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Ausgabe:

1928 Nr. 6

Spalte:

139-140

Autor/Hrsg.:

Adolph, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Philosophie des Grafen Keyserling 1928

Rezensent:

Knittermeyer, Hinrich

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139

Theologische Literaturzeitung 1928 Nr. 6.

140

vor, das entscheidende Unglück sei, daß man das Christentum
zu einer von der Existenz geschiedenen Lehre
gemacht habe. Er kann sogar von diesem Standpunkt aus
die Widersprüche in der Schrift würdigen: Gott wollte
uns keine einfache lehrhafte Mitteilung machen, die
ohne Anstrengung angeeignet werden kann. So weiß er
sich, bewußt, von aller Repristinationstheologie geschieden
. An der Lehre der dänischen Kirche seiner Zeit hat
er nichts auszusetzen; sondern nur daran, daß man diese
Lehre mit Hilfe von Spekulation und durch Mangel an
Ernsthaftigkeit um ihren Sinn gebracht hat.

Ich breche meinen Bericht ab. Von den vielen
geistvollen Einzelbemerkungen erwähne ich nur das Urteil
über Epiktet, paradox und doch den Nagel auf den
Kopf treffend (und für den, der es versteht, eine unvergeßliche
Kritik des Stoizismus von der Freiheit der
Kinder Gottes her): man merke ihm an allen Ecken und
Enden an, daß er ein Sklave gewesen sei (A 643).

Göttingen. E. Hirsch.

Schell ing, F. w. J.: Das Wesen der menschlichen Freiheit.

Mit Einleitung, Namen- und Sachregister neu hrsg. v. Christian
Herr mann. Leipzig: F. Meiner 1925. (XII, 92 S.) 8°. = Philos.
Bibliothek, Bd. 197. RM 2.50; geb. 3.50.

Die Neuherausgabe dieser für die spätere Philosophie Sendlings
wichtigen Schrift muß besonders begrüßt werden. Man wird sich auf
die Dauer der Einsicht nicht verschließen können, daß die romantische
Epoche der Philosophie Schellings doch nur einen Auftakt bildet für
eine späte Entwicklung, vor welcher die vermeintliche Frühreife
Schellings als etwas höchst Fragwürdiges sich herausstellen könnte.
Wir sehen Schelling ja fast nur als das Durchgangsglied zwischen
Fichte und Hegel an. Die Sache liegt aber in Wirklichkeit völlig
anders. Und gerade aus der systematischen Notlage der Gegenwart
heraus wird man sehr bald zu einer andersartigen Bewertung
des Denkers sich gezwungen sehen. Er setzt da ein, wo die Dialektik
Hegels aufhört. Er gehört zwischen Hegel und die Gegenwart. Und
der vielleicht bedeutendste Einsatzpunkt für diese positive Philosophie
liegt in den „Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der
menschlichen Freiheit", die zuerst 1809 erschienen. Allerdings ist
diese Schrift selbst auch nur der Einsatz einer Entwicklung, die noch
fast 50 Jahre bis zu ihrem relativen Abschluß braucht. Sie steht
daher nicht als Resultat für sich. Als Resultat wäre sie auch weithin
unbefriedigend. Das Böse wird noch viel zu spekulativ gesehen und
die Freiheit erscheint daher trotz der voluntaristischen Auffassung des
Absoluten, die ein bedeutendes Vorspiel zu Schopenhauer darstellt,
als metaphysisch-spekulatives Postulat, was sie wiederum rational begrenzt
. Das hat der Herausgeber im ganzen in seiner Einleitung
richtig gesehen. Daß er für die historischen Wurzeln dieser Wandlung
auf Jakob Böhme verweisen muß, ist selbstverständlich. Wertvoll ist
aber der nicht verschwiegene Hinweis auf Eschenmayer, der in der
Tat aus dem Dunkel hervorgeholt zu werden verdiente.

Die Ausgabe selbst beruht auf einer Vergleichung der Ausgaben
von 1809, 1860 (Sämtliche Werke) und 1911 (Meinerschc Auswahl).
Die beste ist die zweite, die textlich von der Erstausgabe nur geringe
Abweichungen zeigt. Stichproben erwiesen die Zuverlässigkeit
des Abdrucks.

Bremen. II. Kn ittermeyer.

Küenberg, Dr. Max, S. J.: Der Begriff der Pflicht in Kants
vorkritischen Schriften. Innsbruck: F. Rauch 1927. (VII, 40 S.)
gr. 8°. = Philosophie und Grenzwissenschaften, Bd. 2, H. 3.

RM 2—.

Die Untersuchung bemüht sich um den möglichst genauen
Aufweis des Problembestandes. Sie zieht dabei besonders den Wölfischen
Pflichtbegriff zurate, dessen Verbindlichkeit zwar allgemcin-
giltig, aber nicht moralisch sei, und daher zur Kantischen Begründung
der Verbindlichkeit in vollem Gegensatz stehe. Von hier aus
wird die Richtigkeit von P. Menzers Behauptung, daß Kant den ihm
von Wolff dargebotenen Pflichtbegriff nur analysiere, bestritten. Eine
Tafel ist beigegeben, die über das Vorkommen des Pflichtbegriffs in
den wichtigsten Schriften Kants unterrichtet.

Bremen. H. Knittermeyer.

Adolph, Priv.-Doz. Lic. Dr. Heinrich: Die Philosophie des
Grafen Keyserling. Mit e. Bildnis. Stuttgart: Strecker & Schröder
1927. (XII, 180 S.) 8». kart. RM 3.80; Lwd. 5.30.

Die leichtverständliche Einführung in die Philosophie des Grafen
Keyserling unterrichtet nicht ohne Geschick über den Habitus
seines Denkens. Der Graf selbst und seine Entwicklung werden mit

knappen, treffenden Strichen gezeichnet. Absicht und Gehalt der
Hauptwerke werden kurz angedeutet; einige „Gestaltprobleme" lassen
den „organischen" Grundzug seines Denkens deutlich werden. Das
Verhältnis zur Religion und insbesondere zum Christentum wird ausführlicher
und nicht ohne Kritik erörtert. Die geistesgeschiditliclien
Zusammenhänge und die zeitgenössischen Beziehungen werden kurz
gestreift. Eine vorsichtige Beurteilung macht den Schluß, die auf den
Grundton gestimmt ist, daß auch der Weise „Kreatur" ist und bleibt
und nicht als „Welt-Souverän" zu freier Komposition ermächtigt ist.
Einige schlimme Sätze abgerechnet (S. 135 Anm.l) erfüllt das Büchlein
seinen Zweck.

Bremen. H. Knittermeyer.

Schaeder, Prof. D. Erich: Zur Trinitätsfrage. Drei Vorlesungen
. 2., überarb. Aufl. Leipzig: A. Deichert 1925. (52 S.)
gr. 8". RM 1.80

Schäders Vorlesungen waren erstmalig 1912 erschienen
. Die neue Auflage ist „trotz einer durchgehenden
Überarbeitung wesentlich doch ein Abdruck des
ersten Entwurfs" (3). Schäder bietet eine Begründung
der trinitarischen Erkenntnis, unter mehrfacher kritischer
Bezugnahme auf K. Thiemes Buch „Von der Gottheit
Christi" (1911), und setzt sich dann mit der Trinitäts-
lehre Seebergs, Grützmachers, Schlatters sowie mit dem
religionsgeschichtlichen Hinweise auf außerchristliche
Dreiheiten treffend auseinander. Für Schäders eigene
Gedankenbildung ist bezeichnend erstens die streng
offenbarungstheologische Methode: alle rational-spekulative
Begründung der Trinität, auch diejenige Schlatters,
wird abgelehnt; sodann die starke Betonung des Sub-
ordinatianismus, in der Schäder mit Schlatter zusammensteht
. Die Theologie „muß die Gottheit unseres Herrn
in der offenbarungsgeschichtlich begründeten Form der
Gottessohnschaft, d. h. in der charakteristischen Synthese
von Gottgleichheit und Gottabhängigkeit oder
Subordination, in Rechnung stellen. An dieser Stelle
scheint mir der gewiesene Fortschritt der trinitarischen
Erörterung zu liegen" (25). Das wird in Gedankengängen
, die die Einwirkung der tiefen Schlatterschen
Lehre von Jesu Sohnschaft erkennen lassen, durchgeführt
. Abgesehen von diesem Desideritim bekennt Schäder
sich zu dem wesentlichen Gehalt des altkirchlichen
Trinitätsdogmas, den er aus der Gewißheit der Liebe
Gottes, d. h. seiner vollen Selbsthingabe an die weltgebundenen
sündigen Menschen, entwickelt. Die Schwierigkeiten
des Dogmas treten auch bei dieser zurückhaltenden
, auf das theologisch Entscheidende gesammelten
Studie hervor; am deutlichsten naturgemäß bei dem
Versuche, die Unterscheidung zwischen dem Geiste und
dem erhöhten Christus, zwischen dem Geiste und Gott
dem Vater zu begründen. Um einen Unterschied zu gewinnen
, wird der Erhöhte rein als der Jenseitige beschrieben
(35). Wie stimmt das zu dem paulinischen
und johanneischen Gedanken von der Gegenwart des
Erhöhten im Gläubigen? Hier hätte, angesichts des
neutestamentlichen Befundes, die Erörterung eingehender
und bewegter sein müssen.

Erlangen. P. Althaus.

Macpherson, Hector, M.A., Ph. D., F. R.S. E., F. R. A. S.: The
Church and Science. A study of the inter-relation of theological
and scientific thought. London: J. Clarke 8t Co. [1927]. (254 S.)
8". = „The I.iving Church" series. 6 sh.

Macphersons lebendig und gefällig geschriebenes
Buch will die Geschichte der Wirkung des wissenschaftlichen
Fortschrittes auf das kirchlich-theologische Denken
im Abriß darstellen. Als „Wissenschaft" kommt
dabei ausschließlich die Naturforschung in Betracht.
Die Wirkungen des geschichtlichen Erkennens werden
nicht behandelt. Auch innerhalb der Naturwissenschaft
hat M. sich in der Hauptsache auf Kosmologie, Geologie
und Entwicklungslehre beschränkt. Was die Psychologie
, Psychanalyse usw. für das christliche Denken
[ bedeutet, darauf geht das Buch nicht mehr ein. So kann
es schon hinsichtlich der Weite der Fragestellung nicht
! entfernt mit Titius' großem Werke verglichen werden.