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Ausgabe:

1929 Nr. 10

Spalte:

234-240

Autor/Hrsg.:

Rade, Martin

Titel/Untertitel:

Glaubenslehre. I. Bd.; II. Bd. u. III. Bd., 2. u. 3. Buch 1929

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 10.

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rung sah und erlehte. Das Buch will vor allem das : die Qeisterwelt objektive Wahrheit schauen wird?
Haupt der Anthroposophie verteidigen und preisen. Ne- Wurde nicht vielmehr schon häufig konstatiert, daß mit
benbei aber, es ist vollkommen verständlich, verteidigt hellseherischen Fähigkeiten begabte Personen, wenn sie
R. sich selbst, und man darf sagen: Mit Erfolg. Man im Geiste die Schwelle der wahrnehmbaren Wirklichkeit
empfängt einen starken Eindruck davon, daß R. mit überschritten, entweder wie Flournovs „Seherin von
Ernst und Gewissenhaftigkeit geforscht, geprüft, ge- Genf" frei phantasierten, wobei die Phantasiegebilde erzögert
, mit sich selbst gekämpft hat, ehe er den An- staunliche Konstanz zu beweisen pflegten, oder aber wie
Schluß an St. vollzog, ebenso später, ehe er sein Amt Kerners „Seherin von Prevorst" allerlei volkstümliche
niederlegte und die Leitung der Christengemeinschaft oder dogmatische Vorstellungen reproduzierten? Daß in
übernahm. Andrerseits wird klar ersichtlich, daß, wie den geheimnisvollen Bereich des Visionären, sowie der
dies offenbar der persönlichen Eigenart R.s entspricht, wirklichen oder vermeintlichen Wahrträume (vgl. S.
sein Weg zur Anthroposophie von der Person zur Sache 61 ff.), Irrtümer und Verwechselungen einschleichen
führte, nicht umgekehrt. Erst war es der Nürnberger können, ist ja R. selbst nicht verborgen geblieben. Das
St.-An'hänger Michael Bauer, dessen Anziehungskraft dritte Hauptargument R.s für die Glaubwürdigkeit der
auf ihn wirkte (S. 10 ff.), bald darauf St. selbst. Daß St.schen Offenbarungen ist der von ihm bezeugte und
dessen zunächst spröde und kühle, die Kraft, Fülle und selbstverständlich nicht anzuzweifelnde Umstand, daß er
Tiefe seines Geistes keineswegs zur Schau tragende, selbst und manche andere Anhänger wenigstens die
sondern eher verhüllende, aber doch, schon durch den ersten Anfänge höheren Schauens in sich entwickelt und
Ausdruck seines Gesichtes (vgl. das Titelbild!), ahnen die Beobachtungen St.s bestätigt gefunden hätten (hier
lassende Persönlichkeit den feinnervigen, längst schon ist wohl hauptsächlich an Aura, Ätherleib und Ähnliches
auf Studium, Genuß und Verehrung bedeutender gedacht). Aber weder dürfte sich der Einwand leicht
Persönlichkeiten eingestellten Prediger und Theologen widerlegen lassen, daß diese noch primitiven Schau-
magnetisch fesselte, obschon oder vielleicht grade weil ungen möglicherweise unter dem Einfluß der Suggestion
ihn zunächst manche Eigentümlichkeit, desgleichen die erwachsen seien, noch würde es fern liegen, falls man
mit so vielen scheinbaren Abstrusitaten belastete Lehre, sie trotz aller Bedenken gelten zu lassen geneigt ist,
störte und abstieß, versteht man leicht. Es ist Charakter- grade von da aus die zugestandenermaßen alle Kontrolle
istisch, daß R. schon im Herbst 1911, nachdem er St. hinter sich lassenden Visionen St.s, also etwa die soge-
ein einziges Mal gehört und flüchtig kennen gelernt | nannte Akaschachronik (S. 54 ff.), zu bezweifeln
hatte und noch keineswegs von der Wahrheit seiner Noch manches historisch oder psychologisch InterWeltanschauung
überzeugt war, zu einem Freunde, mit essante wäre herauszuheben. Ich erwähne nur noch die
dem er einen zweiten Vortrag St.s hören wollte, sagen leider nur andeutende Schilderung des für Rs Amts-
konnte: „Sehen Sie sich diesen Mann einmal genau an; niederlegung bestimmenden Erlebnisses. Er erlebt bei
wenn irgend einer in der Gegenwart der Übermensch j der Menschenweihehandlung die Realpräsenz des kosist
, dann ist er es" (S. 29). Er befindet sich also be- ! mischen Christus im Brot des Altars und fühlt sich <>e-
reits im Bannkreis St.s. Man hat nicht den Eindruck, ! drungen, diese Wahrheit mit ihren Konsequenzen &in
daß R. sich der schweren Gefahren bewußt geworden ; den Mittelpunkt seines Wirkens zu stellen (S. 144ff)
ist, die unter solchen Umständen die Objektivität einer j Erwägt man diesen Sachverhalt, so wird man sich —
seis auch noch so ernstgemeinten und wiederholten j trüben Herzens — der Einsicht nicht verschließen kön-
Prüfung bedrohen. j nen, daß der aus solcher Keimzelle erwachsene religiöse
Vor allem will das Buch, wie gesagt, eine Apologie Organismus innerhalb der evangelischen Kirche schwer-
St.s selber und der von ihm unmittelbar oder mittelbar j 'ich auf die Dauer Heimatrecht wird beanspruchen
begründeten geistigen und religiösen Bewegung sein. In können.

das Zentrum seiner kritischen Überlegungen stellt der j Iburg. V. Thl»«e
aufmerksame Leser am besten den Abschnitt S. 82 ff., 1

in dem R. seinen Beitritt zur Anthroposophie zu recht- Rade, Martin: Glaubenslehre, i Bd ; Ii Bd u in Bd 2
fertigen sucht. Zunächst ist ihm, wir sahen schon, wie i 3. Bach. L. Klotz 1924—1927. (XII, 182 S.,VII u s 183—362 ii viii
dies für R. bezeichnend ist, St. selbst in seinem sittlichen 305 s.) 8°. = Bücherei d. Christlichen weit R.vi 3 50 4— u s—'
Charakter Garant der Wahrheit seiner Lehre. Uns er- : Daß Rade seine Glaubenslehre mit ihrem dritten
scheint solche Beweisführung, mag die verehrungsvolle Buch abgeschlossen hat, liegt nun schon zwei lihre /..
Charakterze.chnung R.s noch so sehr zutreffen, äußerst | rück. Sein Vorwort zum abschließenden Bande ist ton
problematisch. Daß ein außergewöhnliches Maß von , seinem 70. Geburtstag datiert Damit unterstreicht Jl
Reinheit, Güte und H'ngabe an große Zwecke, dazu l noch einmal, was ihn. das Ganze persönlich bedeutet
sichere und besonnene Lebensbeme.stemng, mit Neigung ! vor seinem Abscheiden in umfassender Darstellung eine
zu seltsamer Phantasterei in einer bestimmten abge- | öffentliche Bezeugung des Christenglaubens, des"erlebe,
grenzten Sphäre Hand in Hand gehen kann, will uns Schon als solche Bekenntnisschrift eines Mannes der
durchaus nicht unmöglich vorkommen. Eine zweite j im kirchlichen Leben und in der theolocrischerArbeit
starke Stütze steU:t_nachRR.Jt.s ^^n^Fahigkdt | bedeutsam hervorgetreten ist, hätte seine ülauben^elwe

wohl eine frühere Anzeige verdient. Und darum sei
mein Erstes ein Wort der Entschuldigung für den Teil
der Verzögerung, der auf mein Schuldkonto fällt
Atherle.b R.s zu schauen in R.s Unterbewußtsein ge- 1 Zu Rades Glaubenslehre Stellung zu nehmen ist
lesen haben. Die Annahme R.s, seine Vorstellungen nicht leicht. Auf der einen Seite ein allerpersöXLes
durch Abdrangung ins Unterbewußte dem Blick des ; Buch. Schon der Stil von einer persönliS
Hellsehers entziehen zu können, traut dem hellsehen- ■ barkeit, wie man sie in d^icJ^wSSi n,Z
sehen Vermögen merkwürdig wenig zu). Diese Belege | finden gewöhnt ist, bis zu einzelnen den Inders
sind freilich, jeder für sich unter die Lupe genommen, wohnten fast erschreckenden Wendungen- drastisch
nicht ganz einwandfrei Gle.clnvohl weigere ich mich ; Ausdrücken, rasch hingeworfenen Fragen faS?
nicht der bestimmten Erklärung R.s: „Was ich durch | raschen Thesen. Man spürt ihm — besonder« I .en>
Jahre hin erlebte schloß jeden Zweifel an der Tatsache 1 Anfängen - förmlich die Freude an mit der esinT™
seiner höheren Fähigkeiten immer mehr (! also doch I zer Zeitspanne „in einem Zuoe" niedero^«rhr; J" ,
nicht ganz?) aus" (S. 85) großes Gewicht beizumessen. j Vor allem aber: esi5 Such

Darf doch heute das Hellsehen als bewiesene Tatsache , kenntnisses. Und doch will es St^SlI^8*,11 Be"
gelten. Aber kann man nun daraus, daß jemand die persönliches Glaubenszeugnis aufgenommen „IJk
Art einer Krankheit oder einen eingetretenen Todesfall dem man sich einfach erbaut Es ist znäi 1 • 2ü

hellseherisch erkennt, schließen, daß auch sein Blick in Glaubenslehre sein will, eine prinzipiell durÄ

dar. R. gibt einige Belege. (Besonders S. 117 ff.,
137 ff. Auch das S. 43 ff. Erzählte könnte in diesen Zusammenhang
gehören. St. könnte, statt den wirklichen