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Ausgabe:

1928 Nr. 7

Spalte:

164-165

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Otto

Titel/Untertitel:

Nachspiel. Eine Aussprache mit den Freunden und Kritikern des “Jahrhunderts der Kirche” 1928

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 7.

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Papst einen Nachfolger oder einen coadiutor cum iure successionis |
ernennen könne (S. 43 ff.). Hier scheint mir der Punkt zu sein, wo j
der Papalismus an sich selber scheitert.

3. In Heft 3 bringt B. „Spanische Beiträge zur !
Emendatio Decreti Gratiani", aus denen auch „der un- j
gemein grosse Eifer der Päpste Gregor XIII. und j
Sixtus V. für großzügige und gründliche wissenschaftliche
Arbeit allgemeiner Art herausleuchtet" (S. 2). Ei- j
nem spanischen Würdenträger läßt Sixtus V. unmittel- i
bar schreiben, er wünsche von ihm bestimmte sehr wertvolle
Handschriften geschenkt zu erhalten (Ebenda).
Des Näheren behandelt B. die in die 2. Hälfte des 16.
Jahrhunderts fallende Tätigkeit der spanischen Gelehrten
Miguel Thomasio (S. 3 ff.), Antonio Agustin (S.

6 ff.), Garcia de Loaysa Giron (S. 18 ff.). Der letztgenannte
war zuletzt Erzbischof von Toledo, und in seine
Amtszeit fällt auch ein aufsehenerregender Inquisitionsprozeß
gegen vier Jesuiten, von denen zwei freige- )
sprochen und zwei zu empfindlichen Strafen verurteilt j
wurden. „Pastor hat sich in seinem zehnten Band die i
längst widerlegte Nachricht hineinschreiben lassen, alle
vier Jesuiten seien freigesprochen worden" (S. 25). Aus
einer Mitteilung des Staatssekretärs Kardinals Rusticucci
v. J. 1587 erfahren wir auch, daß die Jesuiten in ihrer
Theologie ursprünglich weder dem heiligen Thomas
noch Scotus, noch Egidius noch Baco folgen, sondern
„neutral bleiben" wollten (S. 26). Ergötzlich ist, wie
der Großinquisitor und EB. von Toledo Gaspar de Qui-
roga y Vela in verschiedenen Jesuitenprozessen den
päpstlichen Nuntius zu täuschen und der Inquisition
stets freie Hand zu wahren verstand. „Nie hatte der
Nuntius gemerkt, daß der angeblich verhandlungsunfähige
Mann ihn hingehalten hatte, bis die Inquisiton
in aller Ruhe die Prozesse hatte zu Ende führen
können" (S. 39). S. 58—76: Urkunden.

4. Im 4. Heft schildert B. zuerst die Schwierig- [
keiten, die der Einführung des von Pius V. verbesserten
Breviers in Spanien bereitet wurden. Die Auseinandersetzungen
drehten sich hauptsächlich um wirtschaftliche
Fragen, und die spanische Regierung erließ, um die römischen
Druckprivilegien matt zu setzen, ein Verbot der
Einfuhr von Büchern aus fremden Ländern (S. 7 f.).
Mit dem Brevier selbst war Philipp II. durchaus einverstanden
, und er hatte es, wie auch das Meßbuch, ganz
durchgenommen. Er wünschte sogar, daß der Papst
nicht bloß den Bitten, bei den alten Bräuchen bleiben
zu dürfen, kein Gehör schenken, sondern sogar das
solche Bräuche schützende Privileg der 200 Jahre für
Spanien aufheben möge (S. 9 f.). S. 21 ff: Urkunden.
Im 2. Teil behandelt er die Einführung des Gregorianischen
Calenders in Spanien. „So eifrig man in Rom die
wissenschaftlichen Beratungen gefördert hatte: als die |
praktischen Vorbereitungen für eine reibungslose Ein- |
führung gemacht werden mußten, da gab es in Rom
Versager" (S. 33). Bei der Einführung in Spanien spielten
wiederum die aus dem Nachdrucksverbot für die [
spanischen Drucker erwachsenden wirtschaftlichen Nachteile
eine Rolle. S. 52 f. gibt B. Aufklärung über ein den
gregorianischen Kalender erläuterndes umfangreiches
Buch des in Bamberg 1538 geborenen, in Rom 1612 ge-
storbenen Jesuiten Christoph Clavius oder Glau, S. ,
54 ff. über alte Meßkataloge, S. 61 ff.: Urkunden.

5. Das 5. Heft schildert die Unannehmlichkeiten |
und Verdächtigungen, die dem gelehrten, schriftstellerisch
und seelsorgerisch ungemein tätigen Professor an
der Sorbonne und Pfarrer von St. Eustache in Paris,
Rene Benoist, aus seiner 1566 veröffentlichten französischen
Bibel erwuchsen. Dieser hatte nämlich seiner |
Ausgabe eine Genfer Übersetzung zu Grunde gelegt und
die ketzerischen Wendungen katholisch verbessert. Nach
der zweiten Durchsicht durch Benoist stellten aber einige
Setzer „de farine genevoise" die Genfer Lesarten wieder
her und ließen dann die Bogen durch die Maschine laufen
, ohne daß der Herausgeber oder sonst jemand eine
Ahnung von dem Vorgefallenen hatte. Der Sachverhalt j
wurde zwar nach der Entdeckung dieses Schurken- j
Streiches klargestellt und die Schuldigen wurden empfindlich
bestraft. Die zahlreichen Gegner und Neider des
Professors benützten aber den Vorfall, ihn in Rom anzuschwärzen
, und sie hatten damit solchen Erfolg, daß
es auch dem König Heinrich IV. nicht gelang, seinem
Beichtvater die Bestätigung der Ernennung zum Bischof
von Troyes zu erwirken. Nach zehnjährigen vergeblichen
Bemühungen verzichtete schließlich der achtzigjährige
Mann auf das Bistum. Mag er auch selber nicht
in allem einwandfrei gehandelt haben, so bleibt doch die
Tatsache, daß „die römischen Behörden über diesen
Mann des öftern von seinen mächtigen Feinden einfach
angelogen worden sind" (S. 16). Der Bischof Pierre de
Gondi von Paris aber und seine beiden Nachfolger
waren nie dazu zu bewegen, den seeleneifrigen und gefeierten
Priester preiszugeben (S. 29 f.).

Vielleicht ist es mir gelungen, durch meine Anzeige
einen Begriff zu geben von der Fülle wertvoller Nachrichten
, die auch die Hefte der „Untersuchungen" enthalten
. Dabei werden sie in größerem Drucke geboten,
während die beiden Bände der „Neuen Kunde" in einem
zwar durchaus sauberen, aber wegen Raumersparnis anstrengend
kleinen Perldruck gehalten sind.

Bemerkt sei noch, daß B. zweimal (2. H. S. 60 und 5. H.
S. 40) „scheinbar" gebraucht für „anscheinend". Diese Verwechslung
sollte unbedingt vermieden werden.

München.________Hugo Koch.

Di bei ius, Qen.-Sup. D. Otto: Nachspiel. Eine Aussprache mit
den Freunden und Kritikern des .Jahrhunderts der Kirche". Berlin:
Furche-Verlag 1028. (113 S.) 8°. RM 2.80; geb. 3.80.

Dihelius antwortet seinen Kritikern. Ich war bekanntlich einer
ihrer ersten (ThLZ. 1027 Nr. 2 Sp. 25—20). Nun gehöre ich freilich
nicht zu denen, auf die er sich in seiner Antwort bezieht. Immerhin
steht, da mein entscheidender Einwand dem Gehalte nach von manchem
andern so ähnlich geltend gemacht worden ist (als sachlich mit
mir sich berührend empfinde ich besonders, was Schneider Ev.
Kirchenblatt f. Polen 1927 Nr. 5 und z.T. auch was Kot/haus in der
Furcbe XIV 1. Heft gesagt haben), einiges da, das auch mich angeht.

Das Buch hat vier Teile: 1. Worum es geht. 2. Nachtgespräch.
3. Um das bischöfliche Amt. 4. Von Politik und einer Predigt. Von
diesen vier Teilen scheiden für eine Besprechung hier aus der zweite
und der vierte. Der zweite, weil er den Charakter einer religiösen
Meditation trägt: Verf. holt sich in einem Zwiegespräch mit dem
(.Tucifixus die Gewißheit, daß er nach Jesu Willen der Kirche dient.
Der vierte (der des Verf.s Stellung zum November 1918 dahin erläuten
, daß er weder die grundsätzliche Überparteilichkeit der Kirche
noch sein Gewissensurteil über die Mächte, die hinter der deutschen
Revolution standen, preisgeben wolle), weil ich ebenso wie der Verf. es
für einen der vielen unerfreulichen Fehlgriffe der Polemik halte, diesen
Punkt als den angeblich entscheidenden in den Vordergrund zu stellen;
sachlich würde gerade mir es leicht fallen, mich hier mit dem Verfasser
zu verständigen. Bleiben nur übrig der erste (S. 11—40) und
der dritte (S. 61—86).

Der erste Teil bringt insofern eine Überraschung, als man er-T
kennt, daß der — durch verlorene Andeutungen in andrer Richtung
kaum getrübte — frohe siegesgewisse Klang des früheren Buchs einen
dunklen Oegenton in sich hatte. Verf. deutet die Lage der Gegenwart
hier so, daß die große über Europa (nicht auch über Amerika?)
heraufziehende Krise, welche die christliche Bestimmtheit von Staat
und Gesellschaft und Geistesleben aufzulösen droht, nun auch unser
Volk und unsern Slaat ergriffen hat, in besonders schwerem Maße ergriffen
hat. Die große Stunde der Freiheit für die Kirche hat ihr
Gegengewicht also in einer großen Abwendung der öffentlichen Gewalten
und des allgemeinen Lebens vom Christentum, einer ungeheuren
, auf jedem in der Kirche lastenden Verantwortung. Das
kommende Jahrhundert ist deswegen eins der Kirche, weil es eins des
Kampfes um das Christentum ist. Der dritte Teil erläutert das Eintreten
für das bischöfliche Amt streng als Eintreten für eine in allen
größeren deutschen evangelischen Kirchen schon vorhandene Sache,
der bloß noch der gebührende Name fehle: ein evangelischer Theolog,
der seiner Kirche das Bischofsamt erst noch empfehlen wolle, handele
wie ein Glockengießer, der seinen Prospekt drei Tage nach der
Glockenweihe schicke. Außerdem erklärt Verf. die Frage ausdrücklich
für eine Nebenfrage, da das Pfarramt wichtiger als das Bischofsamt
sei. Von der so in beiden Teilen eingenommenen Stellung aus sucht
er dann das frühere Buch gegen alle Einwände zu halten.

Nun mag es auf sich beruhen bleiben, ob mit der jetzt eingenommenen
Grundstellung etwa eine gewisse Verschiebung eingetreten
ist. Hätte der Verf. in seinem ersten Buche z. B. wirklich den
jetzt im ersten Teil hervorgekehrten Gesichtspunkt zum alles beherrschenden
Ausgangspunkte des Gesprächs gemacht, so hätte ihm sowohl
sein Urteil über das Hand in Hand Arbeiten von Kirche und
Staat in der Vergangenheit, wie seine Uberschau über die Lage der
Kirchen in der Gegenwart etwas anders ausfallen müssen. (Dement-