Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1929 Nr. 9

Spalte:

196-203

Autor/Hrsg.:

Büchsel, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Geist Gottes im Neuen Testament 1929

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

195

Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 9.

196

Schlatter, Prof. O. Adolf: Der Glaube im Neuen Testament.

4. Bearbeitung. Stuttgart: Calwer Vereinsbuchh. 1927. (622 S.)
gr. 8". RM 15-.

Schlatters 1885 zum erstenmal erschienenes Buch
ist in der ThLZ. 1886, Sp. 367—374 von Ed. Gräfe
ausführlich besprochen worden. Habe ich nichts übersehen
, so haben die 2. und 3. Aufl. hier keine Besprechung
gefunden. Eine solche für die 4. Aufl. jetzt in
Ausführlichkeit zu bringen, kann bei der Verbreitung
und Bekanntschaft des Buches nicht meine Aufgabe
sein, da sich die neue Aufl. von der vorigen nur UN-
wesentlich (fast nur durch stilistische Änderungen und
einige deutlichere Formulierungen, s. u.) unterscheidet,
und da der Verf. über die „Wandlungen in der Darstellung
" von der 1. zur 3. Aufl. im Vorwort zu dieser
(1905) selbst berichtet hat.

Die wichtigsten zustimmenden wie kritischen Ausführungen
Gräfes behalten auch der neuen Aufl. gegenüber
ihr Recht. Er rühmte nicht nur die umfassende Gelehrsamkeit
des Verf.s, deren sich der Leser bes. in den

c. c. 1—3 (über den Glauben im Judentum) und in den
Exkursen (zu den elf früheren ist ein neuer über die
Josephus-Parallelen zu den nt.lichen Worten, d. h. zum
nt.lichen Sprachgebrauch von itiotig, hinzugekommen)
erfreut, sondern er sah den Hauptvorzug des Buches
darin, daß der Verf. die monographische Beschränkung
seines Themas nicht in einem äußerlichen Sinne aufgefaßt
hat, sondern daß er die Verwurzelung seines Gegenstandes
im Ganzen des N. T.s für die Darstellung bestimmend
hat sein lassen. In der Tat behandelt das
Buch die Liebe und die Hoffnung so gut wie den Glauben
, und so gut wie diesen auch seinen Gegenstand,

d. h. es umfaßt auch die Theologie und Christologie des
N. T.s, ist also streckenweise zu dem geworden, was man
als „nt.liche Theologie" bezeichnet.

Das Urteil über die eigentliche Bedeutung des
Buches hängt aber davon ab, ob man der Meinung ist,
daß der Verf. sachgemäß verstanden und expliziert habe,
was das N.T. unter Glauben versteht. Ich bejahe diese
Frage und bedaure deshalb, daß das Vorwort zur 1. Auflage
, das die dritte noch brachte, jetzt gestrichen ist. In
dieser stehen nämlich entscheidende Sätze, an deren Beurteilung
sich Für und Wider trennen muß. Schi, wendet
sich hier gegen solche Behandlungen des Themas,
die „das vertrauende Verhalten von seinem Beziehungspunkt
geschieden halten"; soll der Glaube
in den Blick gefaßt werden, so muß mit in das Blickfeld
treten, „was dem Glauben Kraft und Wirkung
gibt". Diese aber „haftet . . . nicht an der Form
des seelischen Vorgangs, sondern am Wesen
und Wirken dessen, mit dem das Ich vertrauend die
Willenssynthese eingeht". In diesen bedeutungsvollen
Sätzen ist das, was mit modernem Ausdruck die „Inten-
tionalität" des Glaubens heißt, deutlich erfaßt, während
sonst die meisten Darstellungen (ich verweise nur auf
Holtzmanns Lehrbuch der nt.lichen Theologie und auf
Boussets Kyrios Christos) den Glauben als eine seelische
Haltung im Sinne der stoischen diä&eoig fassen.
Doch gebietet die Gerechtigkeit, hervorzuheben, daß
auch F. C. Baur (Vorlesungen über nt.liche Theologie
1864 S. 180) und A. Ritschi (Rechtf. u. Vers. III8 S.
135 f.) die Intentionalität des Glaubens gesehen haben.

Gräfe hatte die Schwerfälligkeit des Stils und den
Mangel an Durchsichtigkeit der Darstellung beanstandet.
Namentlich das Letztere ist in der Tat ein Umstand, der
die Lektüre sehr erschwert. Es fehlt meist an einer klaren
Exposition der Fragen, und der Gang der Untersuchung
ist nicht explizit gemacht. Dies ist auch m. E.
der eigentliche Grund der Klagen über die schwerverständliche
Sprache des Verf.s mit denen er sich im neuen
Vorwort auseinandersetzt. Erschwerend kommt hinzu,
daß Schi, die explizite Auseinandersetzung mit andern
Forschern nach wie vor verschmäht. Gewiß enthält eine
solche die Gefahr, daß der Leser sich mehr „für die
Schulen und Meinungen der Kollegen interessiert" als

| für das Objekt der Darstellung (3. Aufl. S. 11 f.). Aber
i sie könnte doch auch der Entwicklung und Diskussion
I der Probleme dienstbar gemacht werden und würde für
>: verständige Leser eine Förderung des Verständnisses be-
j deuten.

Auch der Vorwurf Gräfes, daß Schi, um der Her-
; vorhebung der wesentlichen Einheit des N. T.'s willen
; die einzelnen individuellen Erscheinungen nicht hinrei-
| chend differenziert und charakterisiert, besteht m. E. zu
| Recht. Indessen kann man fragen, ob nicht heute, nach-
I dem Differenzen und Individualitäten in monographi-
| sehen wie in zusammenfassenden Darstellungen mit
j Energie und Sorgfalt herausgearbeitet wurden, der Hin-
: weis auf die Einheit des N. T.s wieder besonders notwen-
; dig geworden ist. Natürlich nicht so, daß die Differenzen
i ignoriert werden sollten, sondern so, daß, indem man sie
i fest im Blick behält, die Einheit als eine lebendige und
! spannungsreiche zur Erscheinung kommt. Ja, es werden
; innerhalb der Einheit die Unterschiede und Individualitäten
erst recht in ihrem Charakter sichtbar werden.
Selbstverständlich differenziert auch Schi.; aber über das
Maß der Differenzen kann man natürlich verschieden urteilen
, und schließlich wird je nach Temperament und
j Interesse der eine Forscher diesen, der andere jenen Ge-
; Sichtspunkt beherrschend sein lassen. Eine fundamentale
j Differenz jedoch besteht innerhalb des N. T.s, gewiß
nicht seine Einheit sprengend, aber ihr ihren eigentüm-
' liehen Charakter gebend. Wie in ihrer Aufdeckung und
! Betonung sich die Hauptgegensätze der Forschung zei-
' gen, so liegt hier auch mein Hauptgegensatz zu Schi.
: Ich meine die Frage nach dem Verhältnis der aposto-
' iischen Predigt zur Predigt Jesu, oder anders formu-
: liert die Frage nach dem Verhältnis des verkündigten
| Jesus Christus zum verkündigenden Jesus. Für eine Aus-
! einandersetzung mit Schi, über diese Frage ist hier nicht
■ der Raum, ich habe aber vor, sie an anderem Orte zu
; versuchen.

Die wichtigsten Abweichungen von der 3. Aufl.
seien zum Schluß kurz aufgezählt: S.S. 80—85 (Charakteristik
des Täufers). 247f. (Das Einigende in den
Differenzen der Gemeinde). 405 f. (Überleitung zu den
Past). 612—614 (dvakoyiet xrg itlaxmag Rom. 12,6).
! Kleinere Zusätze finden sich S. S. 49. 348. 349 f. 603 in
I der Anm. 67, 1; neu sind die Anm. 63, 1. 64, 1. 456, 1.
Eine größere Kürzung S. 446, wo S. 445—449 der 3.
Aufl. fehlen, eine kleinere S. 607. Gestrichen sind einige
Anm. auf den S.S. 403. 435. 561 der 3. Aufl. Der
Schlußabsatz S. 585 f. der 3. Aufl. ist durch den neuen
Exkurs über Josephus ersetzt.
Marburg. R. B u 11 in a n u.

B ü c h s e 1, D. Friedrich : Der Geist Gottes Im Neuen Testament.

Gütersloh: C. Bertelsmann 1926. (X, 516 S.) gr. 8°.

RM 15—; geb. 18—.

Das ebenso bedeutsame wie umfassende und komplizierte
Thema, „die Geschichte der Geistfrömmigkeit
und Geistvorstellung im Urchristentum" behandelt der
Verf. in einem umfangreichen Buch. Der Umfang ist jedoch
nur z.T. durch den Reichtum des Stoffes und leider
zum wenigsten durch wirkliche Untersuchungen bedingt
; er beruht zum großen Teil auf der außerordentlichen
Breite der Darstellung. Schon der vielfach primi-

i tive Stil (die kurzen, asyndetisch aneinander gereihten
Hauptsätze) zeigt, daß dem Verf. die Gabe knapper,
straff gegliederter Darstellung fehlt. Auch die Formulierung
im einzelnen entbehrt der Präzision. Unbe-

, stimmte Wendungen wie „etwas Pneuinatisches", „pneu-

l matische Bestandteile", „eine pneumatische Seite" sind

! charakteristisch.

Es muß leider gesagt werden, daß der Verf. den
eigentlichen Gegenstand seiner Untersuchung nicht klar
und fest bestimmt. Seine Darlegungen sind bald die

i Interpretation dessen, was die Aussagen desN.T.s
unter Geist Gottes verstehen, bald sind sie eine Deutung
der im N.T. bezeugten Phänomene von einem