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Ausgabe:

1929 Nr. 11

Spalte:

250-252

Autor/Hrsg.:

Vogels, Heinrich Joseph

Titel/Untertitel:

Vulgatastudien 1929

Rezensent:

Fascher, Erich

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249

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 11.

250

gibt er in einem knappen, leicht zu lesenden Text den
Ertrag seiner Arbeit in der straffen Form, auf die sich
nur der Meister beschränken kann. Fast jeder Satz ist
freilich durch eine Anmerkung im 2. Teil des Bandes
unterbaut, in dem der Theologe und der Kunstfreund
eine Menge von Belehrung findet, der Forscher immer
wieder mit Dank nachschlagen wird.

Ich mache nur auf einzelne solcher Anmerkunsen aufmerksam:
Luthers Paulusbild (I, 4), Christus und die Zwölf (I, 21), princeps und
principes apostolorum (I, 27), Liste der dem Petrus und Paulus geweihten
Kirchen (I, 32), traditio legis (I, 35), Schlüsselübergabe (I, 36),
die vier verschiedenen Deutungen der weiblichen ürans zwischen zwei
männlichen Gestalten (I, 37), die Äußerungen mittelalterlicher Theologen
über die Stellung des Petrus und Paulus zu Christus (1, 39), die Formel
„Petrus und Paulus" (1,45), die Darstellung von Maria Tod (1,72 ;
0,39; 11,90.91), die Deutung der Apokryphen-Szenen (1,77), die
Inschriften der Paulusbilder (I, 85), das Schwert des Paulus (I, 95 -97),
die Bronzeplaketten (11, 9), der Paulustyp von S. Gennaro in Neapel
(II, 14), die Deutung des Mosaiks der S. Pudenziana in Rom (II, 20),
die Darstellung der Apostelkommunion (II, 41), die Handschrift Codex
Barb. lat. 437S und die Rekonstruktion der Tür von S. Paolo an der
Straße nach Ostia (II, 51), die Herkunft der Stirnlocke auf den Paulusbildern
vom 9. Jh. an (II, 52), Apostelkalender (II, 58), die Papstsiegel
(II, 66), die frühmittelalterlichen Kaiserbilder (II, 67), die ältesten Glasfenster
mit Paulusgeschichten (II, 80), die Madonna zwischen Petrus und
Paulus (II, S2), Acta-Handschriften mit P-lnitiale (II, 88), Paulustypen
der Renaissance (11.96), Michelangelos Paulusbilder (II, 111), der angeblich
von Bajazed dem Papste Innozenz VIII. geschenkte Smaragd
(II, 125), Übertragung der Züge von Päpsten und Patriarchen auf die
Apostel (III. 7).

Der Text selbst behandelt zunächst Vorfragen: Die
literarischen Schilderungen der äußeren Erscheinung des
Paulus werden untersucht; die Gruppierung und Stellung
der Apostel zueinander und zu Christus, die einige
Rätsel aufgibt, wird erörtert; auf Verwechslungen und
Vertauschungen der Aposteltypen wird aufmerksam gemacht
; die vorkommenden Szenen und Symbole werden
genannt. Im 2. Kapitel wird eine Geschichte des Paulus-
bildes im Wandel der Zeiten gegeben. Hier begrüße ich
es besonders, daß auch schon für die alte Kirche der
Reichtum der Paulusauffassungen dargestellt und nicht
starre „Tvpen" festgelegt werden, was oft zur Mißdeutung
altchristlicher Kunstwerke geführt hat. Ein
letztes Kapitel faßt die Ergebnisse zusammen,' welche
für die Geschichte des Paulusverständnisses wichtig
sind. Vielleicht hätte nach dieser Richtung hin noch
mehr gesagt werden können. Denn gerade in ihr liegt
ja die Bedeutung solcher Untersuchungen für den Theologen
.

Kritisch ist wenig zu sagen. Auch wo ich Einzelheiten
nachgeprüft habe, zeigt sich v. D. stets über den
neuesten Stand der Forschung unterrichtet und fällt mit
Sicherheit seine Urteile. Nur mit der Lösung der Frage,
woher es kommt, daß auf zahlreichen römischen (!)
Denkmälern vor 900 und darüber hinaus auf den päpstlichen
Siegeln durchgehend Paulus zur Rechten Christi
bezw. Petri steht, also unzweifelhaft den Ehrenplatz
innehat, kann ich mich noch nicht zufrieden geben.
Schon Petrus Damiani und Wilhelm Durandus haben
sich über die Tatsache Gedanken gemacht. Von Dob-
schütz will die Schwierigkeit nun durch die Annahme beheben
, daß die Künstler „die Stellung vom Beschauer
aus mit der Stellung im Bilde verwechselt" hätten und
daß daraus eine gedankenlose Überlieferung geworden
sei. Erst nach Jahrhunderten hätte sich die Kunst ihren
Fehler kar gemacht und ihn beseitigt. Mir erscheint
dieser Erklärungsversuch nicht recht einleuchtend. Und
wenn v. D. sargt, es habe keine Zeit in der Geschichte
der christlichen Kirche gegeben, wo nicht die Formel
gegolten hätte „Petrus und Paulus, nicht umgekehrt",
so gilt das ohne Zweifel für die dogmatische Rangordnung
seit L Clemens und Ignatius — darin liegt ja gerade
die Schwierigkeit zur Erklärung der Abweichung
—, aber in Rom ist dem Volksbewußtsein um 300 die
Formel „Paule Petre", „Paule ed Petre", „IlavXe IUtqb"
lebendig gewesen. Das zeigen unzweideutig die Graffiti
in der Triclia von S. Sebastiano, bei denen die Voran-

I Stellung des Paulus mindestens so geläufig ist wie die
des Petrus (Dissertazioni della Pont. Accademia Romana
di Archeologia Serie U Torao XIII (Roma 1918) p. 58 ff.
I Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom 2. Aufl. 1927
! S. 164 f.). Hier liegt ein Rätsel der Volksfrömmigkeit,
das noch nicht gelöst ist. Den Versuch, aus der Voranstellung
des Paulus auf ravennatischen Sarkophagen Be-
| Ziehungen zu Kleinasien erschließen zu wollen, weist
i v. D. freilich mit vollem Recht zurück. — Die Anmerkung
! II 4 ist doch wohl nicht so zu verstehen, daß damit auch
für den Wandel der Christusvorstellung dogmatische Beweggründe
ausgeschlossen sein sollen? Mir scheint die
| bewußte Angleichung an das Gottesbild doch unzweifel-
| haft (ganz deutlich z. B. bei dem Christus auf der Welt-
I kugel in S. Costanza in Rom, wo die Umbildung viel-
j leicht erst nachträglich erfolgt ist). — Alles in Allem
| kann man sagen: Wenn v. D. im 3. Bande seines Wer-
; kes sein beschreibendes Verzeichnis aller Paulusdar-
i Stellungen veröffentlicht haben wird, werden wir einem
I Neutestamentier die umfassendste Ikonographie einer
christlichen Persönlichkeit verdanken, die es überhaupt
gibt.

Greifswald. Hermann Wolfgang: Beyer.

Vogels, Heinrich Joseph: Vulgatastudien. Die Evangelien de
Vnlgata, unters, auf ihre lateinische u. Kriech. Vorlage. Münster i.
W.: Aschendorff 1928. (V, 345 S.) gr. 8°. = Neutestamentliche
Abhdlgn., 14. Bd., H. 2/3. RM 13.35.

Die neueste Veröffentlichung des bekannten Bonner
Fachgelehrten auf dem Gebiete der biblischen Textfor-
I schung will auf die Vulgata das Hauptaugenmerk gerichtet
wissen, bietet aber, wie ihr passenderer Unter-
i titel sagt, eine auf den Handschriften b ff i q beruhende
I Rekonstruktion der altlateinischen Vorlage der Vulgata.
j Ein Doppelapparat — für Korrekturen des Hieronymus,
1 sowie für andere Lesarten in den genannten und eini-
( gen anderen, gelegentlich herangezogenen, Italakodices
| — ist beigegeben und eine ausführliche Einleitung von
j 80 Seiten vorausgeschickt.

Man mag zunächst fragen, ob dieser Doppelapparat
nicht besser in einen zusammengezogen worden wäre,
wobei Vulg. ja durch besondere Drucktype aus den
| übrigen Kodices hätte herausgehoben werden können;
denn es ist nicht selten, daß dieselbe Abweichung doppelt
notiert wird. Trotz Raumverschwendung wird da-
i durch die Übersichtlichkeit nicht erhöht. Man würde in
einem Apparat viel besser übersehen, mit welchen Gruppen
von Handschriften Vulg. jeweilig zusammengeht.
Das könnte eine Äußerlichkeit sein, indessen liegt darin
eine Frage grundsätzlicher Art beschlossen. Dem katho- .
lischen Gelehrten wird man seine Vorliebe für Vulgata
i nicht verargen. Im Gegenteil, man wird ihm in der Zu-
i rückweisung überscharfer Urteile über den Wert der
Leistung des Hieronymus von protestantischer Seite
, umso eher folgen, als man mit Genugtuung feststellen
I kann, daß Vogels in der Beurteilung des Einflusses
j von Vulg. auf die vorliegenden altlat. Handschriften
j sich in wesentlichen Punkten Urteilen protestantischer
! Gelehrter angenähert hat. Dafür ist schon der erste
Satz des Vorwortes bezeichnend, wenn V. ausspricht, er
wolle nicht der Meinung das Wort reden, als ob die
j Stimme der Vulg. im Chor der Textzeugen stets die
[ Führung haben müsse, aber es sei sein Bestreben,
j dieser Stimme mehr Achtung zu verschaffen. Bei der
Fülle von Vorarbeiten und der verwickelten Geschichte
| der lat. Handschriften würde man es bei Herausgabe
einer Rekonstruktion des ältesten Textes lieber sehen
wenn Vulg. in den Entwicklungsprozeß der Textgeschichte
der Itala mit eingeordnet würde und nicht
gegenüber der Rekonstruktion eine Sonderstellung einnähme
. Trotzdem könnte die Leistung des Hier, aus
einem genauen Textapparat zur Genüge erkannt werden.
Ein solcher liegt aber hier leider nicht vor. Man könnte
meinen, deshalb nicht, weil V. seine Aufgabe anders
I angefaßt habe. Indessen wird zu zeigen sein, daß der