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Ausgabe:

1929 Nr. 8

Spalte:

186-187

Autor/Hrsg.:

Bohlin, Torsten

Titel/Untertitel:

Glaube und Offenbarung. Eine kritische Studie zur dialektischen Theologie 1929

Rezensent:

Winkler, Robert

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Theologische Literaturzeitung 1929 Nr. 8.

186-

Und gibt das Buch nicht der Neigung jüngerer
Theologen zu viel nach, sich ganz einseitig den systematischen
Fragen zuzuwenden? O. will das nicht; er
bezeichnet die historische Disziplinengruppe ausdrücklich
als die wichtigste in der Theologie. Aber von der Arbeit
an den historischen Problemen der Theologie erfährt
man aus diesem seinem Buch wenig. Ich bin
Systematiker wie er und freue mich des heute wieder
stärkeren systematischen Interesses. Vor einem Men-
schenalter waren viele junge Theologen in der Gefahr,
über bibelkritischen und dogmengeschichtlichen Fragen
die grundsätzlichen ganz bei Seite zu lassen. Aber
muß man nicht heute vor der Gefahr warnen, daß die
jüngeren Fachgenossen in den entgegengesetzten Fehler
verfallen? Damit hängt etwas anderes zusammen. Wer
O.'s Buch liest, wird den Eindruck gewinnen, die alten
theologischen Richtungsgegensätze seien bedeutungslos
geworden. Gewiß sind sie schon früher oft übertrieben
worden, und wenn man heute, wie O. es tut, die Arbeit
solcher Systematiker wie Otto, Wobbermin, Heim, Althaus
miteinander vergleicht, kann man in erheblichem
Maße das Bild gemeinsamer Arbeit an gemeinsamen
Problemen gewinnen. Aber auf manche wichtige Fragen
der biblischen und der Dogmengeschichte werden
heute noch entgegengesetzte Antworten gegeben. So gewiß
die Erzählungen von Jesu wunderbarer Geburt
heute nicht mehr wie 1S92 als Zeichen dienen, an dem
die Geister sich scheiden, weil man „rechts" nicht mehr
an ihrer Geschichtlichkeit hängt, so gewiß ist doch bei
der Frage nach Jesu Auferstehung keineswegs im gleichen
Umfange Verständigung erzielt. Und ob die heute
kräftig bekundete Auffassung, die Auferstehung Jesu sei
ein wirkliches, aber kein geschichtliches Ereignis, sondern
sie gehöre einer höheren Sphäre an, stark genug sein wird,
den Streit der älteren Meinungen als wesenlos erscheinen
zu lassen, ist zum mindesten noch keineswegs
sicher. Weil aber in unseren Gemeinden, in der kirchlichen
Praxis, in Predigt und Religionsunterricht immer
wieder Anlaß kommt, die Verschiedenheit der hier vorhandenen
Standpunkte kenntlich zu machen, ist die tatsächliche
Lage der protestantischen Theologie doch anders
als sie erscheint, wenn man von diesen Streitfragen
der Bibelforschung überhaupt nicht spricht. Wie ich
denn gerade auch im Blick hierauf meine, daß eine Einfühlung
in die Theologie der Gegenwart mehr von der
Theologie der jüngsten Vergangenheit sagen müßte als
O. tut. Z. B. kommen Wellhausen, Th. Zahn, H. Cremer
, H. J. Holtzmann, Duhm, Bousset, Wrede, Gunkel,
Söderblom überhaupt nicht vor, R. Seeberg und A.
Schweitzer nur im Literaturverzeichnis, aber nur mit
Schriften systematischen Inhalts.

Dabei hat aber O.'s Wille, der jüngsten Schule,
Barth und dessen Gesinnungsgenossen, gerecht zu werden
, nicht etwa dazu geführt, daß er ungerecht gegen
Schleiermacher geworden wäre, dessen Bedeutung er
hoch einschätzt und in dessen Glaubenstheologie er
durchaus eine Fortsetzung von Luthers Werk sieht. Und
das Verständnis für allerlei romantische Zeitströmungen
läßt O. nicht etwa verständnislos für das Wesen des
Protestantismus werden, den er geradezu als den Protest
gegen das Gewordene überhaupt bezeichnet. Wie er
denn auch, die innere Zusammengehörigkeit von Theologie
und religiöser Gemeinschaft betonend, die Theologie
keineswegs der organisierten Kirche unterstellen
will.

Von Einzelheiten erwähne ich, daß die Grundlage für die
Wissenschaft der praktischen Theologie eine theologische Soziologie
bilden soll. Bisweilen sähe man den Ausdruck gern schärfer, so in
den weiteren Ausführungen über diese Soziologie (S. 124). Und wenn
sogleich im Anfang gesagt ist, jede christliche Lebensform setze
voraus, daß die Religion eine Realität ist, so ist doch wohl gemeint,
sie setze voraus, daß Gott wirklich ist. Bisweilen besteht zwischen
O. und mir vielleicht auch nicht so sehr Verschiedenheit der Ansicht
als der Redeweise, z. B. wenn er sagt, die theologische Exegese
dürfe nicht der Philologie ausgeliefert werden, denn diese müßte die

Offenbarung aus der Geschichte streichen (S. 103). Gibt es nicht
auch eine Philologie, die in den logoi, den Urkunden, die sie durchforscht
, den logos spürt, Offenbarung aus ewigen Tiefen des Geistes
heraus sucht? Manche schwere Frage hat O. bei der Kürze des
Buchs nur so streifen können, daß seine Antworten anfechtbar werden
; S. 11 : „das Wesen Gottes ist Dasein''. S. 86 Z. 3 v u. I. ausschließen
st. anschließen, 120 Z. 6 v. u. 1. Wahrheit st. Wahrheiten.
K'*L Hermann Mulert.

Bohlin, Prof. D. Torsten: Glaube und Offenbarung. Eine

kritische Studie zur dialektischen Theologie. Autoris. Uebersctzung
aus d. Schwcd. v. Ilse M cy er -1. ü tt e. Berlin: Furche-Verlag 1928.
(148 S.) gr. 8". RM 4.50: Lwd. RM 6 --.

Der Verf. gibt eine treffsichere Kritik der dialektischen
Theologie durch den Nachweis, daß ihre
Auffassung von Glaube und Offenbarung nicht die
evangelisch - reformatorische wiedergibt. Wenn es
auch ihr Verdienst bleibt, die göttliche Wesens-
i seite des Glaubens und die Absolutheit der Offen-
; barung aufs nachdrücklichste hervorgehoben, kurz
' das Programm einer theozentrischen Theologie auf-
j gestellt zu haben, das die „Wirklichkeit Gottes" voll
und ganz zu ihrem Recht kommen läßt, so steht sie
damit doch nicht, wie sie selbst meint, allein. Der Verf.
zeigt an Hand eines Überblicks über die Theologie des
19. Jahrhunderts von Schleiermacher über A. Ritsehl
i und W. Herrmann bis zu Heim, daß man sich auch
innerhalb der Erfahrungstheologie um die Sicherstellung
der Objektivität müht und wie sich Einseitigkeiten im
. Lauf ihrer Entwicklung immer wieder durch sich selbst
korrigieren. So ist ihr Programm nicht neu. Neu ist
! nur der Weg, auf dem man zum Ziele kommen will. Er
besteht darin, die Tatsache des unendlichen qualitativen
; Unterschieds zwischen Zeit und Ewigkeit, Gott und
Mensch für das Ganze der Glaubensaussagen zur Geltung
zu bringen. Freilich gelingt es erst dadurch den
Subjektivismus ganz auszuschalten, daß diese Unter-
schiedenheit zu einer völligen Beziehungslosigkeit überspannt
wird. Wie kann aber dann das Ewige noch
anders erfaßt und bestimmt werden als rein abstrakt auf
metaphysischem Wege? So wird das Verhältnis Mensch
und Gott zu einem Spezialfall des abstrakten, philosophisch
verstandenen Begriffsgegensatzes von Zeit und
Ewigkeit. Der Gottesglaube wird zu einer Kühnheit des
j Denkens, zu einem Denkpostulat, das Glaubens-
nbjekt zu einer Paradoxie, einer logisch-metaphysischen
Unsinnigkeit. Der Verf. macht mit Recht darauf aufmerksam
, daß die Begriffe Schöpfung und Erlösung
von einem Standpunkt aus, für den die Beziehungslosigkeit
von Gott und Mensch das letzte ist, religiös nicht
mehr verständlich sind, und die Sünde erscheint bei
dieser abstrakt-metaphysischen Fassung des Mensch-
Gottverhältnisses nicht mehr als religiös-ethisches, sondern
als metaphysisches Übel. Der Fehler ist. daß die
i dialektische Theologie nicht dialektisch genug denkt:
I das absolut Transzendente ist immanent, der über die
' Geschichte erhabene Gott wirkt i n der Geschichte.

Die dialektische Theologie beruft sich für ihre Auffassung
auf Kierkegaard. Aber bei ihm bilden solche mit
der dialektischen Theologie kongruierenden Gedankengänge
, wie sie sich vor allem um seine Paradoxlehre
gruppieren, nur die eine Linie in seinem Denken. Sie
bringen nicht einmal seine eigentliche Glaubensposition
zum Ausdruck, stehen vielmehr nur auf der Wacht gegen
eine Gefährdung des Transzendenzcharakters des Christentums
durch die Hegeische Spekulation. Die andere
wichtigere Linie bei ihm ist die persönlich-religiöse Erfahrungslinie
, wie sie der Verf. nennt: Die Subjektivität ist die
Wahrheit. Gerade als Gegensatz zu einer einseitigen
| Objektivität stellt er sein Subjektivitätsprinzip auf: Der
wahre Denker darf weder vom Subjektiven noch vom
Objektiven verschlungen werden, sondern soll im
höchsten Maße sub-objektiv sein. Nur mit solchen
Grundsätzen bringt er Intentionen Luthers zur Geltung.