Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1929

Spalte:

203-205

Autor/Hrsg.:

Büchsel, Friedrich

Titel/Untertitel:

Johannes und der hellenistische Sykretismus 1929

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

203

geistige Anbetung im Unterschied von aller Anbetung
die durch Äußerlichkeiten, wie einen besonderen Ort, bestimmt
ist". Freilich komme der Mensch „zu dieser
Innerlichkeit, Qeistigkeit des Anbetens" „durch die Ver-
innerlichung und Vergeistigung seines Wesens, die mit
dem Empfang des Geistes Gottes eintritt" (501). Entsprechend
wird das itvtvuu o Iteog definiert; es besagt
zunächt „irgendwie": „Gottes Wesen ist Bewußtheit,
Ich-sein, Freiheit" (504), genauer aber „der Gehalt
seines Wesens ist die Wahrheit, wie die Form seines
Wesens das Person-sein" (505). Die einseitige Betonung
des Wahrheitsgedankens bei Joh. sei nicht durch
gnostische Einflüsse veranlaßt, sondern beruhe auf dem
inneren Durchkämpfen der von den Gegnern seines
Glaubens gegen diesen erhobenen Einwände.
Marburg. R. Bultmann.

Büchsei, Prof. Dr. Friedrich: Johannes und der hellenistische
Synkretismus. Gütersloh : C. Bertelsmann 1028. (116 S.) gr. 8°. =
Beiträge z. Förderung christl. Theologie, Reihe 2, Bd. 16.

RM 4-; geb. 5.50.

Der Verf. will nachweisen, daß die Grundbegriffe
des Joh. nicht aus dem hellenistischen Synkretismus
stammen, sondern aus der alttest. und jüdischen, bzw.
aus der vorjohanneischen christlichen Tradition. Natürlich
so, daß das alte Erbe christlich und johanneisch
fortgebildet ist. Nach einer Vorbemerkung über seine
Aufgabe und deren Voraussetzungen, wie über das negative
Verhältnis des Judentums zum Synkretismus handelt
er zuerst (I) über Jesus den Christus, indem er die joh.
Begriffe Christus, Sohn Gottes, Logos, den Gedanken
der Präexistenz, die Bezeichnung „Gott", die Begriffe
Heiland der Welt und der Prophet und endlich die bildlichen
Bezeichnungen Jesu bei joh. bespricht, stets mit
dem Ergebnis, daß diese Begriffe nicht aus dem Hellenismus
(etwa aus Philon) stammen, und mit der Betonung
, daß die joh. Sätze „die begriffliche Erfassung
der in der Person Jesu vorliegenden religiösen Wirklichkeit
" (43) sind. Sodann (II) werden die das Heil bezeichnenden
Begriffe behandelt, also Leben, Geburt aus
Gott, Licht, Herrlichkeit, Gnade, Erkennen, Wahrheit,
sowie die Christusmystik. Dabei wird für den Begriff
Licht eine gewisse Verwandtschaft mit dem Hellenismus
zugegeben, jedoch so, daß Joh. auch hier dem Judentum
näher stünde als dem Hellenismus. Für die Begriffe des
Erkennens und der Wahrheit wird hellenistischer Einfluß
nicht zugegeben, aber der ursprünglich unjüdische
Charakter der „Geburt aus Gott" wird konstatiert. Doch
wird auch hierin eine direkte Abhängigkeit des Joh. von
den Mysterienreligionen bestritten und nur eine — vielleicht
durch das Judentum — vermittelte für möglich
gehalten. Die Christusmystik sei aus christlichen Wurzeln
erwachsen, nämlich aus der schon vorjoh. Anschauung
vom Geistesbesitz der Gemeinde. Das Gegenstück
zu den soteriologischen Begriffen bilden dann (III) die
das „Unheil" charakterisierenden Begriffe Welt und
Teufel, deren Ursprung im Judentum bzw. A. T. behauptet
wird. Unter dem Titel „Allgemeines" (IV) wird
1. die Stellung des Joh. zu den Juden behandelt: der
Evangelist bekämpft das offizielle Judentum, vertritt
also offenbar ein Christentum, das selbst aus dem
Judentum stammt. 2. Die Stellung des Joh. zu den
Griechen: unter diesen ist der Evangelist „ein Christ
aus den Juden nicht nur gewesen, sondern auch gehlieben
" (111). 3. Der Verfasser und sein Verfahren:
der Evangelist stellt die Ereignisse so dar, „wie er sie
später verstehen gelernt hat" (U2), und er läßt Jesus in
seiner (des Joh.), nicht in der eigenen Sprache reden.
Er schreibt sein Buch am Ende eines langen Lebens;
obwohl palästinensischer Herkunft und ein „Israelit"
bleibend, schreibt er griechisch, die Gemeinschaft mit
den Gotteskindern unter den Griechen suchend.

Man kann fragen, ob nicht noch eine Reihe anderer
als die behandelten Begriffe in das Licht des Themas
hätten gerückt werden müssen, z. B. das Gegensatzpaar

avw-xätw, der Begriff xpevdog, das elvcu h. Aber ich
bin doch dankbar, daß der Verf. den Leser nicht länger
in Anspruch nimmt. Denn ich muß offen sagen, daß
eine eigentliche Diskussion — von Einzelheiten abge-
: sehen — für mich nicht möglich ist. Die wissenschaftlichen
Voraussetzungen sind zu verschieden:

1. Der Verf. will das Bild des hellenistischen Synkretismus
, an dem er Joh. mißt, ohne Rückschlüsse

: und Vermutungen gewinnen, weil solche nicht zu ge-
i sicherten Wirklichkeiten führen. Beweiskräftig sei allein
das, „was uns die Überlieferung, sofern sie zuverlässig
ist, zeigt" (7). Die gesamte gnostische Literatur wird
also ausgeschieden, und das „beweiskräftige" Material
schrumpft auf ein Minimum zusammen. Nun weiß doch
jeder, der historisch arbeitet, daß es solche Arbeit ohne
Rückschlüsse und Konstruktionen gar nicht geben kann,
und daß über deren Recht oder Unrecht immer nur die
Einzeluntersuchung entscheidet (und ist es etwa kein
Rückschluß, wenn der Verf. S. 47 aus Joh. 1, 21. 25
„den Propheten" als eine Gestalt der jüdischen Enderwartung
erschließt?). Wer auf dem Gebiet des Hellenismus
arbeitet, weiß, daß das hier in erhöhtem Maße gilt,
weil die religiösen Bewegungen, um die es s;ch handelt,
/.. T. überhaupt keine Literatur produziert haben, und
weil andererseits eine Menge von Literatur vernichtet ist.
Er weiß auch, daß die Arbeit zu manchen unverächtlichen
Ergebnissen geführt hat. Es geht nicht an, das
alles mit einem Handstreich bei Seite zu schieben.

2. Daß der Verf. dies vermag, kommt daher, daß er
die Aufgabe, die Geschichte der Begriffe bzw. des
Sprachgenrauchs zu untersuchen, nicht wirklich erfaßt
hat. In den meisten Fällen kann man seine Darlegungen
überhaupt nicht Untersuchungen nennen; in
andern, wie für yiyvo'oxeiv und akriteia, ist wenigstens
ein Ansatz dazu gemacht. Aber wie steht es auch da!
Was a/.T]&eia bei Parmenides bedeutet, wird niemand aus
dem Satze S. 89 erraten. Über Aristoteles die banalen
Sätze: „Bei Aristoteles ist die Wahrheit weniger Ziel als
Besitz. Von dem Pathos des Wahrheitsstrebens merkt
man bei ihm nicht viel. Dafür ist all sein Denken getragen
von einer tiefbegründeten und gediegenen Wahrheitsgewißheit
, die freilich bei der Schulmäßigkeit seiner
Wissenschaft recht unpersönlich wirkt" (89). Daß
aXrÖeia im griechischen Sprachgebrauch von der Bedeutung
„das wirklich Seiende" im formalen Sinn zu
der Bedeutung des allein wirklich seienden Göttlichen
erlangte, ist nicht beachtet, wie denn die Beziehung von
alr&eia zu ovula nicht erwogen wird. Besonders bezeichnend
ist es, daß der Verf., weil er am Äußerlichen
haftet, an einer Stelle (Joh. 8,32) Abhängigkeit vom
griechisch-philosophischen Sprachgebrauch findet, wo sie
gerade nicht vorliegt. So wenig die Beziehungen von
ahj&eia zu ytyvu'a/.eiv und rptug behandelt werden, sowenig
die von cpwg zu Cot). Der Verf. sieht offenbar
nicht, daß die Sprache ein lebendiges Gebilde ist, in dem
sich jeweils eine bestimmte Erfassung der Welt und des
Daseins ausspricht, sodaß die Grundbegriffe nur im
Rückgang auf diese, damit aber auch in ihren gegenseitigen
Beziehungen verstanden werden können. Er
sieht deshalb auch den symptomatischen Charakter bestimmter
Einzelheiten nicht, z. B. daß der absolute Gebrauch
von io (füg ganz unjüdisch ist, wie gerade die
Beispiele bei Strack-B. zeigen, auf den er verweist (I 237:
II 427 f., vgl. hier vor allem die Beispiele für „Licht im
soteriolog. Sinn"; anders in den Test. Patr.!). Er sieht
nicht die Art der Gebundenheit des redenden Individuums
an die durch den Sprachgebrauch vorliegenden
Möglichkeiten und versteht deshalb auch nicht die Art

; seiner Freiheit. Sonst wären solche Argumente nicht
möglich, wie daß der X/yog des Joh. nicht wie der
philonische einen Ursprung im Mythos haben könne,
weil Joh. kein Schönredner wie Philon sei, sondern einfach
und geradeaus seine Meinung ausspreche (33), oder
eine Antithese wie die: „Diese Anrede (ö Veög Joh. 20,