheimen Offenbarung, dem Austritt aus
dem Cisterzienserorden und der Gründung einer Abtei
in Fiore, der Wiege eines eigenen Ordens, den Begegnungen
mit Kaiser Heinrich VI. und Konstanze, sowie
mit Richard Löwenherz von England vor dessen Kreuzzug
, seinen Beziehungen zu den Päpsten seiner Zeit von
Lucius III. bis Innocenz III. und der kirchlichen Genehmigung
seiner teils bewunderten, teils angefochtenen
Erklärung der Apokalypse, seinem Tod i. J. 1202. Bei
seinen farbenreichen Schilderungen kümmert sich der
Verf. wenig um die Zuverlässigkeit der Quellen, und es
kommt ihm auch auf gelegentliche Zeitwidrigkeiten
nicht an. So bekleidet er schon im 12. Jahrhundert den